Peter Györkös, Budapests Regierungsvertreter in Berlin, begrüßt das neue Migrationspaket der EU-Kommission als gute Grundlage für Verhandlungen. Ihn freut, dass die Aufnahme von Flüchtlingen nicht mehr als einzige Form der Solidarität gesehen wird.

Berlin - Er saß am 22. September 2015 mit am Tisch in Brüssel, als Ungarn von einer Mehrheit anderer EU-Länder überstimmt und zur Aufnahme von Flüchtlingen verpflichtet wurde – es war der Anfang einer Spaltung Europas in der Asylpolitik. Nun sieht Peter Györkös, mittlerweile Viktor Orbans Botschafter in Berlin, die Chance für einen Neuanfang.

 

Herr Botschafter, deutsche Grüne sehen in den Brüsseler Kommissionsvorschlägen für ein neues EU-Asylsystem eine „herbe Enttäuschung“. Dann müssten Sie Ihrer Regierung gut gefallen, oder?

So weit würde ich jetzt noch nicht gehen. Es ist zu früh zu sagen, ob diese Gesetzesvorschläge die tiefe Spaltung in der Migrationsfrage überwinden können. Nach Gesprächen auf Ministerebene wird das Thema am Ende sicher auf dem Tisch der Staats- und Regierungschefs landen. Für meinen Ministerpräsidenten Viktor Orban ist das eine klassische Chefsache – weil so viel auf dem Spiel steht.

Die Pläne greifen doch viele ungarische Positionen auf. Warum so zögerlich?

Es stimmt, das ist eine Grundlage, auf der wir verhandeln können. Meine Regierung begrüßt es sehr, dass EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen die unterschiedlichen Sichtweisen zu Asyl und Migration ausdrücklich akzeptiert. In ihrer Rede hat sie auch einen globalen Grundsatz betont, der uns immer sehr wichtig war, der aber in der bisherigen Debatte nur eine untergeordnete Rolle spielte: Wenn hunderte Millionen Menschen auf der Welt in großer Not leben, können wir dieses Problem nicht auf europäischem Boden lösen. Statt es zu importieren, müssen wir unsere Hilfe exportieren.

Auch Kanzlerin Angela Merkel redet spätestens seit 2016 darüber, dass die illegale Migration unterbunden und den Menschen möglichst nahe an ihrer Heimat geholfen werden soll.

Das ist einer der Gründe, warum die deutsch-ungarischen Beziehungen nach einer schwierigen Phase wieder gut sind und wir im Wirtschaftsbereich, in der Verteidigungs- oder in der Entwicklungspolitik so eng kooperieren wie nie. Aber die Aufnahme von Flüchtlingen – das haben wir im Falle von Moria wieder gesehen – hat für die Deutschen immer noch eine viel höhere Priorität als für die Ungarn, die in ihrer großen Mehrheit nicht zu einer Einwanderungsgesellschaft werden möchten. Ich bitte die Deutschen darum, das zu akzeptieren und zu verstehen, dass die Ungarn in dieser Frage anders ticken.

Der frühere Arbeitsminister Norbert Blüm hat kurz vor seinem Tod gesagt, Europa müsse wegen moralischer Insolvenz schließen, wenn 500 Millionen EU-Bürger nicht ein paar Millionen Menschen Schutz bieten könnten. Hatte er nicht Recht?

Ich habe Blüm immer sehr geschätzt, aber diese moralische Überheblichkeit gegenüber Ländern in Europa, die auf andere Art helfen wollen, habe ich nie verstanden. Auch nicht beim früheren Kommissionschef Jean-Claude Juncker, der sich einen Tag vor dem Brexit-Referendum ähnlich geäußert hat. Ein Neuanfang in der Asylpolitik kann nur gelingen, wenn wir in den Verhandlungen einen Punkt festschreiben können: Europäische Solidarität ist nicht gleichbedeutend mit verpflichtender Zuteilung von Migranten.

Genau das bietet Ihnen Ursula von der Leyen doch jetzt an: Wer keine anerkannten Flüchtlinge aus anderen Mitgliedstaaten aufnehmen will, soll sich um die Abschiebung der nicht anerkannten kümmern.

Unsere Experten müssen sich das noch im Detail anschauen, aber im Grundsatz schließe ich es nicht per se aus, dass so eine Linie unterstützt werden könnte. Würden alle EU-Staaten sie akzeptieren, wäre das aus unserer Sicht ein großer Schritt nach vorn. Es sendet ein falsches Signal aus, wenn diejenigen ohne Bleiberecht trotzdem in der EU bleiben können, weil wir sie bisher nicht konsequent genug abschieben. Damit sich das ändert, müssen wir gemeinsam mit unserer ganzen politischen Kraft die Herkunftsländer überzeugen, ihre Staatsbürger wieder bei sich aufzunehmen.

Wenn nach dem Vorbild des Abkommen mit der Türkei nun mit weiteren Ländern entsprechende Verträge geschlossen würden, stiege auch die Abhängigkeit von Ägypten, Libyen oder Algerien.

Nur die Fähigkeit, die eigenen Grenzen effektiv zu schützen, verhindert, dass die Nachbarn uns erpressen können. Über die Zahl von Migranten in Europa müssen wir selbst entscheiden, und zwar jeder EU-Staat für sich – so steht es in den europäischen Verträgen.

Aber es gibt doch weltpolitische Lagen, in denen solche absoluten Festlegungen nicht weiterhelfen. Wenn trotz Entwicklungshilfe und Abschottung Menschen nach Europa gelangen, die Schutz oder ein besseres Leben für sich suchen, kann man doch nicht so tun, als gäbe es sie nicht?

Ein effektives Schutzsystem für Europa und die Hilfe vor Ort würde unserer Ansicht nach dafür sorgen, dass diese Menschen erst gar nicht ankommen und deshalb auch nicht zwangsweise verteilt werden müssen.

Ein lückenloser Außengrenzschutz mag an Landgrenzen vielleicht noch möglich sein, wie schwer das allerdings auf hoher See ist, haben wir oft sehen können. Zurückweisungen auf dem offenen Meer sind allein schon aus rechtlicher Sicht mehr als problematisch ...

Ungarn hat 2015 bewiesen, dass man die grüne Grenze schützen kann. Spanien hat 2008 gezeigt, dass Außengrenzschutz auch auf See funktioniert, später auch Italien. Es ist nicht einfach und auch nicht schön, aber notwendig. Sonst droht aus ungarischer Sicht ein Ende des Schengenraums, des Binnenmarkts und des gesamten gesellschaftlichen Friedens in Europa.

Europas Spaltung in der Asylpolitik trägt auch nicht zum Frieden bei. Kann Sie jetzt überwunden werden?

Seit 2015 haben wir einen langen Weg zurückgelegt, und ich sehe eindeutige Zeichen einer Annäherung. Ich hoffe, dass dieser Geist in den Verhandlungen über das Paket beibehalten wird – die Chance dazu gibt es jetzt, eine Garantie nicht.