Im Stuttgarter Gerberviertel wird der Streit um einen Platznamen zu einem Lehrstück, das zeigt, wie groß die Distanz der Bürger zur ihrer Stadt samt Verwaltung ist. Und wie einfach es sein kann, das Vertrauen wieder zurückzugewinnen.
Stuttgart - Da steht sie nun. Allein und mit weichen Knien gegen etwa 50 Bürger, die ihre Fäuste in den Taschen geballt hatten. Mit dem Mut der Entschlossenheit und mit dem Glauben an das, was Gesellschaft ausmacht. Veronika Kienzle, Vorsteherin des Mitte-Bezirks, hätte sicher gerne stärkere Unterstützung gehabt. Vor allem von der Stadt, aber auch von der Mehrzahl ihrer Bezirksbeiräte oder gar von Betreuungsgemeinderäten. Nur eine Hand voll ist gekommen, um ihr den Rücken zu stärken. So aber stellt sie sich alleine.
Und so entsteht ein schiefes Bild: Veronika Kienzle bündelt damit den Zorn der Bürger. Sie wird als Urheberin und Verantwortliche im Namensstreit für ein paar Quadratmeter Fläche im Gerberviertel identifiziert. Sie wird zum Feindbild. Dabei will sie moderieren. Lösungen suchen und finden. In jenem unseligen Streit , ob dieser Platz zwischen Sophien- und Christophstraße nun nach Bürgerwillen „Gerberplätzle“ oder nach einstimmiger Ratsentscheidung „Therese-Huber-Platz“ heißen soll. Von Amtswegen ist die Entscheidung längst zugunsten der Huber-Therese gefallen. Und doch werden an diesem Freitagnachmittag wie auf der antiken Agora Argumente ausgetauscht. Demokratie pur.
Therese Huber hätte ein würdiges Andenken verdient
Es sind die Ansichten der „Initiative Gerberplatz“, die Wortführer Hannes Herms vorträgt: „Dieser Ort ist die Keimzelle des Gerberviertels, diese besondere Geschichte wollen wir bewahren und sichtbar machen.“ Und es ist die Meinung der Literaturwissenschaftlerin Maja Riepl-Schmidt, die über die Frauenrechtlerin Therese Huber ihre Doktorarbeit geschrieben hat. Nach der Rede von Riepl-Schmidt besteht bei allen kein Zweifel mehr: Therese Huber (1764 – 1829) hat ein bewahrendes Andenken verdient. Nur nicht an diesem Platz, meinen die Anwohner. Denn dieser Platz habe schon immer den Namen Gerberplatz oder Gerberplätzle getragen. Ob in offiziellen Schriften der Stadt oder in Werbebroschüren des damaligen Bauinvestors. Daher versucht sich Hannes Herms in einem Kompromiss. „Lassen Sie uns einen anderen Ort in der Stadt suchen, an dem wir Therese Huber ehren können“, sagt er und schlägt den Platz am Hans-im-Glück-Brunnen oder das dortige Haus der „Stiftung Geißstraße“ vor.
Möglicherweise ist es eine gute Idee, doch Zeit und Ort lassen keine sachliche Erörterung zu. Zu aufgeladen ist die Stimmung. Selbst Michael Kienzle, Vorsitzender der Stiftung Geißstraße, lässt sich davon anstecken. Kein Wunder. Er muss miterleben, wie seine Frau Veronika mit dem Rücken zur Wand wie eine Löwin um ein gutes Ende kämpft. Daher schießt Kienzle aus der Hüfte und meint: „Keine Chance.“
Bröckelnde Indentifikation mit der Stadt
Nun droht die Stimmung vollends zu kippen. Erst Recht, als Bezirksbeirat Sebastian Erdle (Stadtist) den Brief eines Anwohners aus der Tasche zieht und rezitiert: „An diesem trivialen Namensstreit kann man gut sehen, was heute schief läuft. Hier geht es um Identität. Wenn man im Gerberviertel, das seit dem Mittelalter so heißt, den Anwohnern einen Gerberplatz verwehrt, dann verwehrt man ihnen ein Stück Identität und Identifizierung mit der Stadt.“ Mit diesen Worten ist das Gefühl der Bürger auf den Punkt gebracht. Diese Identität hatte ein städtischer Verwaltungsmitarbeiter gewissermaßen mit der Flex durchtrennen lassen. Es war der Moment, als vor Monaten das in guter Absicht aufgestellte Schild mit Namen „Gerberplätzle“ ohne Rücksprache mit den dort lebenden Menschen abgesägt wurde. „Diese Aktion hat den Glauben an die Stadtverwaltung nachhaltig beschädigt“, sagt eine Anwohnerin, der sehr wohl bewusst ist, „dass wir uns hätten früher auf politischer Ebene wehren sollen“.
Und dennoch stehen sie an diesem Nachmittag alle da. Die Bürger mit der Hoffnung, doch noch eine Wende im Namensstreit zu schaffen. Und die Einzelkämpferin Veronika Kienzle, die von der Macht der Graswurzeldemokratie beseelt ist und mit ihrem Vorschlag neues Vertrauen schafft. „Wir werden die Sache in einer der kommenden Sitzungen erneut auf die Tagesordnung des Bezirksbeirats setzen“, sagt sie und genießt den verhaltenen Applaus der Bürger wie einen warmen Regen.
Es ist der Moment, in dem sie nicht mehr alleine da steht. Es ist ein Moment der neuen Gemeinsamkeit, einer zart knospenden Identifikation mit der Stadt.