Alice Kaiser will mehr als eine Kummerkastentante sein. Als Bürgerbeauftragte wird sie die Interessen der Stuttgarter während der Bauzeit vertreten.
02.02.2010 - 06:31 Uhr
Stuttgart - Eine freundliche Begrüßung hört sich anders an: Kaum als Bürgerbeauftragte für das Projekt Stuttgart 21 bestellt, wurde Alice Kaiser von Projektgegnern als "Maultaschensprecherin" abqualifiziert. Dabei ist die 36-Jährige nicht etwa beim Teigtaschenhersteller Bürger angestellt, sondern bei der Stadt. Die in Kattowitz (Polen) geborene studierte Architektin, Mutter von zwei Kindern, soll die Interessen der Stuttgarter im Zusammenhang mit dem auf zehn Jahre Bauzeit veranschlagten Umbau des Hauptbahnhofs vertreten.
Dass ihr Arbeitsplatz sich im Büro des Stuttgart-21-Sprechers Wolfgang Drexler und nicht etwa im Tiefbauamt befindet, hat Alice Kaiser zwar nicht zu verantworten. Doch genau dieser Umstand ist es, der Fragen nach ihrer Neutralität aufwirft. Ursprünglich war ihre auf fünf Jahre befristete Stelle als "Ombudsfrau" (Bürgeranwältin) nach skandinavischem Muster geplant, ehe sie zur Bürgerbeauftragten mutierte. "Ich sehe mich durchaus als Interessenvertreter der Bürger innerhalb des Projekts", erläutert Alice Kaiser ihr Selbstverständnis. Die Kritik am Standort ihres Schreibtischs kann sie nicht nachvollziehen: "Es ist doch gut, wenn der Informationsaustausch auf dem kurzem Weg erfolgt. Wir ziehen schließlich alle an einem Strang."
Sie muss mit viel Kritik klarkommen
Am 1. Dezember vergangenen Jahres hat sie ihren neuen Job angetreten, sich zunächst aber in der Öffentlichkeit rar gemacht. Seit zweieinhalb Jahren lebt Kaiser, die in Stuttgart studiert hat, mit ihrer Familie in Bad Cannstatt. Zuvor hat sie siebeneinhalb Jahre in Irland als Projektarchitektin an verschiedenen städtebaulichen Großprojekten mitgearbeitet, deren Sinnhaftigkeit sich auch nicht jedem Iren auf den ersten Blick erschlossen haben mögen.
Obwohl sie weiß, wie sehr das Thema Stuttgart 21 die Landeshauptstadt spaltet, hat sie es bisher "nicht bereut", bei der Stadtverwaltung angeheuert zu haben. Derzeit tourt sie mit Projektsprecher Drexler durch die Bezirksbeiräte, um sich und ihre Funktion bekannter zu machen. Dass sie sich auch dort viel Kritik anhören muss, schreckt sie nicht ab: "Ich wusste ja, was auf mich zukommt."
Seit etwa vier Wochen muss sich die Frau nun mit ganz konkreten Fragen der Bürger auseinandersetzen: Verläuft der Tunnel unter meinem Grundstück? Beeinträchtigt die Baulogistik mein Wohnumfeld? Was kann man gegen den zu erwartenden Baulärm oder Abgasimmissionen tun? In solchen Fällen wälzt Kaiser dann die mehrere hundert Seiten dicken Ordner mit den Planfeststellungsbeschlüssen und prüft, ob die dort festgeschriebenen Schutzbestimmungen und Auflagen eingehalten worden sind: "Die Genehmigungen kennen keine Kompromisse." In strittigen Fällen kann Kaiser der Stadt etwa empfehlen, einen Gutachter hinzuzuziehen, der die Beschwerden prüft.
Informationensplattform für alle Bürger
Als reine "Kummerkastentante" freilich sieht sich die Bürgerbeauftragte nicht: "Natürlich ist meine Stelle auch als eine Art Informationsplattform angelegt." Wenn's politisch wird, erklärt sie sich freilich für nicht zuständig: "Briefe und E-Mails, wo es ums Grundsätzliche geht, leite ich an Herrn Drexler weiter. " Zugleich stellt sie klar: "Ich bin Herrn Drexler gegenüber nicht weisungsgebunden". Ihr nomineller Chef, Oberbürgermeister Wolfgang Schuster, hat gestern aus Anlass des Baubeginns für Stuttgart 21 nochmals die Bedeutung der Bürgerbeauftragten unterstrichen: Sie sei mit den Bürgern im Dialog und nehme eine "Mittlerfunktion zwischen den Bürgern und dem Bauherr" ein.
Keinen Hehl macht die Bürgerbeauftragte daraus, dass sie dem Projekt selbst grundsätzlich positiv gegenübersteht. " Es gibt nur ganz wenige Städte, die eine solche städtebauliche Chance bekommen."