Mitbestimmen, wie es in der EU weitergehen soll? Mit Hausparlamenten in Wohnzimmer oder Kneipe bringt die Bürgerbewegung „Pulse of Europe“ Menschen zusammen, die sich die Köpfe über Europa heißreden.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Stuttgart - Yijing ist als Erste da. Der Tisch ist für 19 Uhr bestellt. Yijing sagt: „Die anderen sind unterwegs.“ Und dann geht es Schlag auf Schlag. Alle acht kommen direkt von der Arbeit. Den Tag über haben sie Ideen entwickelt, wie man Ausstellungsräume gestalten könnte. Und an diesem Freitagabend sitzen sie in Stuttgart-Bad Cannstatt in einer Kneipe und überlegen, wie die Europäische Union möbliert werden müsste, damit sie Bestand, und wichtiger, eine gute Zukunft hat.

 

Andere Menschen legen nach einer arbeitsreichen Woche die Beine hoch und bestellen eine Pizza beim Lieferservice. Nicht so Tanja, Veronika, Bruno, Emma, Andreas, Marta, Mihai und Yijing. Sie sind alle um die 30 und werden jetzt zwar auch gleich ein Bier oder ein Glas Wein und dazu Käsetoast bestellen. Aber dann zieht Tanja Zöllner vorbereitete Zettel aus der Tasche. Darauf stehen drei Fragen zur zukünftigen EU-Politik. Es geht um Arbeitslosenfonds, Umweltschutz und Grenzsicherung.

Am Ende des Abends wird abgestimmt

Die acht Männer und Frauen haben sich zu einem Hausparlament verabredet. Die Bürgerbewegung „Pulse of Europe“ hat diese Form der Beteiligung gewählt, um Menschen zusammenzubringen und ihnen die Möglichkeit zu geben, über EU-Themen zu debattieren. Der Rahmen ist dabei vorgegeben: drei Fragen und eine Auswahl möglicher Pro- und Kontra-Argumente gibt es. Am Ende müssen die Teilnehmer die Frage mit Ja oder Nein beantworten.

Das unterscheidet ein Hausparlament von einem Stammtisch. Dort wird keine Empfehlung formuliert und keine Mehrheitsentscheidung gefällt. Genau das aber ist an diesem Freitagabend der Fall. Reden und Debattieren ist bei einem Hausparlament ausdrücklich erwünscht. Danach aber heißt es wie bei politischen Entscheidungen, Farbe zu bekennen und den Europapolitikern so vielleicht eine Empfehlung zu geben. So zumindest ist der Plan von „Pulse of Europe“. „Die Politiker warten auf Euren Input“, heißt es auf der Homepage. Die Auswertung aus den Hausparlamenten geht weiter an die EU-Spitzenkandidaten.

Weil die Diskutanten selbst aus Deutschland, Rumänien, Polen, Italien kommen oder wie Yijing in Schanghai geboren und in Österreich aufgewachsen sind, wird auf englisch diskutiert. Und das in Windeseile, ohne groß nach den passenden Worten suchen zu müssen. Hier streitet die Erasmus-Generation für Europa.

„Es muss endlich etwas geschehen“

Also los: „Soll die EU eine CO2-Steuer zum Klimaschutz einführen?“ Schließlich hält sich das Klima nicht an nationale Grenzen, wie ein in einem der Pro-Argumente heißt. Deshalb gelinge sein Schutz auch nur übernationaler Zusammenarbeit. Oder wird die Wettbewerbsfähigkeit der EU gegenüber anderen Ländern durch die Steuer geschwächt. Yijing ist überzeugt: „Die Lage ist so ernst. Da muss jetzt etwas passieren“. Veronika stimmt ihr bei. „Das muss jetzt endlich etwas geschehen,“ Andreas ist gänzlich anderer Meinung. „Dann stoßen andere Länder in die Lücke und die Wirtschaft Europas ist nicht mehr konkurrenzfähig.“ Tanja Zöllner ist Moderatorin der Runde und gleichzeitig Protokollantin. Am Ende gehen vier Daumen nach oben und zwei nach unten bei der Abstimmung, einer bleibt in der Waagerechten.

„Obwohl wir uns ja alle kennen und alle aus einer Ecke kommen, ist es dann doch sehr spannend, zu merken, wie wir doch unterschiedlich denken“, sagt Yijing. Aber ohne die EU würden hier alle nicht gemeinsam an diesem Tisch sitzen, sagt Mihai aus Rumänien. Emma aus Schottland schaut bei diesen Worten angesichts des Brexits nicht sehr glücklich. „Wir werden dich adoptieren“, versprechen die anderen.

So funktionieren Hausparlamente

Die pro-europäische Bürgerbewegung „Pulse of Europe“ wurde im November 2016 Daniel und Sabine Röder in Frankfurt/Main gegründet. Inzwischen ist sie in 21 Ländern in etwa 100 Städten vertreten. Im März hat der Zusammenschluss den Erich-Fromm-Preis in Stuttgart verliehen bekommen.

Die Treffen in private Wohnzimmern und Kneipen sind eine Form der Bürgerbeteiligung, die Teilnehmer debattieren und stimmen über verschieden Europathemen ab. Die deutschen Spitzenkandidaten Manfred Weber (EVP) und Katharina Barley (SPD) sowie Guy Verhofstadt (ALDE) haben zugesagt, nach der Europawahl zu den Vorschlägen Stellung zu nehmen. Bis zum 7. April können sich Interessierte noch unter www.pulseofeurope.eu oder www.homeparliaments.eu als Gastgeber bewerben.