Warum nutzen so wenig Bürger die Möglichkeiten zur Mitbestimmung? Die SPD-Fraktion im Stuttgarter Rathaus – seit jeher Befürworter von Bürgerbeteiligung auf allen Ebenen – sieht strukturelle Gründe als Ursache dafür und spricht von einem „Durcheinander bei der Bürgerbeteiligung“. Eineinhalb Jahre nach dem Beschluss des Gemeinderats, auf Antrag der Grünen ein Gesamtkonzept zur Bürgerbeteiligung erarbeiten zu lassen, liege bis heute kein Vorschlag der Verwaltung auf dem Tisch, moniert SPD-Fraktionschef Martin Körner. Der Sozialdemokrat kritisiert am Beispiel des Themas Nahverkehr auch, dass der OB nicht deutlich genug auf die Grenzen der Beteiligung, etwa durch vorgegebene rechtliche Rahmenbedingungen, hingewiesen habe. Der Bürgerfrust sei programmiert, wenn sich herausstelle, dass die Anregungen gar nicht im Nahverkehrsplan berücksichtigt werden können.

 

SÖS-Linke-Plus fordert Verbindlichkeit des Bürgerwillens

Ist also Enttäuschung eine Ursache für die mangelnde Beteiligung der Bürger an solchen Verfahren? Auch Grünen-Fraktionssprecherin Anna Deparnay-Grunenberg meint, dass die Rahmenbedingungen vor Beginn des Verfahrens klar definiert werden müssten: Was kann eine Kommune überhaupt entscheiden? Welche Entscheidungen trifft die Bürgerschaft und welche der Gemeinderat? Wichtig sei zudem eine gezielte und professionelle Werbung für die Beteiligungsverfahren und eine zügige Umsetzung der Ergebnisse. Aus Sicht des CDU-Fraktionsvorsitzenden Alexander Kotz braucht es attraktive, auf unterschiedliche Zielgruppen zugeschnittene Beteiligungsformate für die Bürger.

Dass das allein ausreicht, bezweifelt Hannes Rockenbauch. Der Chef der Fraktionsgemeinschaft SÖS-Linke-Plus, der sich in seiner Doktorarbeit mit dem Konflikt zwischen Bürgerbeteiligung und parlamentarischer, repräsentativer Demokratie befasst, ist überzeugt: „Die Ergebnisse solcher Prozesse müssen verbindlicher werden. Der Bürger muss sehen, dass sich sein Engagement lohnt.“ Aber auch die meist online-basierten Beteiligungsverfahren hält Rockenbauch nicht für das Nonplusultra. Er plädiert für öffentliche Veranstaltungen, bei denen Vertreter von Politik, Verwaltung und Bürgerschaft Ideen miteinander diskutieren, Themen priorisieren und gegeneinander abwägen.