Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Auch in Berlin wollen sich Harald Welzer (58) und Andre Wilkens (53), zwei der Mitgründer der Initiative Die offene Gesellschaft nicht mehr von deren Gegnern die Themen vorgeben lassen. Auch sie sind der Überzeugung, dass das Dagegensein viel zu viel Kräfte binde. Der neue Geist lasse sich vielleicht mit dem Slogan „Das Dafür ist das neue Dagegen“ beschreiben, frotzeln sie – und werden wieder ernst: „Die Vorstellung, dass alle Leute wütend sind und sich den ganzen Tag bedroht fühlen, muss mal aus den Köpfen raus“, sagt Welzer. Bewusst haben sie die Schrift des Philosophen Karl Popper von den „Feinden der offenen Gesellschaft“ aufgegriffen. Aber genauso bewusst konzentriert sich ihre Arbeit auf die Anhänger des Lebens demokratischer Selbstverständlichkeiten. Etwa 2000 Freunde hat die Initiative, die wie #PulseofEurope daran arbeitet, sich als Verein zu konstituieren. Im Moment werden sie von der Robert-Bosch-Stiftung unterstützt. Aber ähnlich wie die Frankfurter leben sie trotz eines kleinen Büros organisatorisch von der Hand in den Mund.

 

„Für mich war es eine Sternstunde der Demokratie, als im Spätsommer 2015 ein ganzes Volk so reagiert hat, wie es sich ein Gemeinschaftskundelehrer gewünscht hätte“, sagt Welzer und beschreibt den Moment, als ihm klar wurde, dass dieses positive Gefühl bewahrt werden müsse. Als die Flüchtlinge in großer Zahl kamen, hätten die Menschen gezeigt, dass sie aus der deutschen Geschichte gelernt hätten. „Es war ihnen wichtig, auf der richtigen Seite zu stehen“, sagt er. Demokratie stärken heißt für ihn auch, Menschen in Gesprächen in ihrer Haltung zu stärken. „Wenn die gesellschaftliche Spannung größer wird, ist das nicht die Stunde der Eliten, das ist die Stunde der Bürgergesellschaft.“

Der 17. Juni als Tag der offenen Gesellschaft feiern

„Es ist cool, dafür zu sein“, sagt Andre Wilkens, der in Potsdam aufgewachsen ist. Der Autor hat für das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen in Genf gearbeitet und zuvor für die EU. „Mein Vater hat mich 1991 mit dem Lada nach Brüssel gefahren“,, erinnert er sich. Für Andre Wilkens ist Demokratie nicht nur Kopfsache, sondern wie für die Menschen in Frankfurt ein Lebensgefühl. Für ihn bedeutete das Ende der DDR endlich wählen, offen denken und auch einfach losfahren zu können und an keiner Grenze anhalten zu müssen. Am Dienstag wird er im Stuttgarter Staatstheater um 19 Uhr bei einer Diskussionsrunde „Brauchen wir die EU wirklich?“ vielleicht von diesem Gefühl erzählen.

„365 Tage für die offene Gesellschaft“ heißt die Aktion der Berliner, die auf den 24. September, den Tag der Bundestagswahl, zuläuft. Zuvor wollen aber auch sie quer durchs Land ein deutlich sichtbares Zeichen setzen. Den 17. Juni wollen sie als Tag der offenen Gesellschaft begehen. An diesem Samstag im Frühsommer, so plant Welzer, sollen möglichst viele Menschen und Institutionen im Land einen Tisch vor ihr Haus stellen und mit ihren Nachbarn essen, trinken – und reden. Am besten noch mit einheitlichen Tischtüchern. „Wie eine einzige große Christo-Installation sähe das dann aus“, schwärmt Wälzer. Das wäre ein Zeichen und der Beweis, dass Demokratie auch gute Laune machen kann.