Immer mehr Menschen haben das Gefühl, für demokratische Errungenschaften eintreten zu müssen. In zehn deutschen Städten geht die Initiative „#PulseofEurope“ dafür schon auf die Straße. Auch der Verein „Offene Gesellschaft“ will die Zivilgesellschaft stärken.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Frankfurt/Berlin - Ist die Demokratie und damit die Lebensform der offenen Gesellschaft mit allen Freiheiten und Chancen in Gefahr? „Das Unmögliche wird möglich“, sagt der Frankfurter Rechtsanwalt Daniel Röder– und meint die Wahl Donald Trumps. „Noch nie war die Demokratie so gefährdet wie jetzt“, sagt in Berlin der Soziologie-Professor Harald Welzer. Er hat das Werden des Nationalsozialismus erforscht und denkt nun in der Stiftung Future Zwei über Zukunftsfähigkeit nach. Im Moment wäre Harald Welzer jedoch schon froh, die Gegenwart hätte Bestand. Was also tun?

 

Es ist an der Zeit, einmal für etwas zu sein, statt immer nur dagegen, und das auch zu zeigen, sagen beide unabhängig voneinander. Röder und Welzer sind nicht die Einzigen im Land, die glauben, es sei nötig, für die demokratischen Errungenschaften und Selbstverständlichkeiten einzutreten. Demokratie nur von der Zuschauertribüne zu erleben, das war einmal. Röder hat in Frankfurt im November 2016 mit einer Handvoll Freunden die noch junge Initiative #PulseofEurope gegründet, Welzer zusammen mit anderen in Berlin den Freundeskreis Offene Gesellschaft. Die einen setzen auf das sichtbare Zeichen der Kundgebung, die anderen auf Diskussionen und Gesprächskreise zur Stärkung des demokratischen Bewusstseins und des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Bereits in zehn Städten demonstrieren die Menschen

In Frankfurt, wo #PulseofEurope seinen Ursprung hat, gehen sie am Sonntag um 14 Uhr wieder auf die Straße. Sie wollen den Pulsschlag Europas wieder spürbar machen. Den fünften Sonntag in Folge schon. Und nicht nur dort. Mittlerweile tun es ihnen Menschen in zehn Städten gleich. Auch Karlsruhe, Freiburg, Köln, Amsterdam, Berlin, Celle, Hamburg, Heidelberg, Kassel, München machen mit – und wahrscheinlich bald auch Stuttgart. Die Wahlen in den Niederlanden in vier Wochen stehen ihnen ebenso vor Augen wie die in Frankreich. Und damit der mögliche Sieg der Rechtspopulisten und Nationalisten. Die Demonstranten treibt die Sorge um, dass Europa dann wieder ein Stückchen weiter bröckeln könnte. „Bleibt bei uns Europäern“ werden sie den Niederländern wieder zurufen. „Wir wollen den proeuropäischen Politikern Mut machen“, sagt Röders Mitkämpfer Jens Pätzold.

#PulseofEurope setzt auf den emotionalen Kern der europäischen Idee und nicht auf die Bürokratiedebatte, die für viele EU-Zweifler in den Vordergrund getreten ist. Europa sei das größte Friedensprojekt der Nachkriegszeit, sagt Daniel Röder. Die Menschen in Frankfurt sind bereit, sich an diesem Gedanken zu berauschen. „Wir sind eine Pro-Bewegung, eine solidarische Bürgerbewegung“, sagt Röder. In seiner Stimme liegen Begeisterung und Wehmut zugleich: Es gehe um „ein Europa, in dem die Achtung der Menschenwürde, die Rechtsstaatlichkeit, freiheitliches Denken und Handeln, Toleranz und Respekt selbstverständliche Grundlage des Gemeinwesens sind“. Schon die Entscheidung der Briten für den Brexit war ein Einschnitt. Die Wahl Donald Trumps erst recht.