In Stuttgart gibt es einen einzigen Bürgerbus. Ohne ihn wüssten viele Senioren nicht, wie sie zum Arzt, zum Einkaufen oder einfach nur aus der Wohnung kommen sollen.

Botnang - Anschnallen, Handys aus!“, ruft Rainer Widmann und bekommt ein „Hörgeräte an!“ von einem Fahrgast zurück. Alles lacht. Widmann wartet noch einen Moment, bis alle Gäste sitzen. Erst dann tritt er aufs Gaspedal, das den BOB in Bewegung setzt.

 

BOB, das ist die liebevolle Kurzform für den Botnanger Ortsbus, ein umgebauter Mercedes-Sprinter mit acht Sitzplätzen und Raum für Gehhilfe, Einkaufswagen und Zwischenmenschliches. Und: Er ist der einzige Bürgerbus in Stuttgart. Getragen von engagierten Ehrenamtlichen des Botnanger Bürgervereins, unterstützt von Spendern und Sponsoren sowie den zahlreichen Fahrgästen, die es ihren Fahren täglich danken. Mehr als 12 000 Fahrgäste nutzten den BOB vergangenes Jahr.

Mehr mit will, winkt

An diesem Freitagmorgen fährt Rainer Widmann (76), graue Haare, graue Hose, den Bürgerbus. Seit sechs Jahren ist er einer von 20 ehrenamtlichen Fahrern, die den BOB von Montag bis Samstag durch den Bezirk steuern. Alle sind Ruheständler. Den Tag gestartet hat Widmann um 8.30 Uhr an der Haltestelle Ortsmitte. So ist das jeden Tag. Alle 15 Minuten wird er hier wieder vorbeikommen. So lange braucht er, um eine der vier Touren zu schaffen – ungefähr, denn der Fahrplan des BOB ist nicht verbindlich, feste Haltestellen gibt es auf den Routen nicht. Wer mit will, steht am Straßenrand und winkt.

10.30 Uhr: Fahrer-Wechsel. Nach zwei Stunden und acht Touren übergibt Widmann an der Ortsmitte an Jürgen Schäfer. Schäfer, 71, blau kariertes Hemd und Jeans, ist gleichzeitig Fahrdienstkoordinator. Wie Widmann hilft auch er jeder Dame und jedem Herrn mit dem Einkaufswagen oder dem Rollator beim Ein- und Aussteigen. Manche wollen zum Arzt oder in den Supermarkt, andere möchten weiter mit der Straßenbahn.

Für den BOB geht es bergauf und bergrunter, Kurve links, Kurve rechts. Botnang ist ein kleiner Bezirk, doch links und rechts der Straßenbahnschienen geht es oftmals steil nach oben. Gekonnt manövriert Schäfer den Bus durch die engen und zugeparkten Straßen. Von der Chopinstraße, wo die Dächer der schicken Häuser auf Straßenniveau sind, weil sie so tief in den Hang gebaut wurden, bis hin zum Bauernwald, der zu Fuß auch für jüngere Semester eine Herausforderung darstellt: Konzentration und das Bremspedal sind des Fahrers wichtigste Werkzeuge, im Winter umso mehr. Ein Linienbus, so Schäfer, würde hier gar nicht fahren können.

Der Abstecher ist auch mal drin

Den Preis für den schönen Ausblick können viele Alte in dem überalterten Bezirk nicht mehr bezahlen. „Viele Menschen könnten hier gar nicht mehr wohnen, wenn es den Bus nicht gäbe“, sagt eine ältere Dame. Als sie aussteigt, bedankt sie sich bei Schäfer: „Wenn wir sie nicht hätten.“ Der hievt ihren Einkaufswagen raus und nimmt den Dank mit einem Lächeln an. Als es im BOB gerade etwas leerer ist, setzt Schäfer eine andere Frau mit ihren Einkäufen vor der Haustür ab. Zwar liegt ihre Straße nicht direkt auf der Tour, „aber das kann man schon mal machen“, sagt er..

„Ich wollte etwas Soziales machen“, sagt Schäfer. In der Werbung sei er tätig gewesen, dann habe er seine Firma verkauft. Dass er sich in seinem direkten Umfeld engagieren kann, ist dem Botnanger wichtig. Ja, seine Arbeit ist anstrengend, nicht nur, weil er danach schauen muss, dass genügend Fahrer da sind und er noch nicht weiß, wie er die Sommerferien abdecken kann. Sondern auch, weil er viel Persönliches erfährt: Tod, Krankheit und Sorgen sind alltägliche Themen. „Immer wieder sterben uns Gäste weg. Manchmal wird einem das etwas viel“, sagt er. Lange kann er sich jedoch nicht mit trüben Gedanken aufhalten. An der Straße steht schon der nächste Gast. Der Mann winkt zwar nicht, aber Schäfer weiß, dass er mitwill.