Zum Thema Kulturviertel hat der ehemalige TV-Moderator Wieland Backes Mitstreiter aus der Kulturszene um sich versammelt. Sie wollen sich über einen Verein verstärkt in die Stadtplanung einbringen. Bei der Stadt begrüßt man das Engagement, sieht aber auch Konflikte.

Stuttgart - Folgt nach dem Abriss jetzt der Aufbruch? „Die Auseinandersetzungen um Stuttgart 21 waren ein Ballast für diese Stadt. Wir brauchen jetzt ein Projekt, das rundum positiv besetzt ist“, analysierte der ehemalige TV-Moderator Wieland Backes am Donnerstagabend bei einer Podiumsdiskussion zum Thema „Von der PS-Meile zum lebendigen Kulturviertel“. Der Applaus der rund 900 Zuhörer im voll besetzten Paul-Lechler-Saal des Hospitalhofs zeigte, dass Backes’ Appell den Nerv des Publikums getroffen hatte. Und so erfolgte dann quasi von der Bühne weg die Gründung des gemeinnützigen Vereins „Aufbruch Stuttgart“, mit dem Backes und seine Mitstreiter Impulse und Ideen für die Stadtplanung und -entwicklung einbringen wollen. Einen Termin bei OB Fritz Kuhn hat Backes schon.

 

Zuvor hatten die versammelten Kulturschaffenden auf dem Podium an Stuttgart kaum ein gutes Haar gelassen. Allenfalls auf der Karlshöhe, dem Birkenkopf oder anderen Höhen rund um die City kämen heimatliche Gefühle auf – ansonsten habe die Landeshauptstadt ein schlechtes Image, geprägt durch Begriffe wie Stauhauptstadt oder Feinstaub. Nur der Architekt Arno Lederer ließ erkennen, dass auch andernorts nicht alles optimal ist: „Immer wenn ich etwa aus Castrop-Rauxel wieder nach Stuttgart komme, habe ich Heimatgefühle.“ Moderator Stephan Ferdinand von der Hochschule der Medien kommentierte trocken: „Schlimmer geht’s immer.“

Verkehrsschneise B 14 als Hauptproblem für ein attraktives Viertel identifiziert

Die Chefin des Landesmuseums, Cornelia Ewigleben, die für die erkrankte Direktorin des Kunstmuseums, Ulrike Groos, eingesprungen war, forderte ebenso wie Opernindentant Jossi Wieler dazu auf, in größeren Maßstäben zu denken und die sprichwörtliche schwäbische Bescheidenheit abzulegen. Man müsse mit Mut an die Umgestaltung der Innenstadt, namentlich des Abschnitts zwischen Charlottenplatz und Gebhard-Müller-Platz, herangehen. Wieler, der sich, wie berichtet, mehrfach für den Bau einer Interimsoper anstelle des heutigen Eckensees stark gemacht hatte, beklagte die „schreckliche Ästhetik“ des Oberen Schlossgartens, der Eckensee sei eine „Kloake“ und die Sanierung werde „die nächste Baustelle“. Dabei hatte die Stadt die einzige Wasserfläche in der City erst vor einigen Jahren mit einer Frischwasserzufuhr ausgestattet und abgedichtet.

Arno Lederer plädierte anhand historischer Aufnahmen und Grundrisse sowie eigener Entwurfsskizzen dafür, die früheren Raumkanten zwischen Schillerstraße und Planie wieder herzustellen und so wieder „Räume für Menschen“ zu schaffen. Er könnte sich dementsprechend auch Gebäude an den Kanten des Akademiegartens oder eine Längsbebauung zwischen dem Königin-Katharina-Stift und dem Schlossgarten-Hotel vorstellen. Pläne für eine Kulturmeile habe es schon viele gegeben, sagte Lederer, sie seien aber in den Schubladen verschwunden. „Man hat immer viele Gründe gefunden, warum etwas nicht geht. Wir wollen Impulse geben, warum etwas geht“, erklärte Wieland Backes.

Kopenhagen und Ulm Beispiele für eine Verkehrsberuhigung in der City

Einig waren sich die Diskutanten darin, dass es vor allem darum gehen müsse, die Verkehrschneise B 14, die die Stadt in zwei Häften trenne, zu überwinden. Der ehemalige Ulmer Baubürgermeister Alexander Wetzig hat dies unter dem Münster vorexerziert: Die dort einst verlaufende Durchgangsstraße wurde in den 1990er Jahren nach einem Bürgerentscheid beruhigt und teilweise überbaut. „Das war nur möglich, weil es einen hohen Leidensdruck gab“, so Wetzig. „Den gibt es hier auch“, konstatierte Backes unter dem Beifall des Publikums. Die Straße beschneide nicht nur die anstehende Sanierung seines Opernhauses, sondern auch das Denken, sagte Jossi Wieler.

Man könne aber die täglich 120 000 Autos nicht einfach wegbeamen, gab Moderator Ferdinand zu bedenken. „Wir müssen einfach weniger Autos in die Stadt lassen“, beschied ihm Arno Lederer – Kopenhagen habe es vorgemacht. Und Alexander Wetzig verwies einmal mehr auf Ulm: „Da fahren auch Autos, aber es ist eine neue Mobilitätskultur entstanden – die Autos fahren langsamer und nehmen Rücksicht.“ Es brauche allerdings einen langen Atem, die Beteiligung der Bürgerschaft sowie einen Gemeinderat samt Verwaltung, die mitziehen wollen.

Die Stadt sieht das Engagement positiv, befürchtet aber auch Konflikte

Keine Rede war zumindest an diesem Abend von der stadtklimatologischen Bedeutung der noch vorhandenen Grünflächen in der Innenstadt, was auch daran lag, dass auf dem Podium weder Politiker noch Fachleute aus der Verwaltung saßen. „Wir wollten heute bewusst keinen politisch kontroversen Disput haben“, begründete der Journalist Backes die Auswahl der Podiumsteilnehmer.

Bei der Stadt begrüßt man das bürgerschaftliche Engagement für die Stadtgestaltung, sieht aber auch Konflikte. Auch Kulturbauten wie etwa die von Backes geforderte Philharmonie an der Schillerstraße würden das sensible Stadtklima beeinträchtigen. Angesichts des Klimawandels und der damit verbundenen Aufheizung des Talkessels sowie der Luftverschmutzung müsse man um jede freie Grün- und Wasserfläche in der City froh sein, heißt es aus dem Rathaus. Die Ästhetik des öffentlichen Raums sei das eine – die grüne Lunge der Stadt dürfe aber nicht geopfert werden.