Vor dem Bürgerentscheid über eine Unterkunft für Flüchtlinge geht es nicht nur sachlich zu. Der Gemeinderat segnet an diesem Donnerstag eine Stellungnahme zum Standort ab.

Korntal-Münchingen - Bis vor einigen Tagen klingelte bei Gudrun Bosch immer wieder das Telefon. Mal vor Mitternacht, auch nachts um halb vier. Stets war die Rufnummer unterdrückt, und der Anrufer legte auf, wenn Bosch sich meldete. Inzwischen habe es sich beruhigt, sagt Bosch. „Die haben ja ihr Ziel erreicht.“ Die alteingesessene Korntalerin spricht damit von den Initiatoren eines Bürgerbegehrens: Im Oktober wird über den Standort einer neuen Flüchtlingsunterkunft abgestimmt.

 

Der Telefonterror dürfte mit der Debatte über die Unterkunft zusammenhängen. Der Gemeinderat sieht einen Standort am Korntaler Friedhof vor, der vor allem wegen seiner Lage umstritten ist. Einige Bürger strebten deshalb das Bürgerbegehren an, das der Rat für zulässig erklärte.

Anonyme nächtliche Anrufer

Gudrun Bosch hatte im örtlichen Mitteilungsblatt Position bezogen und bekam seither die anonymen Anrufe. Sie bleibt bei ihrer Kritik, die sich an der Argumentation der Bürgerentscheid-Befürworter entzündet. Standortgegner hätten schlicht „andere Leute für ihre Eigeninteressen missbraucht“, sagt sie.

Die Initiatoren hatten Pietätlosigkeit beklagt: Der Bau auf einer ursprünglich für die Friedhofserweiterung vorgesehnen Fläche sei „menschenunwürdig“ und bedeute eine „Störung der Totenruhe“. Bosch hatte einem der Initiatoren auch vorgeworfen, als Immobilienbesitzer in Wahrheit aus persönlichen Gründen aktiv geworden zu sein. Sie meinte Sven Koch, der dies vehement bestreitet.

Mit den Worten „mehr Scheinheiligkeit geht wohl nicht“ hatte Bosch ihren Leserbrief beendet. Dieser war Ende Mai wie zig andere Lesermeinungen kontroversen Inhalts im Mitteilungsblatt erschienen. Dass ihr Brief solche Reaktionen auslösen würde, habe sie sich vorher gar nicht überlegt, sagt Bosch. Gleichwohl habe sie aber auch „sehr viel Zustimmung“ erhalten.

Abstimmung am 16. Oktober

Neben den vielen anonymen Angriffen hatte Bosch nach eigenen Angaben nur einen einzigen persönlichen Kontakt, eine Person habe sie direkt angesprochen. Sie selbst wiederum hatte diesbezüglich mit dem Chef der Grünen-Fraktion im Gemeinderat, Wolf Ohl, Kontakt. Ohl erklärt zum Telefonterror, er habe „mit Schrecken davon gehört“. Am Rande eines Gesprächs habe er auch die Stadtverwaltung davon in Kenntnis gesetzt. Im Rathaus heißt es, man wisse von Reaktionen gegenüber beiden Seiten, konkret sei aber niemand an sie herangetreten. „Insgesamt nehmen wir die Stimmung als relativ entspannt wahr“, sagt die Rathaussprecherin Benita Röser.

„Sehr viele Solidaritätsbekundungen und Unterstützung“ habe er erhalten, sagt Sven Koch. Er beteuert wiederholt, nichts gegen Flüchtlinge zu haben, aber wegen der Dimension des Objekts perplex gewesen zu sein. Abgesehen davon gehöre die für die Friedhofserweiterung vorgesehene Fläche nicht bebaut. Die Stadt hat den Bedarf zur Erweiterung jedoch vor einiger Zeit verneint.

Am 16. Oktober stimmt nun die Bevölkerung über den Standort der Flüchtlingsunterkunft ab. Bis zu 20 Tage vor dem Bürgerentscheid haben der Gemeinderat und die Initiatoren des Entscheids die Möglichkeit, der Bevölkerung ihre Argumente darzulegen. Laut der Rathaussprecherin wird dies im Amtsblatt geschehen. Der Gemeinderat wird sich an diesem Donnerstag mit seiner Stellungnahme in öffentlicher Sitzung befassen. Nichtöffentlich wurde sie vorberaten. Ohne auf den Inhalt einzugehen, hält Wolf Ohl sie für „sehr sachlich und nüchtern“. Das sei richtig, sagt er – auch wenn er befürchtet, dass deren Wirkung gegen die emotionsgeladenen Argumente der Gegenseite verblasse.