In einem Mitmachprojekt kann jeder als Nachtigall-Forscher aktiv werden. So wollen Berliner Wissenschaftler unter anderem die regionalen Besonderheiten und Dialekte dieser Vögel erkunden.

Berlin - Seit je hat der Gesang der äußerlich eher unscheinbaren Nachtigallen die Fantasie ihrer menschlichen Zuhörer angeregt. Der Gesang dieser Vögel gilt als einer der kunstvollsten und komplexesten im gesamten Tierreich. Berühmte Komponisten von Ludwig van Beethoven über Johann Strauß bis zu Igor Strawinsky haben sich davon inspirieren lassen. Doch für Wissenschaftler stecken die gezwitscherten Melodien noch immer voll spannender Geheimnisse. Wer mithelfen will, diese zu lüften, kann nun selbst zum Nachtigallen-Experten werden. Das Bürgerforschungsprojekt „Forschungsfall Nachtigall“ des Museums für Naturkunde in Berlin lädt alle Interessierten ein, nach den talentierten Sängern zu fahnden.

 

Berlin ist dabei ein besonders vielversprechendes Pflaster. Nicht umsonst sprechen Fachleute auch von der Hauptstadt der Nachtigallen. „Schätzungen zufolge sollen in Berlin etwa 3000 dieser Vögel leben“, sagt Silke Voigt-Heucke, die das Forschungsprojekt leitet. Das sind also 1500 männliche Sänger, deren Darbietungen Bürgerwissenschaftler vor allem im Mai und Juni zuhören können. Erfolgreich kann man allerdings auch im Stuttgarter Raum sein – auch hier geben Nachtigallen ihre Sangeskünste zum Besten.

Kosenlose App

Ein wichtiger Helfer beim Nachtigallen-Tracking ist die kostenlose App Naturblick, die das Naturkundemuseum seit Längerem bereitstellt. Damit können Stadtbewohner die Natur in ihrer Umgebung erkunden und typische Tiere und Pflanzen bestimmen. Speziell für die Nachtigall gibt es nun ein Update, mit dem man zum Beispiel ihren Gesang aufnehmen kann.

„Am einfachsten ist das in der Nacht, wenn nur wenige andere Vogelstimmen zu hören sind“, sagt Silke Voigt-Heucke. Allerdings schmettern die Nachtigall-Männchen ihre melodischen Gesänge auch am hellen Tag aus den Gebüschen von Parks und Gärten, Gleisanlagen und anderen Grünflächen. Per Handy können die Projektteilnehmer jeweils zwei Minuten einer solchen Darbietung aufzeichnen und mit den Forschern teilen. Die App analysiert dabei nicht nur bestimmte Gesangsmuster und entscheidet so, ob es sich tatsächlich mit hoher Wahrscheinlichkeit um das Lied einer Nachtigall handelt. Sie erfasst zudem die Koordinaten des Standorts, an dem das Konzert stattfindet.

Singwarten sind wichtig

„Dadurch erfahren wir mehr über die Brutplätze der Tiere“, erklärt Voigt-Heucke. Aus früheren Kartierungen wissen Ornithologen, welche Ansprüche ein Nachtigallen-Paar hat. Wert legen die Vögel demnach auf reichlich Buschwerk und eine Laubschicht am Boden, außerdem brauchen sie genügend Insekten und geeignete Singwarten für ihre Konzerte. Von den neuen Daten erhoffen sich die Forscher nun Informationen darüber, welche Reviere tatsächlich besetzt sind.

„Das ist vor allem für Naturschützer und Stadtplaner interessant“, sagt Silke Voigt-Heucke. Lange fanden die gefiederten Meistersänger gerade im eher unaufgeräumten Berlin mit seinen vielen naturnahen Grünflächen besonders gute Lebensbedingungen vor. „Wir erleben hier aber gerade einen Wandel“, berichtet die Forscherin. Da werden Brachflächen bebaut, Bahngleise geräumt, Parks nach historischem Vorbild umgestaltet. Das aber kann dazu führen, dass in einigen traditionellen Konzertsälen die Arien verstummen.

Deutschsprachiger Raum

Es geht den Forschern allerdings keineswegs nur um die Berliner Nachtigallen. „Die App funktioniert im gesamten deutschsprachigen Raum“, sagt Silke Voigt-Heucke. „Und wir freuen uns jederzeit über Meldungen aus anderen Regionen Deutschlands, aus Österreich und der Schweiz.“ Solche überregionalen Aufnahmen sind vor allem für das zweite große Thema des Projekts interessant. Dabei geht es darum, mehr über den Gesang der Tiere herauszufinden. Der fasziniert Forscher schon lange, und so ist auch recht viel darüber bekannt. Klar ist zum Beispiel, dass sich die Darbietungen am Tag deutlich von denen in der Nacht unterscheiden. Das liegt daran, dass sich die Vorträge je nach Tageszeit an unterschiedliche Zielgruppen richten.

Wenn die Nachtigall-Männchen im April aus ihren Winterquartieren in Afrika zurückkommen, besetzen sie ein Territorium und fangen an zu singen. Das Tagesgezwitscher dient dabei dazu, die Revieransprüche deutlich zu machen und die Konkurrenz in die Schranken zu weisen. Zwischen 23 Uhr nachts und 4 Uhr morgens werben die gefiederten Solisten dagegen fast durchgehend um eine Partnerin. „Da die Weibchen später aus dem Winterquartier zurückkommen und dabei nachts unterwegs sind, versuchen die Männchen, sie sozusagen vom Himmel zu sich herunter zu singen“, erklärt Silke Voigt-Heucke.

Aufwändiger Gesang

Dazu betreiben sie einigen Aufwand. So haben die Berliner Nachtigallen insgesamt rund 900 verschiedene Strophen auf Lager, ältere Männchen beherrschen im Schnitt etwa 190 davon. Wenn ein Bewerber stimmlich überzeugt, landet das Weibchen – und der Familiengründung steht nichts mehr im Weg. Dann kann das Männchen seinen Nachtgesang einstellen. „In Juni-Nächten hört man daher nur noch die Junggesellen“, sagt Voigt-Heucke. Das aber können erstaunlich viele sein. Untersuchungen in Berlin haben gezeigt, dass jedes Jahr ein Viertel aller Männchen solo bleibt.

Was aber haben die Verschmähten falsch gemacht? Auch davon haben die Forscher bereits eine Vorstellung. So beurteilt die weibliche Jury offenbar nicht nur die Größe des Repertoires. Punkten kann ein Kandidat auch mit einem möglichst akkurat vorgetragenen Programm und mit Sequenzen, die besonders schwierig zu singen sind. Und das hat durchaus seine Gründe, wie Analysen zeigen: Männchen mit solchen Talenten schaffen auch besonders viel Futter für den Nachwuchs heran.

Den universellen Erfolgsgesang, bei dem jede Zuhörerin schwach wird, gibt es aber auch bei Nachtigallen nicht. Jedes Weibchen scheint seine Prioritäten etwas anders zu setzen. „Und es könnte durchaus sein, dass es dabei auch regionale Unterschiede gibt“, sagt Silke Voigt-Heucke. Da sich bisherige Untersuchungen des Gesangs meist auf einzelne Populationen konzentriert haben, ist über mögliche Dialekte nichts bekannt. Um denen auf die Spur zu kommen, brauchen die Forscher großräumig Daten aus verschiedenen Regionen. Und genau die hoffen sie mithilfe der Bürgerforscher zusammentragen zu können.

Die Nachtigall

Aussehen
So spektakulär der Gesang der Nachtigallen ist, so unscheinbar wirken sie äußerlich. Mit einer Größe von gut 16 Zentimetern erreichen sie etwa die Dimensionen eines Haussperlings, und sie bringen zwischen 18 und 27 Gramm auf die Waage. Durch ihr bräunliches Gefieder sind sie im Gebüsch gut getarnt, so dass man sie nur selten zu Gesicht bekommt.

Lebensraum Zu Hause sind die talentierten Sänger in lichten Wäldern, Parks und Gärten, auf Friedhöfen und in Heckenlandschaften. Dort ernähren sie sich vor allem von Insekten und deren Larven, zudem von Regenwürmer und Spinnen, Beeren und Früchten. Ihr gut verstecktes Nest bauen Nachtigallen meist direkt auf dem Boden oder in der Krautschicht kurz darüber.

Zugvogel Ab Mitte August fliegen Nachtigallen – und zwar jede für sich – nachts über die Alpen, das Mittelmeer und die Sahara bis ins tropische Afrika. Ihr Überwinterungsgebiet reicht von Senegal und Guinea bis nach Somalia, Kenia und Nordtansania. Im März machen sie sich auf den Rückweg. Die ersten Tiere sind dann ab Anfang April wieder in Mitteleuropa.