Die Resonanz in der Bevölkerung ist größer als bei der ersten Auflage des Bürgerhaushalts, bei dem die Bevölkerung im Internet Vorschläge zum Etat machen und bewerten kann. Doch es gibt auch Kritik – und abstruse Ideen.

Stuttgart - Wer am Wochenende noch nichts Besseres vorhat, der kann die Gelegenheit nutzen und sich im Internet an der Erarbeitung des zweiten Stuttgarter Bürgerhaushalts beteiligen. Noch bis Montag, 8. April, haben die Bürger die Möglichkeit, mit ihrer Stimme via Mausklick dafür zu sorgen, dass ihre Anliegen unter die Top Hundert der mehr als 3000 eingegangenen Vorschlägen platziert werden. Diese werden dann vom Gemeinderat geprüft – sofern sie haushaltsrelevant sind, das heißt, entweder Investitions- oder Einsparvorschläge beinhalten.

 

Das Interesse am Bürgerhaushalt hat sich gegenüber der ersten Auflage deutlich erhöht. Insgesamt haben sich rund 11 000 Bürger mehr als beim ersten Durchgang 2011 registrieren lassen, um an der Bewertung der Vorschläge teilnehmen zu können. Bisher wurden online rund 700 000 Bewertungen abgegeben. Hinzu kommen noch jene Ideen, die schriftlich bei der Stadtkämmerei eingereicht und teilweise mit angehängten Unterschriftenlisten versehen wurden, deren Authentizität noch überprüft werden muss.

Kritiker bemängeln „Spielwiese für Lobbyisten“

Gleichwohl gibt es auch kritische Stimmen, die diese Form der Bürgerbeteiligung als Spielwiese für Lobbyisten betrachten, die entsprechend ihrer materiellen und organisatorischen Voraussetzungen eifrig die Werbetrommel für ihre Lieblingsprojekte rühren. Der Turnverein Cannstatt beispielsweise, angeführt von seinem Vorsitzenden, dem früheren CDU-Stadtrat Roland Schmid, wirbt seit Wochen offensiv („Hilf mit Deiner Stimme“) unter ihren 5000 Mitgliedern um Unterstützung für den Neubau eines Kunstrasenplatzes in Freiberg. Der Verein habe nur die Chance, seinen Vorschlag durchzusetzen, „wenn alle TV-Cannstatt-Mitglieder und ihre Familien zusammen an dem Ziel arbeiten“, heißt es in einer Rundmail der Vereinsgeschäftsstelle.

Aber auch aktive Lokalpolitiker nutzen die Chance, auf diese Weise ihre Lieblingsprojekte ins Gespräch zu bringen. So kursiert etwa im Stadtbezirk Feuerbach ein Flugblatt, auf dem die Bürger aufgefordert werden, für die Sanierung und Modernisierung des örtlichen Hallenbads zu votieren – „mit den Ergänzungen von Alexander Brenner“. Brenner ist ausweislich der Homepage der CDU-Bezirksgruppe Feuerbach stellvertretender Vorsitzender der örtlichen Christdemokraten und Mitglied im Bezirksbeirat. Das Trommeln zeigt offenbar Wirkung: nach Angaben der städtischen Pressestelle zählt das Feuerbacher Hallenbad neben der City-Maut, dem Dauerbrenner Stuttgart 21, dem Bau des Rosensteintunnels sowie dem Erhalt des Kommunalen Kinos zu den meistdiskutierten Themen des Bürgerhaushalts.

Stadträte sehen noch Entwicklungspotenzial des Modells

„Diejenigen, die in der Kommunalpolitik aktiv oder ohnehin gut vernetzt sind, hätten andere Möglichkeiten, ihren Themen dem Gemeinderat schmackhaft zu machen“, findet beispielsweise der Grünen-Fraktionschef Peter Pätzold. Er sieht die Gefahr, dass die gut organisierten politischen Parteien und gut vernetzte Vereine den Bürgerhaushalt für ihre Zwecke nutzen und die Ideen kleinerer, parteiferner Bürgerinitiativen auf diese Weise nur unter ferner liefen landen. Ganz anders dagegen die Gemeinderatsfraktion der SPD: als „Demokratie pur“ lobte deren Stadtrat Andreas Reißig im Fraktionsorgan „Stadtwärts“ den Bürgerhaushalt. Reißig, der sich selbst „in aller Bescheidenheit“ als Erfinder des Stuttgarter Bürgerhaushalts bezeichnet, sieht zwar ebenfalls noch Optimierungsbedarf im Verfahren, meint aber: „Es liegt im Wesen dieses Prozedere, dass starke Interessengruppen den Bürgerhaushalt für ihre Anliegen nutzen. Das wird sich nie ganz verhindern lassen.“ Das tut freilich seiner Begeisterung für die große Resonanz keinen Abbruch. Die CDU wiederum will verhindern, dass all jene Anregungen, die keinen investiven Charakter haben und daher nicht berücksichtigt werden können, verloren gehen. Sie fordert in einem Antrag, diese Vorschläge künftig im städtischen Beschwerdesystem Gelbe Karte auszuweisen, damit sie gegebenenfalls trotzdem weiterverfolgt werden können.

Tatsächlich sind im Bürgerhaushalt zahlreiche Ideen aufgelaufen, die entweder außerhalb der Zuständigkeit der Stadt liegen oder aber keinerlei Bezug zum städtischen Haushalt haben. So fordert ein Nutzer etwa, den Daimler-Stern auf dem Bahnhofsturm durch ein Peace-Zeichen zu ersetzen. Wenig Chancen auf Realisierung hat wohl auch der Vorschlag, Sex in Stuttgarter Schwimmbädern und Saunen an bestimmten Tagen zu gestatten. Diesem Vorhaben wird der Gemeinderat wohl sogar die Rote Karte zeigen.

Abstimmung Noch bis Montag, 8. April um 24 Uhr, können im Internet unter www.buergerhaushalt-stuttgart.de die eingegangenen Vorschläge bewertet werden. Die Frist für schriftlich eingereichte Anregungen ist bereits abgelaufen.Bis Mitte April soll dann das Ergebnis der Bewertungen vorliegen.