Die SPD will die Stuttgarter an der Aufstellung des Etats beteiligen. Freunde macht sie sich damit nicht.

Stuttgart - Jürgen Zeeb, der Fraktionschef der Freien Wähler im Stuttgarter Gemeinderat, hegt keinerlei Zweifel: "Dieser Vorstoß der Sozialdemokraten ist ein populistisches Anliegen im Landtagswahlkampf. Aber wir dürfen den Leuten nichts vorgaukeln – die Verantwortung für den Etat liegt nur bei uns." Der neue Chef der CDU-Fraktion, Alexander Kotz, stößt ins gleiche Horn: "Wir müssen aufpassen, damit nicht diejenigen zum Zuge kommen, die am lautesten schreien." Selbst Werner Wölfle, der erste Mann der Grünen im Stadtparlament, äußert sich skeptisch: "Andere Städte haben mit dem Thema Bürgerhaushalt unterschiedliche Erfolge – wir müssen aus deren Fehlern lernen und dürfen den Menschen keine falschen Tatsachen vorspiegeln."

Auch nach Ansicht des Stadtkämmerers Michael Föll (CDU) sollte mit dem Stichwort Bürgerhaushalt "behutsam und mit Augenmaß umgegangen werden". Als der Finanzausschuss kürzlich im Rathaus darüber beriet, wie man in Stuttgart am besten verfahren könnte, sagte Föll: "Elemente einer Bürgerbeteiligung haben wir ja bereits, ich erinnere an die regelmäßigen Bürgerumfragen und daran, dass die Stadtbezirke eigene Budgets für besondere Projekte besitzen." Diese Initiativen wolle die Rathausspitze ausbauen, wohl wissend, "dass in anderen Städten nicht alles erfolgreich gelaufen ist, und dass ein Bürgerhaushalt zusätzliche Arbeit für den Gemeinderat und die Verwaltung bedeutet". Innerhalb der ersten drei Monate des neuen Jahres werde er seine Vorschläge unterbreiten.

"Wir wollen das Verfahren nicht überstrapazieren"


Der SPD-Stadtrat Manfred Kanzleiter indessen, früher lange Jahre an der Spitze seiner Fraktion, lässt nicht locker: "Wir wollen das Verfahren mit dem Bürgerhaushalt nicht überstrapazieren – aber wir halten an unserem Vorstoß fest: Wir alle müssen uns den Bürgern stellen." Nun gelte es, für Stuttgart ein praktikables Verfahren zu finden, einen Anfang zu machen, der in den nächsten Jahren ausgebaut werden könne. Es gehe schließlich darum, "das bürgerschaftliche Engagement durch Mitwirkung und Teilhabe zu fördern".

Beim Blick durch die Republik stechen unter dem neuen Zauberwort Bürgerhaushalt zunächst jedoch die negativen Beispiele ins Auge: So soll etwa in Potsdam bei Berlin eine Interessengruppe für den Erhalt einer von der Schließung bedrohten Sportanlage die von der Stadt erbetene Abstimmung über das Internet so beeinflusst haben, dass die Priorität der Sportanlage binnen zwei Stunden von Rang 37 der kommunalen Vorschlagsliste auf den Platz sieben emporschnellte. In Potsdam will man deshalb das Abstimmungssystem ändern.

Solingen entkam der Pleite


Auch in Solingen, unweit von Düsseldorf, fand der Bürgerhaushalt ein zwiespältiges Echo: Weil die klamme Stadt vor dem Finanzkollaps stand, musste sie 2010 nicht weniger als 44 Millionen Euro einsparen, die Bürger sollten dazu konkrete Sparvorschläge einreichen, die Regierungspräsidentin lobte dieses Verfahren ausdrücklich als "Vorreiterrolle für das ganze Land Nordrhein-Westfalen". Solingen entkam der Pleite, die Bürger hatten die Schließung ihres Stadions, eines Schwimmbades und sogar von Schulen mitgetragen, die Grund- und die Hundesteuer wurden erhöht. Kritische Bürger schimpften danach auf die Naivität ihrer Mitmenschen, während die Rathausspitze "erfreut und stolz" reagierte. Das Regierungspräsidium gewährte ihr einen finanziellen Handlungsspielraum und die Aufnahme von Krediten über 3,5 Millionen Euro.

In der Freien Reichsstadt Esslingen war der Bürgerhaushalt vor Jahren mal ein Thema – aus Mangel an Interesse der Einwohner gibt es ihn längst nicht mehr. Der letzte Bürgerhaushalt von Freiburg stammt aus dem Jahr 2008. In Köln wiederum, das den Stuttgarter Sozialdemokraten als Musterbeispiel dient, beteiligen sich via Internet bis zu Zehntausend Bürger mit konkreten Forderungen und Ideen. Zur Auftaktveranstaltung mit allen Informationen zum Haushalt lädt der Oberbürgermeister sogar in den Gürzenich, die gute Stube Kölns, die eifrige Fernsehzuschauer von den jährlichen Karnevalssitzungen her kennen. In Meerbusch bei Düsseldorf wiederum, wo es – wie in Solingen – ums Sparen ging, durften einzelne Bürger ihre Vorschläge sogar in einer öffentlichen Sitzung des Finanzausschusses vortragen.

Die Bürger dürfen mitreden


Eines freilich haben alle Bürgerhaushalte und die verschiedensten Beteiligungsverfahren der Städte und Gemeinden gemeinsam: Die Bürger dürfen mitreden, wo investiert oder wo gespart werden soll, sie können Vorschläge machen und ihre Ideen kundtun – aber entscheiden dürfen sie nicht. Das liegt nicht an der Willkür von Bürgermeistern oder Stadträten, sondern an der Kommunalverfassung, die in diesem Punkt bundesweit gleich ist. In der baden-württembergischen Gemeindeordnung heißt es dazu unmissverständlich: "Die Haushaltssatzung ist vom Gemeinderat in öffentlicher Sitzung zu beraten und zu beschließen." Von Gesetzes wegen kann der Etat einer Kommune auch nicht einem Bürgerentscheid oder Bürgerbegehren unterworfen werden.

Der Bürgermeister von Lüdenscheid sagte es mit seinen Worten: "Wir freuen uns über die Mitwirkung der Bürger – was der Rat daraus macht, werden wir sehen."