Noch immer wird gekämpft im Bürgerkriegsland. Doch viele Menschen machen sich in zerbombten Orten an die Wiedererrichtung der nötigsten Infrastruktur. Kleine, flexible Organisationen helfen dabei – die internationale Hilfsindustrie wartet noch ab.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Damaskus - Von Normalität ist das Land Lichtjahre entfernt – noch immer wird Krieg geführt in Syrien. Doch während Assads Armee die IS-Milizen Schritt für Schritt aus ihren früheren Hochburgen vertreibt, machen sich etliche Menschen an die Beseitigung der Trümmer. In Damaskus und einigen kleineren Städten zeigt sich: Immer mehr Syrer wollen ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen, ohne ewig von Nahrungslieferungen abhängig zu sein.

 

Ohne internationalen Rückhalt geht dies nicht: Bisher haben die Hilfsorganisationen das Flüchtlingselend mit massivem Aufwand in den Nachbarländern Syriens bekämpft. Nun wagen sich einige an die Ursprungsorte der Misere vor; sie bilden die Speerspitze derer, die noch kommen werden, sobald im ganzen Land eine Waffenruhe sichergestellt ist statt nur in wenigen Deeskalationszonen. Zu ihnen gehört die Diakonie Katastrophenhilfe, die dank ihres Partners – des humanitären Arms des griechisch-orthodoxen Patriarchats – in einer außergewöhnlichen Konstellation agiert: Der syrische Partner handelt relativ unabhängig und ist frei in seinen Entscheidungen. Sogar von sich gegenüberstehenden Konfliktparteien wird er um Unterstützung gebeten.

Kleine Organisationen nutzen ihre Flexibilität

Für die Diakonie Katastrophenhilfe bedeutet dies, dass sie unter den deutschen Hilfsorganisationen „mit Maßnahmen zur Schaffung von Einkommen und zur Beschaffung von Wohnraum mit Sicherheit führend im Land ist“, wie der Kontinentalleiter Asien, Michael Frischmuth, sagt. Schon im Vorjahr hätte sich die Perspektive abgezeichnet, „dass man jetzt weit mehr machen muss als die reine Not- und Überlebenshilfe“. Nun schlägt die Stunde des Wiederaufbaus, in der kleine Organisationen ihre Flexibilität nutzen, bevor die „riesige Maschinerie mit ihren Koordinierungsmechanismen“ anläuft und komplexe Absprachen erfordert, so der Syrien-Experte. „Vor einem Friedensvertrag wird die internationale Gemeinschaft die großen Mittel für den Wiederaufbau sicher nicht bewilligen“, prophezeit er.Motor der „Maschinerie“ sind dann die UN-Organisationen und ihre Partner, die ihre Nothilfeprogramme in den staatlich kontrollierten Gebieten über den syrisch-arabischen Roten Halbmond abwickeln. Bisher legen sie keinen Schwerpunkt auf Wiederaufbau. Die Helfer des Roten Halbmonds werden wegen ihrer Verbindung zur Regierung von diversen Konfliktparteien nicht als neutral angesehen; der Zugang in viele Gebiete bleibt ihnen verwehrt. Einige internationale Organisationen haben sich bei der Regierung registrieren lassen und sind bei ihren Hilfsaktionen ebenso an den Roten Halbmond gebunden. Die Diakonie Katastrophenhilfe vermeidet diese Abhängigkeit durch die Zusammenarbeit mit ihrem kirchlichen Partner und erreicht so wohl mehr Betroffene.

Wiederaufbau findet im bescheidenen Rahmen statt

Gerade ist Frischmuth von einer knapp einwöchigen Tour von Beirut im Libanon nach Damaskus und Homs zurückgekehrt. Entlang der Route gen Norden gibt es noch hart umkämpfte Landstriche, die es zu umfahren gilt. Viele Gruppierungen wollen seinen Beobachtungen zufolge nicht die Waffen ruhen lassen. Erst vor einer Woche ist in der Provinz Homs ein neuer Waffenstillstand zwischen Regierungstruppen und Rebellen in Kraft getreten, der für 84 Ortschaften gelten soll. Etwa 150 000 Einwohner sollen davon profitieren. Es ist die dritte von vier Deeskalationszonen, auf die sich Russland, die Türkei und der Iran mit den Konfliktparteien geeinigt hatten.

„Hilfe ist überall möglich, wo der Konflikt zum Erliegen kommt“, sagt Frischmuth. „Man muss nur sehen, wie sie dahin kommt, wo sie gebraucht wird.“ In nicht von der Regierung kontrollierten Regionen müsse man lokale Netzwerke nutzen, die aber nur verdeckt arbeiten können – zu riskant ist ihr Tun. So findet ein Wiederaufbau in einem bescheidenen Rahmen statt. Für die Diakonie Katastrophenhilfe bedeutet dies, dass sie sich mit ihrem Partner an der Instandsetzung von Apartments beteiligt, um Wohnraum in total verwüsteten Ortschaften zu schaffen. Zudem werden Maßnahmen gefördert, bei denen Syrer ihr Einkommen selbst erwirtschaften. Da geht es zum Beispiel um Anschubfinanzierungen für Kleingewerbe. Auch Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen sollen rasch wieder erneuert werden. In der Hölle Homs zieht nur langsam Leben ein. Im weitgehend zerstörten Stadtteil Al-Hamdaniyah ist an massenhafte Rückkehr noch nicht zu denken. Wenigstens sind einige Straßen vom gröbsten Schutt befreit. Instandgesetzt wurde die traditionsreiche Al-Ghassania-Schule. Dort besuchen bereits 650 Schüler den Unterricht. „Das hat Signalwirkung“, sagt Frischmuth. „Es soll rückkehrwillige Familien motivieren, nach Homs zurückzukehren.“ Material und Personal gebe es. In manchen Teilen müssten aber Apartmenthäuser und die Kanalisation neu gebaut werden, was die Möglichkeiten kleiner Organisationen übersteige.

Experte: Aufbau dauert mindestens fünf bis zehn Jahre

Die Diakonie Katastrophenhilfe arbeitet derzeit mit Spendengeldern, plant in Syrien aber auch mit der Unterstützung vom Auswärtigen Amt. Die Bundesregierung hat ihre Mittel in diesem Jahr um fast 1,2 Milliarden Euro massiv aufgestockt. Zugleich hat Außenminister Sigmar Gabriel klargestellt, dass damit nicht der Wiederaufbau finanziert wird, „solange in Damaskus keine glaubwürdige politische Wende stattfindet“. So fließt fast alles in die Nothilfetöpfe der Vereinten Nationen. Bei den UN-Geldern haben die Geldgeber jedoch kaum Einfluss auf die Verwendung. Der Effekt in Syrien sei mager, rügen die Nichtregierungsorganisationen, die nur zu einem ganz kleinen Prozentsatz an der Aufstockung teilhaben. Die UN dürften nicht der einzige Adressat für die vielen Millionen Hilfsgelder sein, fordern sie.

Frischmuth rechnet mit mindestens fünf bis zehn Jahren für den Aufbau. Als Nächstes will die Diakonie Katastrophenhilfe ein Büro in der jordanischen Hauptstadt Amman errichten, um näher an ihren Projekten zu sein. Ziel ist eine eigene Präsenz in Damaskus, was wichtig wäre für den legalen Status. Denn klar ist: „Wir wollen in Syrien dauerhaft präsent sein.“