Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Noch einmal irgendwo im Land als Schultes anzutreten, das kann sich Klaus Rau aber nur insgeheim vorstellen. "Dieser Beruf steht für mich zwar noch immer oben auf meiner Top-Liste", sagt er. Aber die Erfahrung, so ungebremst auf den Boden geknallt zu sein, stecke immer noch tief in ihm. "Auch meiner Frau will ich das nicht mehr antun. Sie hat noch viel länger gebraucht als ich, um es zu verdauen."

 

Der Ausstieg

Nach einem Spaziergang durch sein geliebtes Kirchheim kehrt Manfred Merkle gern noch ins Café Moser auf einen Cappuccino ein. Doch zu mosern hat Merkle rein gar nichts. Denn nach 24 Jahren als Bürgermeister in Ohmden, Kreis Esslingen, ist er seit wenigen Wochen Pensionär und sagt: "Ich genieße es, frei zu sein."

Tatsächlich erhält der 57-jährige Merkle nicht nur eine Rente, die er selbst als auskömmlich bezeichnet. Er ist vor allem mit sich selbst im Reinen. Als er nämlich im Oktober 2010 im ersten Wahlgang nur ein gutes Drittel der Stimmen erhielt, zog er seine Kanditatur zurück und ist offiziell also gar nicht abgewählt worden. Zudem habe es im Wahlkampf keine konkreten Vorwürfe gegen ihn gegeben. Die schlimmste Kritik, die eine Bürgerin gegenüber seiner Frau geäußert habe, sei diese gewesen: "Ihr Mann hat nichts falsch gemacht. Aber nach 24 Jahren will man einfach mal ein neues Gesicht im Rathaus sehen."

Klaus Rau ist ein großer, fast bulliger Mann. Den haut so schnell nichts um, könnte man meinen. Doch dieser Schluss vom breiten Kreuz aufs dicke Fell ist falsch: Der damals 39-jährige Bürgermeister der 6000-Einwohner-Gemeinde Neckartenzlingen im Kreis Esslingen ist in ein tiefes Loch gefallen, als er vor zehn Jahren nicht wiedergewählt wurde. "Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte - ich stand nackt und bloß da", sagt er rückblickend. Da er nur für eine Wahlperiode im Rathaus gesessen hatte und noch keine 45 Jahre alt war, besaß er zudem keinerlei Pensionsansprüche. Dreieinhalb Monate Übergangsgeld, das war's. Dann kam das Nichts.

Heute, nach so langer Zeit, fällt es Klaus Rau wieder leicht, über jenes extrem schwierige Jahr in seinem Leben zu sprechen, auch wenn die Narben nie verschwinden werden. Das hat ihn damals umgetrieben: die Grübelei darüber, welche Fehler er gemacht hat. Die Enttäuschung, dass keiner aussprach, was alle hinter seinem Rücken tuschelten. Das Gefühl bei Bewerbungsgesprächen, die Abwahl werde als Malus angerechnet. Und vor allem die Angst, keinen Job mehr zu bekommen. "Ich will nicht darüber nachdenken, was passiert wäre, wenn ich die Kurve nicht gekriegt hätte", meint er ernst. Mit Frau und zwei kleinen Kindern hat sich Klaus Rau ganz nah am Abgrund gefühlt.

Als das Übergangsgeld auslief, war noch immer keine Anstellung in Sicht. Doch das Glück war letztlich auf seiner Seite. Schon immer hatte sich Rau ehrenamtlich beim Deutschen Roten Kreuz engagiert, nun konnte er beim Kreisverband Freudenstadt als Geschäftsführer anfangen. Es war ein Übergangsjob, wie Rau heute einräumt: Er, der Familienmensch, tat sich schwer damit, seine Kinder die ganze Woche nicht zu sehen. Rau griff deshalb zu, als er nach kurzer Zeit in gleicher Position zum ungleich größeren DRK Nürtingen-Kirchheim wechseln konnte. Der Verband betreibt mehrere Seniorenzentren, und Klaus Rau ist heute der Chef von zigfach mehr Mitarbeitern als einst in Neckartenzlingen: "Doch ich stehe nicht mehr so im Licht der Öffentlichkeit, das macht die Arbeit um einiges einfacher."

Klaus Rau ist mit seiner Familie nicht weggezogen, er wohnt weiter in Neckartenzlingen. Mancher der früheren Gegner senke noch den Blick, wenn man sich im Ort begegne, sagt Rau. Doch die Zeit der Vorwürfe ist vorbei. Mittlerweile kommt Rau sogar hin und wieder ins Rathaus zurück - jedoch nicht aus Nostalgie. Sein DRK baut gerade ein Pflegeheim mitten im Ort, da gibt es immer wieder Dinge mit dem neuen Bürgermeister zu besprechen.

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Noch einmal irgendwo im Land als Schultes anzutreten, das kann sich Klaus Rau aber nur insgeheim vorstellen. "Dieser Beruf steht für mich zwar noch immer oben auf meiner Top-Liste", sagt er. Aber die Erfahrung, so ungebremst auf den Boden geknallt zu sein, stecke immer noch tief in ihm. "Auch meiner Frau will ich das nicht mehr antun. Sie hat noch viel länger gebraucht als ich, um es zu verdauen."

Der Ausstieg

Nach einem Spaziergang durch sein geliebtes Kirchheim kehrt Manfred Merkle gern noch ins Café Moser auf einen Cappuccino ein. Doch zu mosern hat Merkle rein gar nichts. Denn nach 24 Jahren als Bürgermeister in Ohmden, Kreis Esslingen, ist er seit wenigen Wochen Pensionär und sagt: "Ich genieße es, frei zu sein."

Tatsächlich erhält der 57-jährige Merkle nicht nur eine Rente, die er selbst als auskömmlich bezeichnet. Er ist vor allem mit sich selbst im Reinen. Als er nämlich im Oktober 2010 im ersten Wahlgang nur ein gutes Drittel der Stimmen erhielt, zog er seine Kanditatur zurück und ist offiziell also gar nicht abgewählt worden. Zudem habe es im Wahlkampf keine konkreten Vorwürfe gegen ihn gegeben. Die schlimmste Kritik, die eine Bürgerin gegenüber seiner Frau geäußert habe, sei diese gewesen: "Ihr Mann hat nichts falsch gemacht. Aber nach 24 Jahren will man einfach mal ein neues Gesicht im Rathaus sehen."

Ja, es gab den Schmerz, dass man ihn nicht mehr haben wollte in Ohmden mit seinen 1700 Einwohnern, vor allem in den Tagen direkt nach der Wahl. Er hätte nämlich noch Lust gehabt zu einer weiteren Amtsperiode und bewegte einige Ideen in Herz und Hirn. Dieses Gefühl, abgeblitzt zu sein, hat auf seinen Sohn abgefärbt. Der hatte als Hauptamtsleiter in einer anderen Gemeinde damit geliebäugelt, irgendwann selbst als Bürgermeister zu kandidieren. Das sei jetzt vorbei, sagt Manfred Merkle.

"Eine Beschäftigung braucht doch der Mensch."

Doch der Schmerz wich schnell der schönen Aussicht, gesund in Pension gehen zu können. An Silvester 2010, seinem offiziell letzten Arbeitstag, stand Manfred Merkle um Mitternacht auf der Burg Teck und schaute ins Land hinaus, wo allerorten die Raketen den Nachthimmel erleuchteten. "Ich spürte in diesem Moment eine echte Befreiung in mir", sagt er: "Es gab keine Sehnsucht, keine Wehmut."

Manfred Merkle hantiert jetzt viel mit seiner neuen Fotoausrüstung herum oder trifft sich mit seinen Kameraden von der Rettungshundestaffel. Aber so langsam denkt er doch wieder daran, ein wenig werktätig zu sein. Als Freiberufler will er seine kommunale Erfahrung weitergeben: "Eine Beschäftigung braucht doch der Mensch."

Die Zeit des Bürgermeisters ist vorbei - und Chef wird Manfred Merkle höchstens noch an wenigen Tagen im Jahr sein. Seine Leidenschaft ist das Segeln: Als Skipper auf dem Bodensee gibt Merkle auch künftig noch das Kommando.

In 48 Stunden vom ersten Bürger der Stadt zum Verbrecher

In seinem privaten Büro hat Reinhard Frank einen Leitzordner stehen, den er immer dann herauszieht, wenn er etwas Seelenbalsam nötig hat. Gesammelt sind darin all jene Briefe von Bürgern, Kollegen und selbst dem Ministerpräsidenten, die Frank im Spätherbst 2004 erhalten hat, nachdem er als Oberbürgermeister von Göppingen knapp abgewählt worden war. Der Tenor aller Briefe: Da hat einer nur Pech gehabt, ist aber eigentlich kein schlechter Kerl. "Das hat mich aufgerichtet", sagt Frank.

Aufmunterung konnte der damals 49-Jährige, der den OB-Job in seiner Heimatstadt und für die 57.000 Göppinger immer als Traumposten verstanden hatte, gebrauchen. Denn für Frank kam es knüppeldick: Erst stellten die Bürger ihm den Stuhl vor die Tür, zwei Tage später durchsuchte die Staatsanwaltschaft sein Haus. Der Vorwurf lautete Bestechlichkeit im Wahlkampf. "In 48 Stunden vom ersten Bürger der Stadt zum Verbrecher - das war eine traumatische Erfahrung für mich", sagt Frank, den man eigentlich nur als strahlend lachenden Vollblutpolitiker kannte. Die Ermittlungen wurden ergebnislos eingestellt.

Sein Glücksordner, seine Frau und seine vier Kinder haben ihm Halt gegeben. Und auch das Wissen, dass er als gelernter Jurist zumindest die Möglichkeit hatte, sich selbständig zu machen. Nur zehn Wochen nach der Verabschiedung aus dem Amt trat er in eine Anwaltskanzlei in Göppingen ein. Doch letztlich sah seine Traumatherapie anders aus: Er wollte sich nochmals einer Wahl stellen. Drei Monate später, im Mai 2005, kandidierte er für das Amt des Landrates im Main-Tauber-Kreis und wurde gewählt. Heute dankt er seinem Herrgott, in der herrlichen Kulturregion um Tauberbischofsheim leben zu dürfen. Manches im Leben habe vielleicht doch einen tieferen Sinn, sagt Reinhard Frank heute. Und rät jedem Menschen, der es sich zutraue, wieder zur Kandidatur als Schultes: "Das ist ein toller Job, der einen ganz erfüllen kann."

Der schöne Spruch, dass jede Krise auch eine Chance biete, ist Reinhard Frank dennoch zu abgegriffen: "Das hat mir mein Beigeordneter in Göppingen damals auch immer gesagt, aber ich konnte das nicht glauben." Bis heute spricht er lieber von einer "sehr prägenden Erfahrung mit glücklichem Ausgang." Und nachdenklich fügt er hinzu: "Nicht alle abgewählten Kollegen haben dieses Glück gehabt."