Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)
Wie ging es dann weiter?
Man hat die Tabletten zurückgefahren. Nach fünf Wochen habe ich abgebrochen, und ich bin in das Furtbachkrankenhaus gekommen, eine Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Stuttgart. Ich bin Beamter und war auf einer Privatstation. Es war sehr gut dort.
Wie lange waren Sie in dieser Klinik?
Von Anfang Februar bis Anfang Juni. Ich war richtig lange weg und habe meine Familie in der Regel nur einmal in der Woche gesehen. Nach zwei, drei Wochen durfte ich ab und zu für eine Nacht nach Hause.
Haben Sie Kontakt gehalten zum Rathaus?
Als es mir dann besser ging, habe ich mit Arbeitsversuchen angefangen, habe mich mit meinen Mitarbeitern zusammengesetzt, die aktuellen Themen durchgesprochen. Ich habe eine Trauung gemacht – auch als Arbeitsversuch.
Wann genau haben Sie sich öffentlich bekannt?
Als ich wieder da war, habe ich beschlossen: Du gehst offensiv mit der Krankheit um. Beim Bürgerempfang der Gemeinde im Juni, vor 400 oder 500 Gästen, habe ich von meiner Erkrankung erzählt. Ich dachte mir: Vielleicht kannst Du noch ein paar Leuten helfen, denen es ähnlich geht, die sich aber nicht trauen aus der Deckung zu kommen.
Wann fiel die Entscheidung?
Ich habe mich schon während der Behandlung entschieden, offen über die Krankheit zu sprechen, auch um die Gerüchteküche abzuschalten. Die Therapeuten haben gesagt: das finden sie mutig, aber es würde sicher etwas bringen – weil sich andere eben nicht trauen.
Was haben Sie während der Zeit in der Klinik über die Gesellschaft gelernt?
Die Patienten waren ein richtiges Abbild der Gesellschaft, alle Bevölkerungsschichten waren vertreten. In der Klinik waren zum Beispiel ein Arzt, ein Pfarrer, eine Krankenschwester, ein paar Lehrer, Unternehmer, alle mit Burn-out. Wir hätten eine kleine Stadt aufmachen können.
Wie erklären Sie einem nicht Betroffenen Ihre Krankheit?
Ich war nicht verrückt – ich konnte einfach nicht schlafen.
Fühlen Sie sich heute wieder komplett fit?
Ja, absolut – seit ein paar Wochen.
Wie sind Sie nach der Auszeit empfangen worden? In der Gemeinde, im Rathaus, bei Freunden, in der Familie?
Ich bin überall sehr herzlich und offen aufgenommen worden nach der Rückkehr. Die Leute haben mir das gedankt, viele haben berichtet: „Ich hatte auch mal so etwas“ oder „Mein Sohn hat das auch“. Burn-out ist offenbar weit verbreitet. Und das Rathausteam hat alles, was wir verabredet hatten, auf den Weg gebracht. Meine Frau ist auch berufstätig, mit drei Kindern war das nicht einfach. Die Familie wäre kaputt gegangen, wenn uns meine Eltern und die Eltern meiner Frau nicht unterstützt hätten. Ohne diesen Zusammenhalt hätte das alles nicht funktioniert. Ich war froh, dass ich in dieser schwierigen Lage die Familie und gute Freunde hatte.
Was haben Sie über sich selbst gelernt?
Die Krankheit hat sich nicht in den ersten drei Monaten als Bürgermeister entwickelt. Ich habe immer Vollgas gegeben, ich habe in einer kleinen Gemeinde angefangen, aber gleich mit Personal- und Führungsverantwortung, bin dann kontinuierlich aufgestiegen. Parallel dazu habe ich eine Familie gegründet und ein Haus gebaut. Alles reingepackt. Ich dachte halt, ich bin fit und gesund und ganz weit vorne. Von oben ist der Fall halt tief.
Was tun Sie, damit die Krankheit nicht zurück kommt?
Ich mache sehr viel. Man muss sein Ventil suchen und finden. Bei mir ist das der Sport. Ich war während der Therapie oft joggen im Park, ich hatte Bewegungstherapie. In der Gestalttherapie habe ich einige Arbeiten mit Ton angefertigt.
– Sascha Reber steht auf und bringt eine Schale –
Solche Freizeitaktivitäten sind manchmal wichtiger als immer nur zu arbeiten.
Schaffen Sie es, den Sport in den Bürgermeisteralltag zu integrieren?
Ich mache an mindestens sechs von sieben Tagen Sport, heute zum Beispiel in der Mittagspause gehe ich in unser tolles Freibad und schwimme meine 1000 Meter. Dann esse ich einen Salat, und wenn ich ins Büro zurück komme, dann bin ich wieder fit.