Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)
Hört sich gut an.
Gestern am Abend hatte ich nach dem Termin bei meinem Verhaltenscoach und vor der Gemeinderatssitzung ein bisschen Zeit und bis raus gegangen in den Wald. Ich wohne direkt an der Laufstrecke.
Wenn ein Bürgermeister täglich Sport in seinen Arbeitsalltag integrieren kann, dann sollte das doch jedem anderen auch möglich gemacht werden?
Genau. Ich glaube, es ist besser eine Stunde weniger am Tag zu arbeiten, als ein halbes Jahr wegen eines Burn-outs zu fehlen.
Manche Kritiker sagen: Burn-out, das gibt’s gar nicht. Gab es doch früher auch nicht. Was antworten Sie?
Burn-out ist ein bisschen ein Modebegriff. Aber darunter kann sich jeder etwas vorstellen. Prominente wie Sven Hannawald oder Ralf Rangnick hatten auch schon so etwas. Klar kann man über ärztliche Fachbegriffe diskutieren.
Burn-out und Depression seien Geschwister, sagt man. Was sagen Sie dazu? Ist Burn-Out nur ein andere Begriff für Depression – einer, der sich besser anhört?
Kann man so sagen. Ralf Rangnick hat von einem vegetativen Erschöpfungssyndrom gesprochen. Das hört sich alles sperrig an. Mir ist es egal, wie man die Krankheit bezeichnet.
Was raten Sie anderen Betroffenen?
Auf jeden Fall eine Therapie machen. Und sich danach schützen. Bei mir ist es der Sport, der hilft. Es gibt Malbücher für Erwachsene – da hätte ich früher drüber gelacht. Malbücher mit Mandalas und Landschaftsbildern, die einen dazu bringen, wegzukommen und abzuschalten. Wenn das hilft: gut. So ein Buch habe ich mir auch gekauft – aber, zugegeben, bisher nur einmal darin gemalt. Ich gehe halt lieber rennen, das macht mir mehr Spaß. Außerdem bekomme ich zur Entspannung einmal in der Woche Akupunktur.
Der britische Kulturwissenschaftler Mark Fisher sagt: Der Kapitalismus sei schuld an der stetig steigenden Zahl psychischer Erkrankungen. Es seien die ständigen Leistungserwartungen des Neoliberalismus, welche die Menschen krank machten.
Kommt mir bekannt vor.
Wir sind jederzeit erreichbar, alles ist kompliziert: der Job, die Liebe, die Kinder. Alles geht zu schnell, wir pfeifen auf dem letzten Loch. Kein Wunder, dass der Körper und die Seele irgendwann nicht mehr mitmachen. Können Sie diese Diagnose teilen?
Ja, da ist einiges Wahres mit dabei. Ich bin Betriebswirt – und glaube, es ist manchmal ungeschickt, wenn man sein Privatleben zu sehr in Richtung BWL ausrichtet. Wer ständig versucht, sich zu optimieren, sich keine Auszeiten gibt – das ist gefährlich. Da leidet auch die Kreativität drunter. Beim Schwimmen und Joggen merke ich: das Gehirn fährt runter. Nach der Ruhephase bekomme ich auf einmal viele Ideen, ich werde kreativ. Im Oktober bin ich nur noch mit Scheuklappen durch die Welt gelaufen, habe nicht mehr über den Tellerrand schauen können.
Der Betriebswirt Sascha Reber: ein Antikapitalist?
Nein, ich bin und bleibe ein Anhänger der sozialen Marktwirtschaft und des Kapitalismus. Aber man muss achtsam sein.
Lassen sich Ihre Erkenntnisse und die Schlussfolgerungen daraus auf die Arbeit im Rathaus übertragen?
Beim Umgang mit den Mitarbeitern versuche ich darauf zu achten. Ich gucke: wie lange sind die Leute hier? Arbeitet jemand zu lange?
Viele Psychologen sagen, es sei an der Zeit, unsere Prioritäten im Leben zu überdenken. Zufriedenheit entstehe nur, wenn Bedürfnisse dauerhaft erfüllt würden.
Das kann ich absolut unterschreiben.