Die Verwaltungshochschule in Kehl hat untersucht, warum sich so wenige Kandidaten für den Beruf des Bürgermeisters erwärmen können. Ergebnis: Ein Problem des Amtes ist, dass Stadtoberhäupter häufig unter Druck stehen und wenig Zeit für Privates haben.

Baden-Württemberg: Heinz Siebold (sie)

Kehl - Den Anstoß gab ein Symposium zum 40. Geburtstag der Hochschule für Verwaltung in Kehl (Ortenaukreis) im vergangenen Frühjahr. Bürgermeisterinnen und Bürgermeister diskutierten mit den Professoren und Dozenten über Probleme ihres Amtes. Nicht nur die Frauen, auch ihre jüngeren Kollegen klagten über die Schwierigkeit, Familie und Beruf zu vereinbaren. Hochschulrektor Paul Witt regte daraufhin eine Untersuchung an, die jetzt unter dem umfassenden Titel „Warum wird der Beruf der Bürgermeisterin/ des Bürgermeisters von potenziellen Kandidatinnen und Kandidaten als ‚familienfeindlich‘ wahrgenommen mit der Folge, dass scheinbar immer weniger qualifizierte Kandidatinnen und Kandidaten, insbesondere wenige Frauen, sich bewerben?“ erschienen ist.

 

Fazit: Bürgermeister stehen unter Druck und haben zu wenig Zeit für Partner und Familie. Der durchschnittliche Schultes arbeitet sieben Tage die Woche, hat selten ein Wochenende frei und macht wenig Ferien. Seine Tagesarbeitszeit beginnt meist um 9 Uhr und ist oft um 22 Uhr noch nicht zu Ende. Mit 60 bis 70 Wochenstunden ist der Bürgermeister noch stärker belastet als etwa Manager, die es auf 50 Wochenstunden bringen. Immerhin 78 Prozent der Befragten waren verheiratet, 86 Prozent davon hatten Kinder.

Allein 14 Stunden pro Woche gehören der Repräsentation

Arbeit bedeutet für Bürgermeister nicht nur die Verwaltungstätigkeit im Rathaus und die Vorbereitung und Leitung der Gemeinderatssitzungen, die Pflichtämter in Zweckverbänden und Aufsichtsräten, sondern auch die Repräsentation. Also Besuche bei Vereinen, Fassanstiche bei Dorffesten, Gratulationen bei Jubilaren und Empfang von Delegationen aus der Partnerstadt. 14 Stunden pro Woche haben die in Interviews befragten 35 Amtsinhaberinnen und Amtsinhaber allein für diese Aufgaben veranschlagt.

Hier wäre Luft für Entlastung, findet Rektor Witt: „Man kann solche repräsentativen Aufgaben auch delegieren“. Allerdings müsse man auch dafür sorgen, dass akzeptiert wird, wenn mal „nur“ der Bürgermeisterstellvertreter kommt. Viele Bürgermeister befürchten, bei der nächsten Wahl abgestraft zu werden, wenn sie nicht allgegenwärtig waren. „Es sagen alle: Klar, der Bürgermeister kann nicht überall sein – aber zu uns sollte er schon kommen“, fasst Jörg Lutz (50) das Dilemma zusammen. Lutz, seit 1999 Bürgermeister von Grenzach-Wyhlen (14 000 Einwohner), wird demnächst Oberbürgermeister in der Kreisstadt Lörrach mit 48 000 Einwohnern. „Da wird die Arbeit nicht weniger werden“, prophezeit er.

Der gebürtige Calwer ist verheiratet und hat zwei Töchter im Alter von 19 und 17 Jahren. „Wir Bürgermeister sind Marathonläufer“, betont der parteilose Jurist und Verwaltungsfachmann. „Schon aus Selbstschutz müssen wir dafür sorgen, dass wir eine Balance zwischen Arbeit und Familie finden“. Das ist nicht leicht, spontane Verabredungen mit Freunden sind schwierig, einen freien Tag am Wochenende erlebt Lutz vielleicht drei oder vier Mal im Jahr. Dafür hat er stets darauf geachtet, zum Mittagessen und vor Abendterminen nach Hause zu kommen. „Es sind weniger die Kinder, die zu kurz kommen“, sagt Lutz. Es sei vor allem die Ehefrau, die sehr viel Verständnis für ihren Mann aufbringen müsse.

In kleinen Gemeinden gibt es keine Auszeit für den Schultes

„Es muss zweifellos ein Umdenken stattfinden“, betont Paul Witt. „Der Bürgermeister muss sich auch mal eine Auszeit nehmen dürfen.“ Das ist in kleineren Gemeinden schwieriger als in großen Städten, hat die Studie ermittelt. Im Dorf fällt es eher auf, wenn der Schultes mit Familie im Freibad sitzt. „Man darf sich nicht im Elfenbeinturm verstecken“, sagt Astrid Siemes-Knoblich (52), „aber man muss auch selbstbewusst genug sein, mit den Erwartungen der Bürger offen umzugehen.“ Die Marketingfachfrau aus Düsseldorf ist im Herbst 2011 zur Bürgermeisterin der Markgrafenstadt Müllheim südlich von Freiburg (18 200 Einwohner) gewählt worden, vorher war sie selbständige Beraterin.

„Wir mussten schon immer sehr gut organisiert sein“, betont die mit einem Manager verheiratete Mutter von Sohn und Tochter im Alter von 15 bzw. 21 Jahren. „Alle mussten mitziehen, anders geht das nicht.“ Und auch nicht ohne Hilfe, weder im Haushalt noch im Beruf. „Die Bürger erwarten von uns vor allem gute Arbeit für die Gemeinde“, sagt die Müllheimer Rathauschefin. Sie hat fünf hauptamtliche Dezernenten und vier ehrenamtliche Stellvertreter und sie besteht auf Teamwork. „Ich muss nicht alles selber machen“, weist sie den Kolleginnen und Kollegen Mitverantwortung zu.

Die neue Kehler Bürgermeisterstudie will Anstöße für die Praxis geben, das ruft ein unterschiedliches Echo hervor. „Für die älteren Bürgermeister ist es normal, dass durch die große Belastung die Familie zurückstehen muss“, berichtet Paul Witt. „Aber die jüngeren – Männer wie Frauen – achten zunehmend mehr auf die Balance zwischen Arbeit und Familie“. So wie in anderen Berufen auch.