Was war 2019? Und wie geht’s weiter? Zum Jahresanfang kommen wir mit Bürgermeistern ins Gespräch. Heute: Thilo Schreiber aus Weil der Stadt, der den Marktplatz angeht.

Weil der Stadt - Noch ist der Weiler Marktplatz ein großer Parkplatz. Thilo Schreiber will das in diesem Jahr ändern. Mit der Bürgermeisterwahl steht im Herbst noch ein weiteres, wichtiges Ereignis für Weil der Stadt an.

 

Herr Schreiber, mit der Marktplatz-Sanierung erfüllen Sie den Weil der Städtern einen jahrzehntelangen Wunsch. Wie fühlt sich das an?

Dass wir dieses Projekt jetzt endlich angreifen, ist eine schöne Sache. Wir hoffen, dass die Marktplatz-Sanierung auch Impulse bei Investoren auslöst und sich positiv auf die Altstadt auswirkt. Ich will aber nicht verhehlen, dass wir jetzt zunächst zwei Jahre lang mit Einschränkungen aufgrund der Baustelle leben müssen. Ende Januar hatten wir ein Gespräch mit den direkten Anliegern und Gewerbetreibenden – das war sehr intensiv. Wir haben dabei einen gemeinsamen Bauausschuss gegründet, der bei Konflikten vermittelt.

Bei den Gewerbetreibenden gab es massive Kritik, weil der Marktplatz autofrei wird. Die Buchhändlerin Brigitte Mareczek, zum Beispiel, befürchtet Umsatzeinbußen.

Ja, Frau Mareczek hat an dem Abend ihre Argumente auch klar ausgesprochen. Mit zwei Maßnahmen wollen wir den Händlern entgegenkommen. Zum einen prüfen wir, ob wir zu den geplanten vier bis fünf möglichen Kurzzeitparkplätzen noch weitere ermöglichen können – etwa einseitig entlang der Hausfassaden von Krone-Post bis zum Schwarzen Adler, dann muss es aber eine Durchfahrtsmöglichkeit über den Marktplatz geben, vielleicht nur wochentags, samstags für den Wochenmarkt und sonntags allgemein gesperrt. Das könnte ein Kompromiss sein. Und zum anderen hat die Stadt im Mäuerlesgang noch einen Parkplatz, auf dem die Mitarbeiter der Stadtverwaltung parken. Dort könnten wir etwa 14 öffentliche Stellplätze einrichten, von denen aus man in einer Minute auf dem Marktplatz ist. Das haben an dem Abend auch die Händler begrüßt.

An der Autofreiheit des Marktplatzes – eine Idee von 2009 – wollten Sie nie rütteln?

Nein. Ich sehe jeden Tag von meinem Fenster aus, wie die Leute sich auf diesem engen Marktplatz beim Parken schwer tun. Wenn wir hinterher nur wieder Autos auf den Platz stellen wollen, dann bräuchten wir ihn nur neu zu teeren – und keine 3,8 Millionen Euro ausgeben.

Bei aller Kritik: War an dem Abend mit den Händlern auch Aufbruch zu spüren?

Durchaus! Auch die Kritiker sagen: Wir sind nicht gegen die Marktplatz-Pläne. Nur bei den Themen Parken und Verkehrsführung gehen die Meinungen auseinander. Wir sind eine der letzten Städte   in Baden-Württemberg, die einen so schönen historischen Marktplatz haben und noch nichts gemacht haben.

Bauliche Maßnahmen sind das eine. Was es aber eigentlich braucht, ist die Belebung der Altstadt. Wie gelingt das?

Wenn es dafür ein Patentrezept gäbe, dann hätten wir das schon längst umgesetzt. Was wir tun konnten, haben wir gemacht: Wir haben die Stadt- und Tourist-Info am Marktplatz eingerichtet und das Stadtmarketing und die Wirtschaftsförderung aufgebaut. Nun gehen wir konkret ans Leerstandsmanagement, auch das Einzelhandelskonzept wurde fertig erstellt. Mit dem dann sanierten Marktplatz sind die Rahmenbedingungen in Weil der Stadt dann ordentlich – aber auch die Einzelhändler, Gewerbetreibende und Dienstleister müssen ihren Teil beitragen und investieren.

Trotzdem gibt’s eher eine RückwärtsEntwicklung. Am Marktplatz schließt jetzt das einzige Café, das Café Rieder.

Ja, das hat aber nicht die Stadt ausgelöst. Klar, aufgrund der zweijährigen Baustelle ist es für die Eigentümer nicht leichter geworden, einen neuen Pächter zu finden. Wir als Stadt überlegen zurzeit, wie wir während der Bauzeit unter die Arme greifen können.

Eine Gastronomie am Marktplatz wäre ein Frequenzbringer für die Altstadt. Haben Sie da gar keine Einflussmöglichkeiten?

Wenige. Bei der Krone-Post bemühen wir uns, aber sie gehört der Stadt nicht, deshalb können wir nichts vorschreiben. Ich frage mich manchmal selbst: Jeder sagt, dass Weil der Stadt so viel Potenzial hat – warum ist die Stadt dann für Gastronomen und Existenzgründer nicht attraktiv?

Was war der Anlass, dass es in diesem Jahr mit der Marktplatz-Sanierung klappt?

Unser neuer Beigeordneter Jürgen Katz hat mir viel Mut zugesprochen. Er hat viel Erfahrung auf dem Gebiet der Stadtsanierung und der Stadtplanung, kann also all seine Kompetenz in das Projekt einbringen. Deshalb haben wir gemeinsam gesagt: Jetzt springen wir und packen es an.

Die zweite große Baustelle ist das marode Schulzentrum. Was ist der aktuelle Stand?

Wir stellen in diesem Monat dem Gemeinderat vor, was der aktuelle Planungsstand ist – erst mal nichtöffentlich, später dann auch der Öffentlichkeit. So viel kann ich aber schon verraten: Das Gymnasium bleibt bei seinem bisherigen Standort und wird saniert. Und die Realschule ist sanierungsfähig. Die Architekten haben uns bestätigt, dass man sie nicht abreißen muss, sondern sanieren kann.

Und die Gemeinschaftsschule?

Die wird das größte Problem. Es zeichnet sich ab, dass man die Grund-, Förder- und Gemeinschaftsschule neu bauen muss.

Wie viel kostet das alles?

Wir rechnen mit mindestens 30 bis 35 Millionen Euro – das gestreckt auf sechs bis acht Jahre. Das wird ein Kraftakt. Ohne Neuverschuldung und Fördermittel wird das nicht gehen.

Und wann geht’s los?

Ich denke, dass wir dieses Jahr die Planung festzurren und Fördermittel beantragen, sodass es eventuell 2021 losgeht.

Im Sommer mussten Sie per Eilentscheid einen Anbau beauftragen. Es ist dringend.

Klar! Selbst, wenn dieser Anbau in ein paar Jahren wieder weichen muss: Wir haben keine Alternative. Uns fehlen Fachräume. Unsere Schulen sind schon lange über der Schmerzgrenze drüber.

Schon Ende 2015 gab es einen Masterplan für die Schulen. Warum dauert es jetzt bis 2021, bis es losgeht?

Es gab ja noch viele offene Fragen: Kommt das Gymnasium runter? Wenn wir uns für eine Sanierung entscheiden: Wo schaffen wir eine Ersatz-Schule für die Zeit des Baus? Auch mussten wir ein weiteres Büro mit einschalten. Und man darf nicht vergessen, dass wir noch dringende Pflichtaufgaben haben. Denken Sie nur an all die Kindergärten, Kläranlagen, Gebäudeunterhaltung, Kanäle und Straßen.

Die FDP fordert die große Lösung, also den Komplettabriss und einen Neubau, den ein Investor errichtet und der Stadt vermietet.

Diese Lösung will ich nicht ausschließen, aber nach unseren Erfahrungen ist das für eine Stadt in unserer Größe eher unwahrscheinlich. Wir sind dann doch eher eine Klein-, als eine Großstadt, wo sich die Investoren tummeln. Es muss auch klar sein: Auch ein solches Projekt müssten wir durch die Miete refinanzieren, plus Zinsen, plus den Gewinn des Investors.

Sie haben es schon angesprochen: Sie haben noch viele weitere offene Baustellen – der Bauhof, das Feuerwehrgerätehaus, die Kindergärten, die Turnhallen. Zermürbt Sie das, wenn Sie morgens ins Büro kommen?

Man stellt sich der Aufgabe. Als Bürgermeister in Weil der Stadt ist man den großen Teil seiner Zeit Krisenmanager. Ein Beispiel: Bei der Turnhalle in Hausen habe ich vor sieben Jahren im Wahlkampf gesagt: Das ist dringend. Jetzt sage ich: Eines nach dem anderen. Diese Stadt hat einen gewaltigen Sanierungsrückstau – das können Sie nicht in wenigen Jahren aufholen. Das musste ich lernen und akzeptieren.

Dafür steht das riesige Neubaugebiet Häugern mit tausend neuen Einwohnern jetzt in den Startlöchern. Ist das trotzdem noch moderates Wachstum, das Sie immer wollten?

Die letzten Jahre sind wir fast gar nicht gewachsen. Wenn ich sehe, wie andere Städte wachsen, ist mir da in Weil der Stadt wirklich nicht angst und bange. Wenn wir alle bisher genehmigten Neubaugebiete umsetzen würden, kämen wir auf etwa 1800 neue Einwohner – in zehn Jahren. Das halten wir für ein gemäßigtes Wachstum. Wir sind schließlich in der Region Stuttgart, im Ballungsraum mit immensem Siedlungsdruck.

Wann geht los mit den Neubaugebieten?

In der Schwarzwaldstraße beginnen wir im März mit der Erschließung. Im Häugern wird es noch seine Zeit dauern aufgrund des komplexen Bebauungsplan- und Genehmigungsverfahrens.

Und wer sich für ein Grundstück in der Schwarzwaldstraße interessiert: Wann kann man sich melden?

Die offizielle Vermarktung ist der nächste Schritt. Wir haben bereits eine gigantische Zahl von Anfragen. Derzeit erarbeiten wir, wie andere Gemeinden auch, ein Punktsystem für die Grundstücksvergabe.

Was ist mit sozialem Wohnungsbau?

Den Bauträgern werden wir eine Quote vorschreiben. Wenn ein Bauträger dort Geschosswohnungsbau errichten will, müssen voraussichtlich etwa 20 Prozent der Mietwohnfläche vergünstigt sein.

Im Herbst haben die Grünen eine Protestaktion gegen die Neubaugebiete organisiert, weil sie das Merklinger Ried gefährdet sehen. Wie fanden Sie das?

Mir wäre es natürlich lieber gewesen, wenn wir das mit den Grünen nochmals im Gemeinderat diskutiert hätten. Wir nehmen den Natur- und Landschaftsschutz und die Hydrogeologie sehr ernst, deshalb arbeiten wir mit Hochdruck schon seit zwei Jahren an Gutachten. Denken Sie nur an den Wendehals: Ohne Murren haben wir für ihn das Baugebiet um drei Hektar reduziert, auch wenn das weh tat. Man sollte aber auch nicht von vornerein Gutachten infrage stellen. Wenn die Fachgutachter feststellen: Es gibt nicht unerhebliche Eingriffe, aber mit geeigneten Maßnahmen kann man diese ausgleichen, dann glaube ich das.

Diese Frage spaltet die Stadt derzeit.

Ja, es waren aber auch viele bei der Veranstaltung, die sich für die Neubaugebiete aussprechen. Ich habe aber auch Verständnis für die Bedenken. Weil der Stadt hat eine schöne Natur, da wollen wir keinen Raubbau betreiben. Es gibt andere Städte, die jedes Jahr viele Hektar versiegeln – das wollen wir gar nicht.

Bei einer Bürgerinfo-Veranstaltung haben Sie versprochen, beim neuen Gewerbegebiet „Unter dem Weiler Weg“ das Gas rauszunehmen. Was heißt das konkret?

Wir konzentrieren uns jetzt zuerst auf jenen Teil des Unteren Weiler Wegs, den wir für den Baumarkt benötigen. Und bevor wir das Verfahren weiter betreiben wollen, nehmen wir erst nochmals das Stadtgebiet unter die Lupe und suchen es nach alternativen Gewerbeflächen ab. Das haben wir den Gegnern und den Grünen zugesichert. In Merklingen, am Ortsausgang Richtung Malmsheim, gibt es noch Flächen. Auch Hausen, am Ortsausgang Richtung Heimsheim hat noch Potenzial. In der Kernstadt Weil der Stadt wird es dagegen eng – überall stoßen wir auf Landschafts- und Naturschutzgebiete.

Im Mai war Wahl, der Gemeinderat ist jünger, weiblicher, grüner. Wie läuft die Zusammenarbeit?

Es ist ein interessantes Gremium. Man merkt, dass viele neue Köpfe dabei sind. Wir mussten uns erst einmal zusammenraufen. Ich will nicht verschweigen, dass wir ein paar Aussprachen mit offenem Visier hatten. Wenn jeder ein bisschen Gas wegnimmt, kommen wir zusammen auf eine Spur, in der jeder in seiner Unterschiedlichkeit fahren kann.

Der Gemeinderat ist größer geworden. 27 Mandatsträger gibt es, vorher waren es 23. Das liegt an der unechten Teilortswahl, die jedem Teilort eine bestimmt Zahl an Gemeinderäten zusichert. Renningen hat die unechte Teilortswahl lange nicht mehr. Werden Sie dieses Thema ansprechen?

Ja. Das Thema arbeiten wir im Moment auf und bringen es dann im Laufe des Jahres auf die Tagesordnung. Ich selbst  bin  da hin- und hergerissen. Einerseits können wir die unechte Teilortswahl gerne zur Diskussion stellen. Andererseits müssen wir aufpassen, dass die kleineren Stadtteile nicht unter die Räder kommen.

Letzte Frage: Im Herbst endet Ihre Amtszeit, dann ist Bürgermeisterwahl. Treten Sie noch mal an?

Der Gemeinderat wird am 24. März in öffentlicher Sitzung die Wahlmodalitäten festlegen, zum Beispiel den genauen Wahltermin. Ich werde rechtzeitig, spätestens Mitte März, meine Entscheidung treffen und bekannt geben. Solange äußere ich mich nicht dazu, weil wir in dieser Stadt nicht ewig Wahlkampf machen wollen. Ich sag aber auch ganz ehrlich: Ich bin jetzt im 21. Jahr Bürgermeister. Für mich selbst muss ich zurzeit familiär, privat und beruflich alles in die Waagschale legen und abwägen, um dann eine Entscheidung zu treffen. Ich gehe gerade echt in mich. Für das Amt braucht man viel Kraft, Weil der Stadt ist sehr anstrengend.