Dirk Oestringer macht sich für die Organspende stark. Der Gerlinger Rathauschef ist eines der Gesichter der Aktion „Bürgermeister werben für die Organspende“.

Der Gerlinger Bürgermeister Dirk Oestringer hat einen Organspendeausweis und wirbt auch offensiv für die Organspende. Über seine Motivation, in diesem Fall das Private öffentlich zu machen, spricht er im Interview.

 

Herr Oestringer, seit wann haben Sie Ihren Organspendeausweis?

Seit 2019. Ich bin nicht mit 15 auf die Idee gekommen, irgendwann Organspender werden zu wollen. Ich war nie so sehr davon überzeugt, dass ich das schon früher gemacht hätte. Ich habe ihn ausgefüllt, seit ich Einblick im Krankenhaus habe. Meine Frau ist Ärztin. Wenn man sich Einzelfälle anonymisiert erzählen lässt, sieht man, dass die Organspende sinnvoll ist.

Die Organspende ist eine höchst private Angelegenheit. Sie aber machen sich nun nicht als Privatmann, sondern in Ihrer Eigenschaft als Bürgermeister von Gerlingen für die Sache stark. Warum?

Wenn man sich die Zahlen ansieht, warten im Jahr mehr als 9000 todkranke Menschen auf eine Transplantation, von diesen bekommen 3000 ein gespendetes Organ. Das heißt, zwei Drittel der Spender fehlen. Daran sieht man ja schon, dass das Thema einer ungeheuren Unterstützung bedarf. Es ist keine Frage der Kommune, die Unterstützung leistet, sondern ein persönliches Anliegen, wenn man sich als Bürgermeister dafür einsetzt, weil man als Person des öffentlichen Lebens die Reichweite hat.

Sie machen die zutiefst private Entscheidung damit aber zur gesellschaftspolitischen Diskussion im Ort.

Meines Erachtens müssen wir das auch tun. Ich sehe das auch nicht nur als private Angelegenheit an. Wir leben in einer Gesellschaft, diese besteht auch aus Menschen, die krank sind und auf eine Organspende angewiesen sind. Deshalb müssen wir in unserer Gesellschaft darauf aufmerksam machen, wenn es zu wenige Spender gibt. Wie dann jeder entscheidet, ob er Organspender werden möchte oder nicht, ist eine höchst individuelle Entscheidung. Diese Entscheidung gebe ich ja nicht vor, ich weise auf die Problematik des Mangels hin, versuche, dass sich die Menschen damit beschäftigen und zu einer individuellen Entscheidung kommen. Es ist für uns als Gesellschaft wichtig, darauf aufmerksam zu machen. Ein zweites Beispiel, weil Sie von privater Entscheidung sprechen . . .

. . . gerne.

Wir haben uns dieses Jahr auch für Menschenrechte und Demokratie eingesetzt, wir haben dafür auf dem Rathausplatz demonstriert. Da kann man auch fragen, ob es die Aufgabe der Kommune, des Bürgermeisters, ist, dafür einzustehen. Ich sage Ja, weil Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit auch die Werte sind, auf denen unsere lokale Demokratie fußt. Dafür setze ich mich persönlich, aber auch mit dem Amt des Bürgermeisters ein – obwohl es nicht zu unserem kommunalen Aufgabenkatalog gehört, dass wir uns auch für den Frieden in der Welt einsetzen und darauf aufmerksam machen. Letztlich kann man es aber auch nicht trennen.

Die Kommune ist die unterste Ebene der Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit sind deren Werte. Insofern lässt sich der Zusammenhang von Kommune und Demokratie direkt herstellen. Was aber ist der Wert der Organspende?

Das Leben! Die Organspende rettet Leben. Das Leben ist das höchste Gut, das wir haben. Es werden Menschenleben gerettet, wenn Organe zur Verfügung stehen, zum Beispiel jenes Menschen, dessen Nieren nicht mehr funktionieren und der auf eine Transplantation warten muss.

Wird denn die Aktion der Bürgermeister angenommen?

Das ist ja immer eine Frage des direkten Umfelds. Hier im Rathaus ist durchaus das ein oder andere Gespräch entstanden. Ich habe sehr viele positive Rückmeldungen über die digitalen Kanäle bekommen. Wenn es negative gab, dann nicht so, dass ich sie in Erinnerung hätte. Es waren auf jeden Fall weit überwiegend positive Rückmeldungen. Aber es gab auch keine Nachfrage, etwa wo man den Organspendeausweis ausfüllen kann. Es geht ja nicht gleich um eine Entscheidung, sondern dass man darüber nachdenkt, auch wenn das Monate und Jahre geht.

Was sagen Sie einem Menschen, der gegen die Organspende ist?

Es gibt religiöse Gründe oder Überzeugungen, weil er oder sie sich nicht vorstellen kann, dass Teile des Körpers entnommen werden – da würde ich nicht diskutieren. Wenn es aber keine Begründung gibt, würde ich schon nachfragen und würde aufzeigen, welche Konsequenzen es im positiven Sinne hat, welche Menschenleben rettende Möglichkeiten es gibt. Aber es geht bei solchen Aktionen auch darum zu zeigen, wie viele Menschen von einer Organspende abhängig sind, auf Listen stehen und durch eine Spende die Möglichkeit hätten, ein besseres, gesünderes Leben führen zu können.

Geht das seit März geltende Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende weit genug?

Letztlich ist es eine diffizile Frage, wie weit der Staat da geht. Was Körper und Organe betrifft, geht es um eine sehr individuelle Entscheidung, die deshalb aktiv getroffen werden muss. Umso mehr ist es die Aufgabe von Institutionen, da beziehe ich die Kommune mit ein, dass man das Thema transportiert und auf lokaler Ebene informiert, damit die Leute eigenverantwortlich eine Entscheidung treffen können. Aber dazu müssen die Menschen eben auch erst einmal erreicht werden. Wir können hoffentlich einen kleinen Teil dazu beitragen, dass dies gelingt.