Isabel Fezer ist am Donnerstag seit 100 Tagen Bürgermeisterin. Inzwischen hat sie sich im Rathaus und in der Stadt eingewöhnt.

Stuttgart - Gräben? Ja, die gebe es, sagt Isabel Fezer - "in der Stadt, im Gemeinderat". Aber keinen, der auf ihre Person bezogen sei. Die Sozialbürgermeisterin, die bei der Wahl im Sommer mit knappem Vorsprung an Werner Wölfle, dem Chef der Grünen-Ratsfraktion, vorbeigezogen war, hat sich inzwischen im Rathaus und in der Stadt eingewöhnt. "Ich merke: ich bin in diesen kommunalen Gremien zu Hause." Beim Konzert des Arbeitskreises Leben und Beethovens Neunter wurde ihr bewusst: "Ich bin gut angekommen."

Fezer setzt auf das Gespräch. Und auf sachorientierte Auseinandersetzungen - mit Kollegen, Fraktionen, freien Trägern. "Das", sagt sie, "ist für mich die einzig vorstellbare Herangehensweise." Das ist nicht nur in Sitzungen spürbar. Auch ihr Büro spiegelt diesen Stil wider. Die schwarze Ledersitzgruppe ist neu, das schwarze Lacksideboard sowie einige Bilder hat sie von ihrer Vorgängerin Gabriele Müller-Trimbusch übernommen, deren polarisierenden Stil nicht. Nur ein selbst gebasteltes Fantasiegebilde, eine Art Haus mit einem Dach, das aus bunten, stilisierten Krawatten und allerlei Anhängseln besteht - ein Geschenk der Liga der Freien Wohlfahrtspflege - durchbricht die Ordnung. "Es ist unpraktisch", sagt Fezer. Aber es hat einen Ehrenplatz auf dem Regal. Wertschätzung erfahren auch andere von ihr. Hauptschüler auf dem Hallschlag etwa. Auf die ist Fezer bei der Vorstellung des Berufswahlportfolios zugegangen, hat sie nach ihren Berufswünschen gefragt und ermuntert: "Vertraut auf das, was ihr könnt. Man kann nie überall gleich gut sein."

Fezer versteht ihren Job auch als Lobbyistin - für Kinder und Alte, Arme und Benachteiligte. Besonders für diese will sie eine gute Sozialpolitik machen. Menschenwürde, Solidarität, Toleranz sind ihre Leitziele. Sie leitet diese aus der gewaltigen Verschiebung ab, die sich schon jetzt aus der demografischen Bevölkerungsprognose abzeichnet: Einer immer kleiner werdenden Zahl an Leistungsträgern (den 21- bis 65-Jährigen) steht eine wachsende Zahl an Rentnern gegenüber. "Es sind die heutigen Kleinkinder, die später die Verteilungskämpfe aushalten müssen", so Fezer. "Also müssen wir die Jungen dazu befähigen - das sind unsere aktuellen Aufgaben."

Sachorientierter Arbeitsstil


Von der kommunalen Sozialpolitik will sie deshalb zu einer sozialen Stadtpolitik kommen. Was der Unterschied ist? "Wir müssen dafür einen ganzheitlichen Ansatz wählen - das geht nur ressortübergreifend", sagt Fezer. Sie denkt dabei nicht nur an ihre für Schulen, Sport und Kultur zuständige Kollegin Susanne Eisenmann, sondern auch an das Thema Stadtplanung. Von einem "Zickenkrieg" hält sie nichts. Ihr Verhältnis zu Eisenmann sei entspannt. Etwas anderes würde auch nicht zu ihrem sachorientierten Arbeitsstil passen.

"Wir brauchen quartiersorientierte Ansätze", sagt die gebürtige Radolfzellerin. Dazu gehöre auch, die Bürger zu beteiligen. "Wie wichtig das ist, sieht man ja bei Stuttgart 21. Wir stellen fest, dass es Kompetenz bei Bürgern gibt." Diese Prozesse seien eine Bereicherung - auch, um vorhandene Ressourcen besser zu nutzen. Es geht ihr aber auch um passgenaue Angebote für die Menschen. Auch für die, die eben sozial nicht so kompatibel seien, etwa manche Bewohner von Männerwohnheimen. "Es ist ihr gutes Recht, sich nicht zu waschen und zu stinken", findet Fezer. Zur Menschenwürde gehört für die Juristin mit FDP-Parteibuch auch, niemandem ein Lebensmodell aufzuzwingen.

In der Jugendhilfe steht für sie an erster Stelle der bedarfsbezogene Ausbau der Kitaplätze. Defizite sieht sie auch beim Tagesmütter-Angebot - "da müssen wir mehr machen und neue Modelle finden". Sie hofft, dass ein ausreichendes Betreuungsangebot Beruf und Familie besser vereinbar macht und so auch die Zahl der Kinder steigt. Genauso wichtig sei ihr die frühzeitliche Vermittlung von Sprache und Bildung und der Kontakt zur Natur. Der erde die Kinder. Aber auch die Eltern will sie stärker ins Boot holen. Ihr Konzept: aus Kitas sollen Zentren für Kinder und Familien werden - als Anlaufstellen. Vorrang sollen die Quartiere haben, "die es nötig haben". Als Basis dient der Sozialdatenatlas. Im neuen Jahr will sie es vorstellen.

Per Mausklick das passende Angebot


Ihr Anspruch: "Kein Kind darf verloren gehen." Schon jetzt biete Stuttgart ein enges und vielfältiges Netz. Nur müssten diese Vielfalt übersichtlicher gestaltet und Doppelstrukturen zusammengeführt werden. "Mir schwebt eine Datenplattform vor." Zielgruppe: Lehrer, Berater, Sozialpädagogen. Künftig sollen sie per Mausklick das passende Angebot für ihre Schützlinge finden.

Auch beim Thema Behinderte setzt Fezer auf Quartiersarbeit, ressortübergreifende Zusammenarbeit - und Inklusion. "Ich bin froh, dass Stuttgart sich an diesem Pilotprojekt beteiligt." Ein neuer Beirat werde dies vorantreiben. Auch die Angebote für Senioren will Fezer in den Stadtteilen besser vernetzen, damit die Senioren möglichst lange daheim leben können. Im neuen Jahr wird zudem erstmals ein Pflegeheimarzt seine Arbeit aufnehmen.

Mit Fleiß und einer Tour durch alle Abteilungen versucht Fezer, sich Sachkenntnis über ihre Arbeitsgebiete anzueignen. Dass sie sich nicht die Butter vom Brot nehmen lässt, hat sie im Jugendhilfeausschuss bewiesen. Den Vorschlag von evangelischer Seite, in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe stadtteilbezogene Schwerpunkte beim Kitaausbau zu definieren, schmetterte sie glattweg ab: "Jugendhilfeplanung geschieht im Jugendamt." Wie kampfstark sie ihr Ressort vertritt, wird sich bei den Haushaltsberatungen zeigen.