Die Sozialbürgermeister-Kandidatin Isabel Fezer findet keine Zeit für ein fachliches Streitgespräch mit Gegenkandidat Werner Wölfle.

Stuttgart - Am 15. Juli gibt es im Stuttgarter Rathaus wieder einen attraktiven Posten zu vergeben. Gesucht wird ein/-e Sozialbürgermeister/-in. Beworben haben sich Werner Wölfle - Chef der Grünenfraktion, Sozialarbeiter und mithin Profi in Sozial- und Jugendhilfeangelegenheiten sowie Kenner der Stuttgarter Verhältnisse- und Isabel Fezer, eine Juristin, die von 1996 bis 2004 für das Sozial- und Krankenhausreferat der 30.000-Einwohnerstadt Radolfzell verantwortlich war und derzeit als Referatsleiterin in der Landesvertretung in Berlin ihr Geld verdient.

Gerne hätte die Stuttgarter Zeitung den Kontrahenten im Vorfeld der Wahl die Möglichkeit gegeben, sich in einem Streitgespräch auch zu fachlichen Fragen und zu ihrer Schwerpunktsetzung im Amt zu äußern. Während Wölfle seine Bereitschaft signalisierte, erbat sich die Konstanzer FDP-Kreisvorsitzende zunächst Bedenkzeit: Es gehe schließlich nicht um eine Volkswahl, argumentierte sie. Dann rang sich die Kandidatin zwar doch zu einer "prinzipiellen Zusage" durch, sagte aber im selben Atemzug wieder ab - "wegen Terminproblemen". Als Mitarbeiterin der Berliner Landesvertretung müsse sie sich um die Organisation der Stallwächterparty kümmern und die Bundesratssitzung vorbereiten. Ihr Arbeitgeber habe kaum Verständnis, wenn sie für eine "Privatangelegenheit" einen Tag Urlaub nehme.

Dabei ist das öffentliche Interesse an den inhaltlichen Akzenten beider Aspiranten durchaus vorhanden. Während die Stuttgarter Ratsfraktionen derzeit vor allem die absurde Frage umtreibt, ob Wölfle bereit sein würde, sich an einen Baum anketten zu lassen, um Stuttgart 21 zu verhindern, hat die Liga der Wohlfahrtspflege Stuttgart in einem Brandbrief an OB Schuster gefordert, dass bei der Besetzung des Sozialbürgermeisterpostens die Sach- und Fachfragen im Vordergrund stehen sollten. Leitende Mitarbeiter der Caritas kritisieren, dass die Diskussion zur Sozialbürgermeister-Wahl von "sachfremden Erwägungen, machtpolitischen Fragen und ungelösten persönlichen Konflikten" bestimmt zu sein scheine.

Wichtiger wäre jedoch, zu klären, wie es gelingt, die 3300 fehlenden Plätze in der Kleinkindbetreuung einzurichten - für viele Eltern eine existenzielle Frage. Oder wie in Stuttgart die frühkindliche Bildung für alle Kinder ausgebaut werden könnte. Dass die Kluft zwischen Kindern aus Bildungsfamilien und denen aus bildungsfernen Familien immer größer wird und gerade hierzulande die Herkunft für den Bildungserfolg entscheidend ist, haben jüngst wieder Pisa-Tests ergeben.

Wölfles Konzepte stehen


Interessant wären auch Antworten auf die Frage, wie die zunehmende Armut in Stuttgart bekämpft werden kann. Besonders sinnig wäre dabei auch eine konzeptionelle Verknüpfung der Themen Armut und Bildung. Und es ist eher unwahrscheinlich, dass hierbei die Position für oder gegen Stuttgart 21 entscheidende Hilfe bieten kann. Gleiches gilt für die Frage, wie ein funktionierendes Miteinander der unterschiedlichen Kulturen und der Generationen erreicht werden kann.

Wer sich über die Kompetenz und Auffassung der beiden Kandidaten bezüglich ihres angestrebten neuen Arbeitsgebiets informieren will, kann auf die Homepage der Liga der Wohlfahrtspflege zurückgreifen. Dort » erfährt man etwa, dass die Kandidatin "für das Amt der Sozialbürgermeisterin in Stuttgart keine fertigen Konzepte mitbringt", sondern diese in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten entwickeln will.

Wölfle dagegen, ebenfalls dort nachzulesen, hat hierzu deutlich klarere Vorstellungen: So legt er Wert auf eine ganzheitliche Stadtplanung, wodurch schon konzeptionell das soziale Miteinander gestärkt und auch Präventionskosten gespart werden könnten. Bei der Kinderbetreuung zum Beispiel regt er neben dem Ausbau der Ganztagesschulen ein "qualitativ ordentliches und zeitlich ausreichendes Angebot der Betreuung auch in den Ferien" an; als Nebeneffekt ließen sich Plätze im Kleinkindbereich schaffen.

Ob sich Fezers, aber auch Wölfles Vorstellungen im Rahmen des bestehenden Ressortzuschnitts verwirklichen lassen, stellt bisher nur die Liga der Wohlfahrtsverbände in Frage - der ganz nebenbei auch die Caritas, Wölfles Arbeitgeber, angehört. Die Liga hat öffentlich gefordert, die komplette Kinderbetreuung in eine Hand zu legen. Doch OB Schuster mag die Neubesetzung hierzu nicht nutzen. Er lehnte ab.