Monika Chef war die erste Frau, die im Landkreis Ludwigsburg Bürgermeisterin geworden ist. Bei der Wahl am Sonntag kandidiert die 60-Jährige nicht mehr – 24 Jahren sind genug. Dabei ist es erstaunlich, dass sie so lange durchgehalten hat.

Region: Verena Mayer (ena)

Gemmrigheim - Gemmrigheim, kann man finden, ist ein Bild von einer Gemeinde. Auf der einen Seite der Neckar, auf der anderen Seite die Weinberge. Dazwischen alles, für das sich andere Kommunen „von“ schreiben würden. Monika Chef (FDP) könnte problemlos sagen: „Ich fühle mich sehr wohl hier.“ Aber was Monika Chef sagt, hört sich so an: „Gemmrigheim ist ein Kapitel in meinem Leben, das nun beendet ist.“

 

Die Frau, die so spricht, ist die Bürgermeisterin des Ortes im Norden des Landkreis Ludwigsburg. 60 Jahre ist sie, und objektiv gibt es keinen Grund aufzuhören. Aber einen subjektiven: Monika Chef hat genug von Gemmrigheim.

Ein überraschender Sieg

Überraschend ist das für niemand in der Kommune, die sich mit seinem Protest gegen das atomare Zwischenlager beim Atommeiler Neckarwestheim den Ruf eines gallischen Dorfes erworben hat. Überraschend ist eher, dass Monika Chef so lange dort geblieben ist.

Schwierig zu sagen, wer an jenem März-Abend anno 1994 mehr über den Ausgang der Bürgermeisterwahl überrascht war: Monika Chef oder der Rest des Ortes. Monika Chef, die damals noch Monika Tummescheit hieß, in Freiberg lebte und im Landratsamt arbeitete, war ohne allzu große Ambitionen gegen den Amtsinhaber angetreten – und hatte gesiegt.

Gewinnt eine Frau heutzutage die Wahl um das erste Amt einer Kommune, ist das kaum der Rede wert. Aber damals, vor 24 Jahren, gab es im ganzen Land erst vier Bürgermeisterinnen – inklusive Monika Chef, die im Kreis Ludwigsburg wiederum die erste Rathauschefin war. Und dann auch noch in Gemmrigheim!

Die knapp 4000 Einwohner hatten bis dahin zwei Bürgermeister kennengelernt. Der zweite, Günter Seitz, wirkte so desolat, dass der Gemeinderat viel dafür tat, eine weitere Amtszeit zu verhindern. Und als dann die Neue da war, schauten die Kommunalpolitiker umso genauer hin. Nicht, dass man sich wieder fragen lassen musste, was man getan habe, um dem überforderten Schultes auf die Finger zu klopfen.

Eine Schwangerschaft erregt das Dorf

Die Bürgermeisterin sollte einen Begleiter aus dem Gemeinderat zu Grundstücksverhandlungen mitnehmen. Und nicht ohne Erlaubnis mit der Presse reden. Es gab Streit, weil Vorlagen angeblich „Wischiwaschi“ waren, oder weil die Bürgermeisterin eine 100 Jahre alte, nicht mehr standfeste, Kastanie fällen ließ. Das alles allerdings war – im Rückblick – harmlos verglichen mit dem Theater, das viele Gemmrigheimer aufführten, als die Bürgermeisterin schwanger wurde. Familie und Beruf unter einem Hut – unmöglich! „Das arme Kind“, riefen die einen. „Der arme Ort“, die anderen. Es gab anonyme Anrufe in der Nacht und hämische Blicke am Tag.

„Das war unmöglich“, sagt Günther Weis, der seit 23 Jahren im Gemeinderat sitzt, anfangs für die SPD, inzwischen für die Freien Wähler. „Der Grundton war früher etwas stramm“, sagt Sven Herold, der seit 19 Jahren für die CDU im Gemeinderat und zweiter stellvertretender Bürgermeister ist. Beide Männer sagen, wenn man sie nach Chefs Bilanz fragt: „Gemmrigheim steht hervorragend da!“ Es gibt: vielseitige Einkaufsmöglichkeiten, gute Busverbindungen, Kindergärten mit familienfreundlichsten Öffnungszeiten, eine beliebte Grundschule, ein Seniorenheim, ein Ärztehaus und ein gefragtes Neubaugebiet. Außerdem: keine Schulden und fünf Millionen Euro in der Rücklage.

Die „alten Feinde“ meldeten sich immer wieder

Auf all das ist auch Monika Chef stolz. „Die Infrastruktur hier ist paradiesisch“, sagt die Bürgermeisterin, die auch mal Kreisrätin und Landtagsabgeordnete war. Trotzdem, sagt Monika Chef, war ihr schon nach der letzten Wahl klar, dass sie 2018 nicht mehr antreten würde.

Damals konnte sich die Amtsinhaberin nicht auf Anhieb gegen ihre drei Mitbewerber durchsetzen und musste in den zweiten Wahlgang. Und obwohl die Arbeit im Gemeinderat dank vieler neuer Mitglieder längst viel harmonischer verläuft – die „alten Feinde“, wie Chef ihre Gegner der ersten Stunde nennt, gebe es noch immer. Und die, meint die Amtsinhaberin, hätten bestimmt wieder einen Gegenkandidaten aufgeboten. So wie bei den zwei vorigen Wahlen, bei denen Chef von ihrem Erzfeind Jürgen Böhm herausgefordert wurde. „Noch so einen Wahlkampf brauche ich nicht“, sagt die Frau, die ihren Studenten an der Hochschule für öffentliche Verwaltung immer wieder eintrichtert: „Nicht jede Kommune ist für jeden geeignet.“

In einem anderen Ort wäre vielleicht alles ganz anders gelaufen

Womöglich hätten sich die Bürger einer anderen Kommune nicht darüber echauffiert, wenn ihre Bürgermeisterin zur Einweihung der Kläranlage an einem Fallschirm einschwebt. Andererseits: auf Monika Chefs Fallschirm stand EnBW – und auf deren Kernkraftwerker waren die Gemmrigheimer damals nicht sonderlich gut zu sprechen. Womöglich wären in einer anderen Kommune nicht Hunderte von Unterschriften wegen der gefällten Kastanie gesammelt worden. Andererseits: Weil nicht mal die Gemeinderäte von der Aktion wussten, hatten Stimmungsmacher leichtes Spiel. Und womöglich hätte es sich in einer anderen Kommune kein Politiker erlaubt, die junge Liebe der (fast geschiedenen) Bürgermeisterin zu ihrem Bauamtsleiter auf Recht und Ordnung prüfen zu lassen. Andererseits: hätte Monika Chef ihre sanfte Stimme früher gegen die Alphamännchen im Rat erhoben, wäre es vielleicht nie zu all den Anwürfen gekommen.

Der Bauamtsleiter von einst, Michael Bauer heißt er, ist seit gut zwölf Jahren Bürgermeister von Ingelfingen im Hohenlohekreis und der Ehemann von Monika Chef. Nach Bauers Wahl hat Monika Chef angekündigt, ihre Amtszeit in Gemmrigheim zu Ende zu bringen, und dann Abschied zu nehmen. Als es soweit war, hat sie es sich anders überlegt – was nicht bei allen gut ankam. Immerhin war die tägliche Pendelei der Bürgermeisterin, die bei manchen „Fürstin“ heißt, zwischen Ingelfingen und Gemmrigheim dann kein Thema mehr.

Von der Bürgermeisterin zur Bürgermeistergattin

„Die Kunst ist“, zitiert Monika Chef Winston Churchill, „einmal mehr aufzustehen, als man umgeworfen wird.“ Sie habe, das sagt sie auch, aus allem gelernt. „Mich kann niemand mehr beleidigen.“

Am Sonntag wird in Gemmrigheim gewählt. Zur Wahl stehen: Ein Dauerkandidat, der nicht Dauerkandidat genannt werden will (Ulrich Raisch), eine Dauerkandidaten, der eine „gravierende psychische Gesundheitsstörung“ attestiert wurde (Fridi Miller) und ein Energieelektroniker, der auch Hotelier gelernt hat und seit jeher mit dem Bürgermeisteramt „geliebäugelt“ hat (Helmut Heilig). Außerdem bewirbt sich ein Verwaltungswirt, der vor drei Wochen erst zum Kämmerer von Ellwangen gewählt wurde (Joachim Koch), ein Verwaltungswirt, der momentan Vize-Referent des OB von Mühlacker sowie Vize-Pressesprecher ist (Tobias Lichter) und ein Gemmrigheimer Gemeinderat, der „kein Problem mit zu viel Nähe hat“ (Jörg Frauhammer).

Mal schauen, wen die Gemmrigheimer für geeignet halten. Monika Chef kümmert das nicht mehr. Die Bürgermeisterin von Gemmrigheim wird bald Bürgermeistergattin von Ingelfingen sein.