Im Wahlkampf um den Chefposten im Gerlinger Rathaus spiegelt die öffentliche Kandidatenvorstellung die Stimmung im Ort. Zwei Bewerber könnten die Favoriten werden. Sie haben zwei gänzlich verschiedene Ausgangspositionen.

Gerlingen - Wie werden sich die Gerlinger entscheiden: für die Erfahrung im Gerlinger Rathaus oder für den unverstellten Blick von außen? Die Erwartung ist groß gewesen in der Stadthalle, rund 1200 Bürger waren am Dienstagabend gekommen, um zu hören, was die Bürgermeisterkandidaten zu sagen hatten. Am 1. Dezember ist Wahl. Der Amtsinhaber Georg Brenner scheidet Anfang 2020 vorzeitig aus, er geht in den Ruhestand. Er warb zur Beginn der Veranstaltung dafür, alle Kandidaten „respektvoll und fair zu behandeln“ – wohl wissend, dass sich mit dem Christdemokraten Ulrich Raisch aus Stuttgart und Samuel Speitelsbach aus dem Neckar-Odenwald-Kreis zwei Dauerbewerber unter den Kandidaten befinden. Der sechste Kandidat, Martin Martz aus Gerlingen, war am Dienstag gar nicht erst erschienen.

 

Gleichwohl ging es vielen um mehr, als die – mit Ausnahme von Raisch – allesamt parteilosen Kandidaten zu hören. Sie wollten sehen, wie sich die Kandidaten auf dem Podium geben, mit welcher Ausstrahlung, mit welcher Präsenz sie auf das Publikum wirken würden. Schließlich waren bis zu diesem Abend vor allem zwei der sechs Kandidaten im Ort präsent gewesen. Martina Koch-Haßdenteufel und Dirk Oestringer lächeln von den Wahlplakaten, die in dem knapp 20 000 Einwohner-Ort vor allem an Laternenpfosten prangen, und sind präsent auf dem Wochenmarkt. Die Kandidaten hatten in ausgeloster Reihenfolge zehn Minuten Zeit, noch einmal so viel dann für Fragen aus dem Publikum.

In ihrer Bewerbungsrede warb die amtierende Erste Beigeordnete vor allem mit ihrer Erfahrung in der Gerlinger Stadtverwaltung: „Seit 20 Jahren gehöre ich zur Führungsriege von Bürgermeister Brenner und bin deshalb mit dem Gemeinderat dafür verantwortlich, dass sich unsere Stadt so hervorragend entwickelt hat.“ Sie kenne die Verwaltung „aus dem ff“. Ehe die heute 49-Jährige 2009 Erste Beigeordnete wurde, leitete sie zehn Jahre lang die örtliche Kämmerei. „Dieser Blick von innen ist mit nichts aufzuwiegen, denn er garantiert Konstanz.“

Sie setzte damit auf einen Aspekt, der die Stimmung im Ort dieser Tage mitprägt: Während die einen Beständigkeit wollen, weil sie mit der Rathausspitze zufrieden sind, drängen die anderen auf einen Verwaltungschef von außen.

Koch-Haßdenteufel musste vor allem erklären, dass es mit ihr an der Spitze nahezu unverändert weitergehe. Bei der Antwort auf die Frage, was sie von ihrem Chef unterscheide, meinte sie daher auch: „Er ist ein Mann und ich bin eine Frau.“ Als Mutter einer zehnjährigen Tochter hob sie ihr Verständnis für die Themen Vereinbarkeit von Familie und Beruf hervor. „Als Frau hat man einen anderen Blick auf gewisse Themenfelder. Und das ist gut so.“

Sparschwein ist gut gefüllt

Wenngleich die Stadt 80 Millionen Euro auf der hohen Kante hat, und mit 58 Millionen Euro Gewerbesteuereinnahmen in bisher unbekannter Höhe hat, ist viel davon bereits in Großprojekten wie dem Bau der Sporthalle und der Modernisierung der Realschule gebunden.

Dirk Oestringer gelang bei seiner Vorstellung ein überraschender Moment. Auf die Frage, wie man nach dem tödlichen Raserunfall und dem Brandanschlag auf eine Pizzeria vorbeugend die Sicherheit in der Stadt erhöhen könne, erklärte er, sich im Innenministerium für eine durchgängig besetzte Wache einzusetzen. Diese gibt es in der Stadt nicht, die doch inzwischen an der „Grenze zu einer Großen Kreisstadt“ stünde. Auf seine Agenda hat er sich auch geschrieben, Verkehrsprobleme zu lösen, die ihm zufolge kurzfristig angegangen werden könnten. Um den Parksuchverkehr in der Innenstadt zu reduzieren, sei ein Parkleitsystem denkbar.

In vertrauensvoller Beziehung zu den Bürgern

In seiner Vorstellung betonte der 33-Jährige aus Stuttgart, dass er keineswegs der jüngste Bürgermeister des Orts wäre. Der Gerlinger Ehrenbürger und ehemalige Schultes Wilhelm Eberhard sei im Jahr 1955 mit 32 Jahren Bürgermeister geworden. Oestringer, ehemals Referent des Sindelfinger Oberbürgermeisters, Kommunalberater und Betriebswirt hob hervor, den „unvoreingenommenen Blick von außen“ mitzubringen: „Nur das Wohl dieser Stadt soll Richtschnur für mein Handeln als Bürgermeister sein.“

Der 61-jährige Ex-Bürgermeister von Weissach, Reinhard Riesch, warb hingegen für die Pflege der Gemeinschaft, die beratende Partnerschaft mit den Bürgern, die weiterhin gute Entwicklung mit der Stadt. „Das Rathaus muss das volle Vertrauen der Bürger haben.“ Er beschrieb vor allem sein Rollenverständnis, das er von einem Rathauschef hat: „Als Bürgermeister werde ich zu den Bürgern eine Beziehung aufbauen, die geprägt ist von Vertrauen und Verständnis.“ Er werde die Stadtentwicklung „in lebendiger Form erlebbar umsetzen“, so Riesch. Der gebürtige Heimerdinger lebt heute in der Landeshauptstadt und betreibt im Stuttgarter Westen einen Gemüseladen.