Manche Bürgermeisterkandidaten engagieren Coaches wie Erich Holzwarth oder Bernd Hinderer, um ihre Chancen auf das Amt zu erhöhen. Allerdings reden sie im Wahlkampf nicht so gerne über deren Dienste. Warum eigentlich?

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Absolute Vertraulichkeit. Nur unter dieser Bedingung stimmt der frisch gewählte Bürgermeister dem Gespräch in einem Stuttgarter Lokal zu. Der Anonymus, der ganz woanders seinen Wahlkampf gewonnen hat, sitzt vor einer Apfelschorle. Im Wahlkampf hat er sich Unterstützung von Erich Holzwarth geholt, einem SPDler, der Bürgermeisterkandidaten berät. Warum will der Gewählte nicht mit seinem Helfer nachlesbar in Verbindung gebracht werden? Der Anzugträger überlässt dem Coach die Antwort. „Das kommt einfach nicht gut“, sagt Erich Holzwarth, „bei Kommunalwahlen soll es aussehen, als ob der Kandidat allein handelt.“

 

Holzwarth hat an der Uni Stuttgart promoviert, zu „Erfolgsfaktoren für Oberbürgermeisterwahlen“. Die Studie widerspricht dem in diesem Bereich profilierten Tübinger Politikwissenschaftler Hans-Georg Wehling. Der sieht parteiferne, verwaltungserfahrene und auswärtige Kandidaten generell im Vorteil. Laut Holzwarth hingegen ist Parteiferne „eher eine Empfehlung für das Auftreten im Wahlkampf als für Verzicht auf Parteibindung“.

Logisch, dass er das schreibt: Holzwarth ist bei der Landes-SPD angestellt und betreut überwiegend parteinahe Kandidaten. Andererseits gestaltet kein Kandidat seine Plakate selbst, trägt sämtliche Faltblätter alleine aus, führt ohne Hilfe Wahlkampfveranstaltungen durch. Holzwarth und seine Kontakte in die Ortsvereine sind also selbst ein potenzieller Erfolgsfaktor, auch wenn „Bürgermeistermacher“ wie er in der Dissertation keine Rolle spielen.

Bürgermeistermacher – ein schwieriges Wort

Bürgermeistermacher ist ein schwieriges Wort. Es klingt nach Wahlsieg auf Bestellung. Es klingt nicht nach dem Wettstreit idealistischer Herzblutpolitiker, den viele, zumal im Kommunalen, sehen wollen. Was daran liegt, dass Bürgermeisterwahlkämpfe das oftmals nicht sind, sondern eher ein Wettstreit von Verwaltungsfachleuten, die beruflich vorankommen wollen und sich dafür eben Unterstützung einkaufen – von Agenturen, die Websites programmieren und Broschüren erstellen, von Parteileuten wie Erich Holzwarth oder von selbständigen Beratern. Gisbert Breuning aus Freiburg zählt dazu oder der Rottenburger Klaus Abberger, der seinen Einfluss auf zehn bis fünfzehn Prozent mehr Stimmen beziffert, Uli Heckmann, der sich im Februar in Güglingen selbst zum Bürgermeister wählen ließ, ebenso wie Bernd Richard Hinderer aus Gomadingen.

Hinderer ist der Pionier der Branche. 1995 betreute er seinen ersten Kandidaten. Auf seiner Website stehen Tipps wie „Machen Sie Pausen, während Sie reden“, ein Foto zeigt ihn vor einem Schachbrett sitzend, die Königsfigur in der Hand. Dieser Königsmacher nimmt 8000 bis 12 000 Euro je Wahlkampf, zuzüglich Erfolgsprämie und Verteilkosten für die Prospekte, Giveaways wie rote Rosen oder Kulis sind optional. Ist das der Preis eines Bürgermeisteramts? „Es gibt keine Erfolgsgarantie. Außerdem muss der Kandidat schon das Zeug zum Amt haben“, sagt Hinderer. Die Chancen auf den Wahlsieg seien mit Coach höher, weil nicht jeder oder auch nur jeder ernst zu nehmende Bürgermeisterkandidat jemand wie ihn im Rücken habe, erklärt der 66-Jährige.

Wenn dem jedoch so wäre – würde man dann nicht offener über Bürgermeistercoaches sprechen? Vor und nach Wahlen auf Bundes- oder Länderebene kann jeder, der will, nachlesen, welche Agentur für welche Partei die Kampagne entworfen hat. Im Kommunalen redet kaum jemand über solche Themen. Warum? Weil es für die meisten Wähler nicht interessant sei, vermutet Hinderer, außerdem würde es seiner Rolle nicht gerecht: „Ich arbeite im Hintergrund.“ Und wenn jemand fragt? „Antwortet der Kandidat ganz selbstverständlich, dass er einen Helfer im Hintergrund hat. So wie man sich doch auch einen Architekten holt, wenn man ein Haus bauen will.“

Machen das nicht alle so?

Hinderer sagt, keiner seiner Kunden habe Schwierigkeiten bekommen, weil bekannt wurde, dass er sich professionelle Unterstützung hole. Die allermeisten sähen keinen Grund, es zu verheimlichen – er selbst rate ihnen vielmehr davon ab. Der Coach weiß um die Kritik an seiner Profession – etwa die Amerikanisierung des Wahlkampfs. Bei Kandidatenvorstellungen taucht er nicht auf, weil es „in der Tat fatal wäre, wenn jemand öffentlich das Wort an mich richtet“. Es dürfe eben nicht der Eindruck entstehen, der Coach führe den Wahlkampf und nicht der Kandidat.

Es gibt auch Kunden, die sich offen zur Beratung bekennen: der Markdorfer Bürgermeister, der sich von Klaus Abberger helfen ließ, oder Julian Stipp, Bürgermeister von Salach, der bei Erich Holzwarths Seminaren auftritt. Der bisherige Friedrichshafener Oberbürgermeister Andreas Brand, Kunde von Bernd Richard Hinderer, erzählte vor Jahren dem „Südkurier“, 80 Prozent der ihm bekannten Bürgermeister hätten für den Wahlkampf Hilfe eingekauft.

Es ist die Investition in einen Traumjob – zumindest wenn man einer repräsentativen Studie der Bertelsmann-Stiftung glaubt. Danach genießen Bürgermeister im Ort zumeist hohes Ansehen und sind trotz der vielen Arbeit zufrieden. Der Bürgermeister einer Gemeinde mit 10 000 Einwohnern kommt auf 7000 Euro brutto im Monat, nach der zweiten Amtszeit ist eine schöne Pension garantiert.

Trotzdem sinkt die Zahl der Kandidaten, wie das Statistische Landesamt ermittelt hat. Tritt der Amtsinhaber nicht wieder an, sind es im Schnitt 3,8 Bewerber. Allerdings hat jede dritte Bürgermeisterwahl im Land nur einen Kandidaten. Je kleiner die Gemeinde, desto weniger Interessenten.

Besuch beim Kandidatenseminar

Wer aber sind die Menschen, die Bürgermeister werden wollen und dafür professionelle Hilfe buchen? Ein Seminar der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung ist eine der wenigen Gelegenheiten, um ins Gespräch zu kommen. Auch Erich Holzwarth ist dabei. Zum Auftakt in einem Stuttgarter Hotel sitzt er vor sechs Männern und drei Frauen – darunter ein nassforscher Gewerkschafter, eine Lehrerin, ein Ex-Landespolitiker. Fast alle sagen, dass sie „gestalten“ möchten, also von der Baumpflanzung bis zum Klinikneubau mitentscheiden. Fast alle im Raum sind mittelalt, verheiratet und haben solide Jobs, viele von ihnen Kinder: Normalos – oder was man sich herkömmlicherweise darunter vorstellt.

So wie jener Mittdreißiger, der für seine Arbeit in der Kommunalverwaltung einst vom damaligen Ministerpräsidenten Günther Oettinger mit den Worten gelobt wurde, er habe das Zeug zum Bürgermeister – Oettingers Parteifreunde würden ihm ins Amt helfen. Doch weil der Aspirant ein Roter ist, sitzt er jetzt bei Erich Holzwarth in der Einzelberatung. Auch hier darf der Reporter nur nach Zusicherung vollständiger Anonymität dabei sein.

Der Raum, in dem das Gespräch stattfindet, ist trister als jede Amtsstube. Holzwarth macht dem Interessenten Mut. Er berichtet von der württembergischen Tradition des vom Monarchen eingesetzten Schultes, der nicht in dem Ort verwurzelt sein muss, den er führt. 2017, fährt Holzwarth fort, stünden „unglaublich viele Bürgermeisterwahlen“ an – worauf der Interessent erwidert, man müsse bei der Auswahl der Gemeinde auch an die Familie denken. Ansonsten wägt er seine Worte genau, sagt, er wolle „punktuell in einer Gemeinde etwas verbessern“, spricht von „Kandidatinnen und Kandidaten“. Ein Karrierist ist er nicht – Herzblutpolitiker stellt man sich allerdings auch anders vor.

Letztlich laufe es immer gleich ab, erklärt Erich Holzwarth: Gemeinde aussuchen, Konkurrenten abklopfen, Strategie entwickeln, Haushaltsplan lesen, Klinken putzen. In der Kneipe mit ein paar Altvorderen reden, würde Bernd Hinderer ergänzen. Und dann? „Braucht’s Resturlaub und Ersparnisse“, sagt Holzwarth. Sechs Wochen für die heiße Wahlkampfphase müsse man einplanen, Wahlkampfkosten kann man von der Steuer absetzen. Bürgermeister werden ist eben vor allem eine Investition – von der einige offen erzählen, andere bei einer Apfelschorle fernab der Heimat und manche überhaupt nicht.