Forscher der Uni Stuttgart sind überzeugt, dass die Stadt noch viel mehr Rad-Potenzial hat. Wie lässt sich das ausschöpfen?

Stuttgart - Stuttgart ist alles andere als eine Fahrradstadt. Aber man könne am Beispiel der Landeshauptstadt viel darüber lernen, warum es der Radverkehr in Deutschland schwer habe, sagt Marius Gantert vom Institut für Landschaftsplanung und Ökologie an der Uni Stuttgart. Das Problem sei gar nicht so sehr die Topografie, „das verliert angesichts der Elektroräder an Bedeutung“, so Gantert, sondern die mangelnde Infrastruktur. So sind einige Radwege nur wenige Hundert Meter lang und enden plötzlich mitten auf der Straße: „Gerade die Hauptradroute ist sehr kurios.“ Dabei solle diese die Radler eigentlich zügig durch die Stadt führen.

 

„Überzeugungsarbeit funktioniert nicht nur rational“

Das führt dazu, dass fast ausschließlich typische Überzeugungstäter in Stuttgart mit dem Rad unterwegs sind. Allen anderen erscheine das Radfahren als zu gefährlich, sagt Ganterts Kollege Eric Puttrowait. Dabei genüge ein Blick nach Kopenhagen oder Amsterdam, um zu sehen, was geändert werden müsse: „Es ist nicht so abwegig, dass unsere Städte auch so sein könnten. Radwege motivieren die Menschen Rad zu fahren, nicht nur die Unerschrockenen.“ Gerade Stuttgart habe ein großes Potenzial: 30 Prozent aller Wege, die seine Einwohner zurücklegen, seien kürzer als zwei Kilometer – da ist man mit dem Rad schneller als mit allen anderen Verkehrsmitteln. Aber die Stuttgarter legen nur sechs Prozent aller Wege per Rad zurück. Woran liegt das? „Überzeugungsarbeit funktioniert nicht über rationale Argumente“, ist Puttrowait überzeugt, „es muss eher um Geschichten gehen, um ein Lebensgefühl.“

Widerstand gegen Parkplatz-Umwidmung

Deshalb müsse an der Infrastruktur gearbeitet und Überzeugungsarbeit geleistet werden: „Es geht um die Frage des Mobilitätsbewusstseins“, sagt Gantert. Wie man das verändern kann, ist eine Frage des „Reallabors“: eine vom Land finanzierte Forschungsreihe an sieben verschiedenen Standorten, Forscher arbeiten jeweils mit Aktivisten zusammen. „Der Leidensdruck in den Städten ist sehr hoch“, erklärt Gantert, die Forscher haben in diesem Fall nicht nur eine beobachtende, sondern eine handelnde Rolle. Allerdings sanft handelnd: „Es geht um die Veranschaulichung von Alternativen.“ Doch gleich einer der ersten Versuche endete ernüchternd: Die Forscher hatten nicht mit so viel Widerstand gerechnet, als sie im Rahmen ihres Projekts elf über die Stadt verteilte Parkplätze für drei Monate in kleine Parks verwandelten – um zu zeigen, wie man mit wenig Geld (ein Parkberechtigungsausweis kostet 36 Euro im Jahr) die Lebensqualität erhöhen kann.

Alternativen zu den Einkaufsfahrten mit dem Auto

Mehr Erfolg hatte eine Initiative, die kostenlos Lastenräder verleiht und die von den Forschern begleitet wurde. Viele der Nutzer sagten, dass sie für ihre Einkäufe oder die Ausflüge mit ihren Kindern das Auto genutzt hätten – aber dass das Lastenrad eine realistische Alternative sei, wenn es nur immer so unkompliziert wäre, sich eines auszuleihen.

Noch mehr hat der Bürgerrikscha-Verein bewegt: Jüngere Ehrenamtliche fuhren dabei ältere Mitbürger zu Terminen oder unternahmen Ausflüge in die Natur. Das sei obendrein sehr kommunikativ gewesen, berichtet Gantert – und das hätten die Probanden alle betont: „Im Auto ist man abgeschottet von den anderen, Radfahren ist gemeinschaftsfördernd.“ Die Beteiligten schwärmten von der Entschleunigung, vom neuen Gefühl für ihre Umwelt. „Sogar Autofahrer haben bereitwillig gebremst und das Projekt gutgeheißen“, sagt Gantert. Während der direkte ökologische Gewinn gering gewesen sei, da nur wenige Autokilometer ersetzt wurden, sei der kognitive Gewinn umso höher. Und um den geht es beim Umdenken.