Reportage: Frank Buchmeier (buc)
Würden Sie trotz allem noch mal einen Job auf dem Volksfest annehmen?
Als Souvenirverkäuferin würde ich nicht mehr durchs Zelt laufen, aber eventuell als Bedienung. Das ist zwar noch anstrengender, weil man die schweren Bierkrüge schleppen muss, aber man muss seine Ware nicht anpreisen. Mir gefällt das einfache Commitment: Die Leute bestellen etwas, und ich bringe es ihnen.
Das Volksfest hat Sie also nicht traumatisiert.
Ich bin eine recht selbstbewusste Frau und lasse mich von ein paar besoffenen Deppen nicht nachhaltig erschüttern. Die 17 Tage auf dem Wasen verbuche ich als Erfahrung, die mich in gewisser Hinsicht sogar weitergebracht hat: Ich bin nun resistenter gegen Stress und habe einen neuen Blick auf unsere Gesellschaft bekommen. Es geht mir nicht um mich persönlich, sondern um etwas Grundsätzliches: Ich finde es traurig, dass die Stuttgarter ein derart niveauloses Treiben regelmäßig tolerieren. Ich finde, dass die ganze Stadt darunter leidet, und wundere mich, dass es offenbar ein Tabu ist, das offen auszusprechen. Und ich frage mich, was manche Männer – und das sind nicht wenige – kompensieren müssen, wenn sie im Bierzelt sternhagelvoll rumprollen.
Haben Sie eine Antwort gefunden?
Vielleicht geht es darum, für einen begrenzten Zeitraum aus unserer hoch technisierten Welt ins Archaische zu entfliehen. Wie im Mittelalter frisst man im Bierzelt gebratene Hühner mit den Händen, säuft Bier aus großen Humpen, behandelt Frauen wie Leibeigene und schlägt dem Gegenüber einfach mal kräftig auf die Nase, wenn einem diese Nase nicht passt.
Haben Sie Schlägereien miterlebt?
Durchaus. Es reicht oft eine Nichtigkeit, etwa dass ein Kerl den anderen im Gedränge aus Versehen anrempelt, und schon geht es richtig derbe ab. Die Brutalität, mit der draufgehauen wird, ist unfassbar. Selbst wenn der Gegner am Boden liegt, wird noch auf ihn eingetreten. Würde das Sicherheitspersonal nicht sofort eingreifen, gäbe es wohl Mord und Totschlag.
Haben Sie diese Zustände überrascht?
In diesem Ausmaß schon. Natürlich war mir von Anfang an bewusst, dass der Job auf dem Wasen nicht die tollste Party meines Lebens, sondern sehr anstrengend werden wird. Ich war als Jugendliche ein einziges Mal im Bierzelt, und die Atmosphäre hat mir schon damals nicht gefallen. Ich besuche aber gerne Rummelplätze wegen meines Faibles für Fahrgeschäfte, vor allem „Break Dance“ mag ich. Eins will ich klarstellen: Ich kritisiere nicht per se Volksfeste, sondern die Auswüchse, die auf dem Wasen stattfinden. Im Übrigen ist eine ähnliche Entwicklung auf der Theodor-Heuss-Straße zu beobachten: In meinem Freundeskreis wird die Stuttgarter Partymeile gemieden, weil da mittlerweile fast nur noch in Ballermann-Manier gefeiert wird.
Wo treiben sich Leute wie Sie herum?
Tja, die Auswahl ist begrenzt. Das Projekt Contain’t auf dem ehemaligen Güterbahnhofsgelände in Bad Cannstatt hat mir gefallen, aber es fiel kürzlich dem Schutz von Eidechsen zum Opfer. Nun gibt es fast nur noch an den Wagenhallen am Nordbahnhof alternative Locations. Die Stadt wirbt gerne mit der Subkultur, aber sie tut viel zu wenig, um sie zu fördern.