Reportage: Frank Buchmeier (buc)
Wie kann man sich den Alltag in solch einem Camp vorstellen?
Fast wie in einer deutschen Kleinstadt: die Straßen haben deutsche Namen, es gelten deutsche Regeln, und man bekommt deutsches Essen.
Aber man ist quasi eingesperrt . . .
Grundsätzlich ja, aber ich empfand es nicht immer so. Es gab dort diverse Freizeitmöglichkeiten – vom Fitness-Studio bis hin zu einem Bundeswehrrestaurant, wo man sogar die Bundesliga-Fußballspiele anschauen konnte. Zudem konnte man über die Feldpost und das Telefon gut den Kontakt in die Heimat halten. Meine Zeit im Sudan, wo ich von Mitte 2013 bis Mitte 2014 war, empfand ich als deutlich belastender. An meinem Einsatzort in der Provinz Darfur waren neben mir gerade einmal drei deutsche Kollegen eingeteilt. Man musste dort auf Streifenfahrt ständig mit Überfällen durch alle möglichen bewaffneten Gruppierungen rechnen. Es ist es extrem heiß, und es gibt fieses Getier wie Giftschlangen und Skorpione sowie üble Krankheiten wie Malaria.
Was machen die UN-Einsatzkräfte im Sudan?
Diese Mission ist ein Sonderfall, weil sie mit klassischer Polizeiarbeit wenig zu tun hat. Nach dem Bürgerkrieg verpflichtete sich der sudanesische Machthaber Omar al-Baschir gegenüber den Vereinten Nationen, dass die UN die Einhaltung der Menschenrechte in den Flüchtlingslagern kontrollieren darf. Dieses Mandat erlaubt nicht, dass wir, die ausländischen Sicherheitskräfte, intervenieren dürfen. Wir sind nur in Darfur, um die Lage in den sogenannten Internally-Displaced-Persons-Camps zu beobachten und zu dokumentieren. Wir fuhren täglich im Konvoi in die Lager und tauschten uns dort mit den Stammesfürsten aus.
Das hört sich an, als hätten Sie nicht viel erreichen können.
Ich wusste, dass Darfur ein schwieriger Einsatz werden würde, aber ich hätte nicht gedacht, dass ich so viele Kompromisse eingehen muss – auch wenn wir von Seiten der Polizei sehr gut vorbereitet waren. Das Grundproblem ist: die meisten Menschen hungern. Man müsste sie erst versorgen, bevor man die Gewaltproblematik angehen kann. Beispielsweise kommen Vergewaltigungen in den Flüchtlingslagern vor. Das kann man nicht akzeptieren, wir können es aber nicht von heute auf morgen ändern. Diese Erkenntnis ist erschreckend und hat mich sehr mitgenommen.
Könnten die UN mehr unternehmen?
Schwer zu sagen. Nach meiner Erfahrung würde es nicht schaden, wenn mehr UN-Mitarbeiterinnen aus westlichen Ländern eingesetzt würden. Frauen sind diejenigen, die am meisten unter den Kriegen leiden, und auch diejenigen, die später für den Wiederaufbau sorgen. Als Mann bekomme ich aber kaum Zugang zu der weiblichen Bevölkerung.
Ist der Einsatz in Darfur unter den derzeitigen Bedingungen sinnlos?
Das würde ich nicht sagen. Man erreicht etwas, aber eben auf einem niedrigen Niveau. Außerdem kann man bei jedem Auslandseinsatz zusätzlich helfen, wenn man bereit ist, sich neben dem Dienst ehrenamtlich zu engagieren. Es ist doch so: als UN-Polizist geht man in einen Teil der Welt, in dem die Menschen bitterarm sind – und verdient dort deutlich mehr, als wenn man in Berlin oder Stuttgart als Polizeibeamter arbeitet. Bei mir erzeugte dieses Ungleichgewicht schnell ein schlechtes Gewissen. Ich wollte deshalb etwas von dem, was ich bekomme, an die Einheimischen weitergeben. Als ich nach Afghanistan kam, erfuhr ich, dass nahe Faizabad die Mario-Keller-Mädchenschule eröffnet worden war, benannt nach einem Kollegen, der bei dem Anschlag 2007 ums Leben gekommen war. Ich fand heraus, dass die Schule ein Projekt des Vereins „Lachen Helfen“ ist und größtenteils durch Spenden finanziert wird. Ich trat dem Verein sofort bei und überlegte mir, welches Projekt ich gerne unterstützen würde. Aufgrund meiner eigenen Biografie kam ich auf ein Waisenhaus, für das ich – unterstützt durch Kameraden von der Polizei und der Bundeswehr – Matratzen, Spielzeug und Lebensmittel besorgte. Mit wenig Geld kann man in Afghanistan viel bewirken.
Gilt das auch für den Sudan?
Und ob! In einem Flüchtlingslager haben wir einen durch ein Unwetter zerstörten Kindergarten wiederaufgebaut, das Holzdach und die geflochtenen Seitenwände kosteten gerade einmal 300 Euro. Meine Vision ist, dass solche Hilfsprojekte nicht nur privat, sondern als offizielle Bestandteile unserer Auslandseinsätze durchgeführt werden. Wenn man überlegt, wie viele Milliarden die Missionen der UN und der EU kosten, wäre es durchaus angebracht, ein paar Prozent davon in solche vertrauensbildenden Maßnahmen zu investieren.