Region: Verena Mayer (ena)
Haben Sie als Barfußläufer problemlos eine Lehrstelle gefunden?
Ich bin nach der Ausbildung sogar übernommen worden. Allerdings durfte ich mich immer nur in der Werkstatt aufhalten und nie mit Kunden Kontakt haben. Ich hätte ja jemanden erschrecken können – angeblich. Und wenn ein Kunde mal gefährlich nahe an die Werkstatt kam, wurde schnell die Türe zugezogen. Das war Gift für mein Selbstbewusstsein. Wenn man vier Jahre lang versteckt wird wie ein Hinterhofköter – das ist krass.
Aber Sie haben einen Ausweg gefunden.
Ja! Eine Freundin erzählte mir von einer freien Stelle beim „Schmuck am Aischbach“ hier in Horb. Dort habe ich mich beworben, und dann hat sich der Weg gebahnt. Das war fantastisch. Ich bin meiner Chefin unendlich dankbar. Vom ersten Tag an durfte ich Kunden bedienen. Und ich habe niemanden erschreckt. Ich habe gelernt: Wenn du kompetent bist, kannst du auch ein Hühnchen auf dem Kopf tragen und wirst trotzdem akzeptiert.
Werden Sie oft von Fremden wegen Ihrer Barfüßigkeit angesprochen?
Total. Als ich neu in Horb war, hat sogar die Lokalzeitung über mich berichtet. Das war sehr positiv. Bis dahin kannte mich zwar schon jeder vom Sehen, aber keiner wusste, was ich tue. Durch den Artikel erfuhren alle: Aha, das ist kein Bombenleger, der nimmt keine Drogen, das ist ein anständiger Kerl, der was schafft. Aber auch heute noch sprechen mich ganz viele Leute wegen meiner nicht vorhandenen Schuhe an. Was Blödes hat noch keiner gesagt. Die meisten wollen wissen, ob mir nicht kalt sei.
Und, ist Ihnen nicht kalt?
Ich brauche es knieaufwärts warm, dann ist mir nicht kalt.
Wie lange dauert es, bis Sie abends Ihre Füße gesäubert haben?
Nicht lange. Meine Fußsohlen sind durchs Laufen ziemlich glatt geworden. Mit Wasser und normaler Seife sind sie schnell sauber.
Was ist mit Hornhaut?
Hornhaut bildet sich, wenn die Haut tot ist, weil man beispielsweise unpassende Schuhe trägt. Das, was ich an meinen Fußsohlen habe, nennt sich Lederhaut. Die ist zäher als normale Haut, aber durchblutet. Ich spüre nach wie vor jeden Stein – er tut halt nicht mehr weh.
Was hat sich noch verändert, seit Ihre Füße nicht mehr eingesperrt sind?
Das Laufen ist insgesamt anders. Normalerweise rollt man den Fuß über die Ferse auf den Ballen ab. Wenn man barfuß läuft, macht man das automatisch genau andersrum: Man tritt auf die Zehnspitzen und rollt rückwärts ab, man tappt förmlich. Das ist wahrscheinlich natürlicher: Wenn man auf steinigem Boden läuft und volle Brause abrollt, kann man das Gewicht nicht mehr vom Fuß nehmen – und man tritt ungebremst in Scherben oder sonst was Gefährliches. Andersrum jedoch kann man sofort das Gewicht vom Fuß nehmen und alles ist gut.
Barfußlaufen ist also tatsächlich gesund?
Ich mache das jetzt seit 13 Jahren und habe keinerlei negative Begleiterscheinungen festgestellt. Im Gegenteil: Früher war ich oft erkältet und hatte kleinere Malaisen. Das hat alles aufgehört. Ich habe ein tolles Körpergefühl.
Es gibt Studien, die nachweisen, dass Menschen barfuß per se schneller sind als beschuht. Ist das auch Ihre Erfahrung?
Ich habe mal eine Diebin gefangen. Das war der Lauf meines Lebens. Aber ich glaube, ich hätte die auch mit Schuhen gekriegt.
Was war passiert?
Das war vor drei Jahren in der Vorweihnachtszeit, wenn bei uns also besonders viel los ist. Eines Nachmittags hat ein Paar den Laden betreten, das mir gleich merkwürdig vorkam. Tatsächlich ist es den beiden irgendwie gelungen, eine Lade voller Ringe aus einer Vitrine zu greifen und zu verschwinden. Als ich bemerkte, dass die Ringe fehlten, war mir klar, dass der Mann und die Frau sie gestohlen haben. Ich bin zum Laden raus und hab sie rennen sehen. Also bin ich hinterher. So gerannt wie damals bin ich in meinem ganzen Leben noch nicht. Nach ein paar Hundert Metern hatte ich die Frau eingeholt, die den Schmuck in einer Tüte bei sich hatte. Ich habe sie in den Schwitzkasten genommen und zur Polizei gezerrt. Ich weiß, dass die Verfolgung sehr leichtsinnig war, aber in dem Moment konnte ich nicht anders.
Gibt es Anlässe, wo Sie ausnahmsweise doch mal Schuhe tragen?
Ja, beim Snowboarden und beim Downhill-Biken. Da geht es nicht anders. Und wenn ich zu einer Hochzeit eingeladen bin, frage ich die Eheleute, ob ich barfuß kommen darf. Einmal hat mich das Brautpaar gebeten, in der Kirche Schuhe anzuziehen. Das hab ich gemacht. Wenn sich Gastgeber das für einen besonderen Tag wünschen, halte ich das aus.
Ihre Freundin ist auch Barfußläuferin. War das ein Auswahlkriterium?
Nein, gar nicht. Als wir uns kennenlernten, hat sie sogar Schuhe getragen. Mareike war früher eine Sommerbarfußläuferin. Erst als sie mich traf, hat sie den Mut gefasst, auch im Winter auf Schuhe zu verzichten.
Ihr Kind trägt aber Schuhe, oder?
Unbedingt! Bei Janosch achten wir ganz arg darauf, dass er Schuhe trägt. Ruck, zuck kommt man in Misskredit und es heißt: Nur weil die Eltern barfuß laufen, muss es das arme Kind auch.
Wollen Sie den Rest Ihres Lebens barfuß laufen?
Ich glaube, dass ich nie wieder Schuhe tragen kann. Wenn ich es beim Snowboarden oder Biken heute doch mal tue, dann muss ich die Schuhe nach zwei Stunden ausziehen. Ich fühle mich eingesperrt, kriege heiße Ohren, mir geht es dann richtig schlecht. Ich hoffe also, dass ich das Barfußlaufen ewig beibehalten kann. Für mich geht damit so viel Wohlempfinden einher, dass ich nicht mehr darauf verzichten mag.