Das Bürgertheater zeigt mit seinem Stück „Akte Oppenheimer“ eindrücklich die Geschichte des jüdischen Finanziers – eine Inszenierung voller Überraschungsmomente.

Ludwigsburg - Es ist dämmrig, der Großteil des Innenhofs der Karlskaserne liegt fast schon im Dunkeln. Nur am Eingang ist Licht. In dieser Ecke herrscht reges Treiben, immer mehr Menschen kommen auf den Hof. In einem Halbrund zum Eingangsbereich hin sind rund ein Dutzend kleine Jahrmarktsbuden aufgebaut, an denen die Besucher der Premiere „Akte Oppenheimer“ des Bürgertheaters am Donnerstagabend ein Glücksrad drehen, ein Puzzle legen oder ihre Geschicklichkeit beim Pfeile werfen testen können. Während manche die Aktivitäten sofort ausprobieren, schauen andere sich suchend um, einige setzen sich abwartend auf die wenigen Stühle, die auf dem Platz herumstehen.

 

Plötzlich sind laute Stimmen zu hören, die das allgemeine Gemurmel übertönen. Vier Personen sind auf Kartons gesprungen, die in der Menge stehen, und rezitieren Sätze, deren Inhalt zunächst unverständlich bleibt. Nach und nach wird klar, dass sie das Leben in Württemberg im 18. Jahrhundert beschreiben – in zeitgenössischer Wortwahl und im Stil von Jahrmarkt-Unterhaltern. Sie berichten von Pferden und Kutschen, die in den Straßen unterwegs sind, von Vieh und Bauern, Kaufleuten, Studenten und Komödianten. Und von Joseph Süß Oppenheimer: von den feinen Kleidern des jüdischen Kaufmanns, seinem gepflegten und jugendlichen Äußeren und seinem ausgeprägten Geschäftssinn.

Dann kommt die Nachricht, die alles verändert: Herzog Eberhard Ludwig ist tot, sein Neffe Carl Alexander wird Herzog. Nun nimmt das Schauspiel im Hof der Karlskaserne Fahrt auf. Geld wird zum zentralen Thema. Denn Carl Alexander hat davon nie genug, Joseph Süß Oppenheimer hingegen versteht es hervorragend, es zu vermehren – und wird deshalb zum Finanzberater des Herzogs.

In zahlreichen, geschickt konzipierten Szenen wird die Geschichte nun aus immer neuen Blickwinkeln heraus vorangetrieben. Unter anderem taucht immer wieder ein Service-Team der fiktiven Ludwigsburger Burg-Bank auf und wirbt mit skurrilen Installationen und absurden Argumenten für neues Geld: „Unser Geld ist besser und gerechter, mit unserem Geld sind Sie gleicher als alle anderen“ – ein klarer Bezug zur heutigen Bankenwelt. In Auszügen aus dem Unterricht einer Schulklasse wird mal auf Latein über das Glück philosophiert, mal in Physik die Fallgeschwindigkeit von Gegenständen berechnet. Ein älterer, weiser Mann warnt wiederholt davor, dass das Leben stets beide Seiten bereithält: die helle und die dunkle.

Die Dramaturgie ist von Anfang an klar – nicht nur, weil die Geschichte von Joseph Süß Oppenheimer zu Genüge bekannt sein dürfte, sondern auch, weil von Anfang an deutlich wird: Der rasante Aufstieg des Kaufmanns muss böse enden. Das macht das Stück jedoch keinesfalls langweilig – vielmehr wohnt diesem eine permanente Spannung inne. Denn die Inszenierung ist überaus abwechslungsreich, allein der ständige Wechsel der Spielorte ist faszinierend. Nur selten findet das Stück auf einer Bühne statt, die Szenen entwickeln sich mal aus einem Fenster heraus, mal mitten unter den Zuschauern und mal auf Matratzen im Zentrum des Hofes. Einmal spielt ein Orchester gar hoch oben auf dem Dach der Kaserne – die fünf Akte sind gespickt mit Überraschungsmomenten.

Inhaltlich ist die treibende Kraft ein Quartett, das in Form von Klatsch-und-Tratsch-Szenen exzellent veranschaulicht, wie sich die Stimmung gegen Oppenheimer immer mehr zuspitzt – was letztlich zu einem grotesken Hinrichtungsspektakel führt, das hier klug inszeniert wird.

Das Bürgertheater: Profis und Amateure treten gemeinsam auf

Projekt
Seit mehr als 25 Jahren existiert das Ludwigsburger Bürgertheater. Alle zwei Jahre wird eine Aufführung konzipiert, an der Profis und Amateure mitwirken, nämlich lokale Kunst - und Kulturschaffende, verschiedene Institutionen, Vereine, Gruppen und Einzelkünstler. Ein professionelles Team leitet die Produktionen, die Tanz- und Theaterwerkstatt übernimmt das künstlerische Betriebsbüro. Stadt, Land und Sponsoren sorgen für finanzielle Unterstützung.

Aktuell
Beim Stück „Akte Oppenheimer“ wirken mehr als 100 Personen mit – unter anderem von der Kunstschule Labyrinth, der Kostümgruppe Bellissima, dem Musikverein Eglosheim, der Jugendmusikschule, der Schülertheatergruppe des Friedrich-Schillergymnasiums und der Tanz- und Theaterwerkstatt. Weitere Aufführungen finden am 19., 20., 24., 25., 26. und 27. September jeweils um 20 Uhr in der Karlskaserne statt.