Immer weniger Russen und Ukrainer machen in Bulgarien Urlaub. Der bulgarische Branchenverband fordert, den eigenen Arbeitern Lohnanteile in Form von Hotelgutscheinen zu geben. Die Freude darüber ist mäßig.

Korrespondenten: Thomas Roser (tro)

Stuttgart - Von den Folgen der hohen Politik bleiben auch die populären Fluchtburgen des Alltags nicht verschont. Ob an den Roulettetischen von Baden-Baden, in den Nobel-Skiresorts der Alpen, in den Einkaufszeilen von Dresden oder an der kroatischen Adria: europaweit klagen Hoteliers und Gastronomen über das Ausbleiben der zahlungskräftigen Besucher aus dem sanktionsgeplagten Russland. Um die Ausnahmeausfälle zu kompensieren, plädieren Bulgariens Tourismusverbände nun für eine ungewöhnliche Nothilfe: Heimische Zwangsurlauber sollen am Schwarzmeergestade in diesem Jahr die befürchteten leeren Liegestühle füllen.  

 

Ernsthafte Krise im Tourismus

Der Fremdenverkehr ist eine der wichtigsten Einnahmequellen des EU-Habenichts: Der Tourismussektor macht 13,6 Prozent des heimischen Sozialprodukts aus. Die Folgen der Ukrainekrise drohen die Gastronomen des Balkanstaats gleich doppelt zu treffen. Einerseits rechnen sie wegen der Rubelschwäche in diesem Jahr mit bis zu 50 Prozent weniger Touristen aus Russland – mit 700 000 Gästen pro Jahr bisher hinter Deutschland auf Rang fünf der Herkunftsstaaten der Bulgarienbesucher. Andererseits müssen sie wegen des Kriegs im Donbass auch sinkende Besucherzahlen aus der Ukraine befürchten – mit knapp 400 000 Besuchern pro Jahr noch vor Polen und Großbritannien bisher immerhin der achtgrößte Touristenlieferant für die Billig-Bettenburgen am Sonnen- und Goldstrand.

Eine Schnapsidee – findet die lokale Zeitung

Die Situation sei für seine Branche „sehr ernsthaft“, sagt Bajko Bajkov vom Verband der bulgarischen Reiseveranstalter. „Die kommende Saison wird für uns sehr, sehr hart.“ Ein Problem kommt dummerweise selten allein: Zu allem Übel machen sich auch die heimischen Sonnenanbeter in den letzten Jahren vermehrt in die Nachbarländer Griechenland und die Türkei auf.

Doch Not macht auch auf dem Balkan erfinderisch. Um die leeren Betten der heimischen Herbergen zu füllen, schlagen Bulgariens Tourismusverbände vor, einen Teil der Löhne und Gehälter in Form von Hotelgutscheinen auszuzahlen: Die über das Jahr gesammelten Voucher im Wert von 60 Lewa (30 Euro) pro Monat sollen im Sommer die Auslastung der Hotelbunker an der Schwarzmeerküste sichern.  

Wenig Begeisterung bei den Bürgern

Nicht nur wegen der bescheidenen Durchschnittseinkommen von gerade einmal 415 Euro im Monat ist die Begeisterung für den vorgeschlagenen Lohnabstrich für einen Zwangsurlaub im eigenen Land in Bulgariens Öffentlichkeit begrenzt. Für eine Schnapsidee hält beispielsweise die Zeitung „Standart“ den Vorschlag. Nicht der Staat, sondern der Markt solle über die Wahl des Ferienziels bestimmen, meint das Blatt. Es gehe nicht an, auf Geheiß in Reih und Glied „bei Mutter Meer anzutanzen“: „Die Küstenorte, die sich noch nicht komplett zugebaut haben und Qualität zu einem guten Preis anbieten, werden auch in diesem Sommer gut ausgelastet sein. Die Einzigen, die von der Maßnahme profitieren würden, wären die schlechten Hotels, die sonst keine Gäste finden.“