Sie waren schon flügge, zogen um die weite Welt. Nach Jahren passiert es dann: Ein Job in der Heimat, ein Studium oder die Trennung vom Partner – und die Kinder stehen wieder auf der Matte. Doch nicht immer ist die Rückkehr ins Elternhaus einfach.

München - Anja Müller (Name geändert) ist das erste Mal für ihr Studium ausgezogen. Nach dem Studium ließ sie sich in einer größeren Stadt nieder und hat zwei Jahre lang bei einer Bank gearbeitet. Dann ging sie für ihren Job nach New York. Doch mit der Zeit zweifelte sie immer mehr an dem, was sie dort tat. Sie kündigte, ging ein Jahr auf Reisen und zog danach wieder in ihr Kinderzimmer – da war sie 27 Jahre alt.

 

Dass junge Leute, die bereits einmal ausgezogen sind, zurück ins Elternhaus ziehen, hat oft mit Wendepunkten im Leben zu tun. „Das kann die Trennung von dem Partner oder der Partnerin sein, es können finanzielle Probleme sein, Arbeitslosigkeit beispielsweise, es können aber auch Studierende sein, die nach dem Studium nicht direkt einen Job finden“, erklärt Anne Berngruber. Sie ist Jugendforscherin am Deutschen Jugendinstitut in München und beschäftigt sich seit einigen Jahren mit dem Aus- und Wieder-Einzug von jungen Erwachsenen. Die Medien und die Wissenschaft nennen Kinder, die zurück ins Elternhaus ziehen, häufig Bumerang-Kinder. „Der Begriff ist allerdings nicht sehr schmeichelhaft“, kritisiert Berngruber.

Phänomen sei nicht neu

Es gibt keine offiziellen Zahlen, wie viele Menschen wieder zurückgezogen sind. „Das Statistische Bundesamt weist nur die Anzahl derer aus, die mit den Eltern zusammenleben“, erläutert die Jugendforscherin. Das schließt dann auch die Kinder mit ein, die noch nie ausgezogen sind. Es gebe aber Befragungsdaten, nach denen in Deutschland schätzungsweise zehn Prozent der jungen Erwachsenen wieder zu Hause einziehen. Das Phänomen sei nicht neu, es werde in den USA seit den 1980er Jahren untersucht. Aber es werde stärker wahrgenommen, so Berngruber.

Lukasz Richter (Name geändert) hatte nach dem Abitur das Bedürfnis auszubrechen, um sich komplett entfalten zu können. In seiner Stadt in Süddeutschland fühlte er sich eingeschränkt, für seine Homosexualität war in seinem Elternhaus kein Platz. Er ergriff die Möglichkeit ins Rheinland zu ziehen: Neue Stadt, Partys, Drogen – fast alles habe er in dieser Zeit ausprobiert. Und auch der Schuldenberg häufte sich. Irgendwann kam für ihn der Punkt, an dem er merkte: „Ich muss zurück nach Hause. Ich gehe hier unter.“

Gerade in schwierigen Situationen verspricht das Elternhaus ein soziales Sicherheitsnetz. „Es kann natürlich auch Trost spenden, wenn man weiß, da ist jemand für mich da“, so Berngruber.

Es kommt leicht zur Reibereien

Für Cornelia Heine (Name geändert) und ihren Mann war es keine Frage, dass ihre Töchter wieder zu Hause einziehen können. Eine ihrer Töchter hatte nach dem Studium Schwierigkeiten, einen Job zu finden - und zog in ihr altes Zimmer. „Sie ist halt unser Kind, und wir versuchen, unseren Kindern, immer wenn es mal nötig ist, zu helfen“, erklärt sie. Sie wisse aber auch, dass das nicht jeder machen würde.

Für Eltern ist es nicht immer leicht, wenn das Kind wieder einzieht. „Die Eltern hatten schon das leere Nest und haben vielleicht auch schon eigene Routinen entwickelt, konnten ihre Zeit anders einplanen“, erklärt Berngruber. Treffen sie dann mit den neuen Routinen der Kinder zusammen, könne es zu Reibungen kommen.

Bei Cornelia Heine und ihrer Familie gab es glücklicherweise nur wenige Einschränkungen. „Klar, jeder muss sich noch mal ein bisschen einschränken, aber es war nicht so, dass man nicht mehr seins hatte“, erzählt sie. Bis auf die Mitbenutzung des Badezimmers habe sie wenige Absprachen treffen müssen. Sie glaube aber, dass der Wieder-Einzug für ihre Tochter schwieriger gewesen sei als für sie.

Kein Rückschritt?

Dass es als Kind schwieriger sein mag, kann Lukasz Richter bestätigen: „Die alten Grenzen waren wieder da, und das freie, neue Ich wollte nicht reinpassen.“ Das gab vor allem mit seinem Vater Probleme. „Nur Reibungspunkte, nur Ärger, nur Stress“, erinnert sich Lukasz an die Zeit mit seinem Vater. Etwas angepasst habe er sich in der Zeit trotzdem: „Ich wollte ja auch nicht respektlos sein und nur zum Schlafen zu Hause sein“.

Reibereien gab es bei Anja Müller nicht. Ihr war es aber wichtig, bei den Eltern keinen Termindruck zu haben. Sie wollte nicht bei jedem Abendessen dabei sein müssen und ihre Wäsche selber waschen. Dafür waren anfangs ein paar Absprachen nötig. „Wir haben uns tatsächlich am Anfang alle zusammengesetzt und besprochen, was wem wichtig ist“, erzählt sie. Auch Lukasz rät, kompromissbereit zu sein.

Schwieriger war die Wahrnehmung im Freundeskreis und auf der Arbeit. Anjas neue Chefin sagte sofort: „Wir müssen es schaffen, dass du so viel verdienst, dass du bei deinen Eltern wieder ausziehen kannst.“ Und auch viele ihrer Freunde hätten es als etwas Negatives aufgefasst, erzählt sie.

Wer nicht auszieht oder wer wieder zurückzieht, wird oft als unselbstständiger Mensch wahrgenommen. „In Deutschland ist es erstmal so, dass junge Menschen ausziehen, bevor sie eine Familie gründen“, sagt Jugendforscherin Berngruber. Daher sei es oft nicht einfach, diesen Schritt zurück zu den Eltern zu gehen.

Für Anja selbst habe es sich allerdings nicht wie ein Rückschritt angefühlt. Und auch Lukasz bereut es nicht, wieder bei seinen Eltern eingezogen zu sein: „Das war damals teilweise genau das, was ich gebraucht habe.“