Um gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland zu schaffen, legt eine Kommission jetzt erste Ideen vor. Doch die sind umstritten.

Berlin - Es ist eine zentrale Erkenntnis aus dem Bundestagswahlergebnis 2017 gewesen: Die Unzufriedenheit, die zum AfD-Einzug in den Bundestag beitrug, speist sich auch daraus, dass trotz kräftiger Wirtschaft in zahlreichen Gegenden Arbeitsplätze fehlen, Postfilialen schließen, die nächste Arztpraxis nicht am Ort ist oder kein Bus mehr fährt. Damit es keine abgehängten Regionen mehr gibt, hat die Koalition von Union und SPD eine Regierungskommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ unter Leitung des Innenministeriums und Beteiligung der Bundesländer eingesetzt. Die Empfehlungen der sechs Arbeitsgruppen, aus denen bis Juli ein Abschlussbericht entstehen soll, liegen unserer Zeitung vor.

 

Weil es sich bei der Angleichung der Lebensverhältnisse um eine Querschnittsaufgabe handelt, schlagen die Berichte Maßnahmen aus fast allen Politikbereichen vor. So wird ein weiterer Mobilfunkgipfel gefordert, um die weißen Flecken beim Handyempfang in ländlichen Regionen konsequenter anzugehen. Die Bundesförderung von Kindertagesstätten soll über 2022 hinaus weiterlaufen. Von „Sozialraumplanung“ und aufzubauenden „Kümmererstrukturen“ ist die Rede, um in den Kommunen Versorgungsengpässe frühzeitig zu identifizieren und ein gutes Miteinander zu organisieren. Es geht um „eine Kultur für alle in urbanen und ländlichen Räumen“, die gefördert werden soll. Behörden sollen häufiger in strukturschwachen Gebieten angesiedelt werden.

Landarztquote soll Versorgung verbessern

Als möglicher Beitrag zur besseren medizinischen Versorgung auf dem Land gilt neben der Telemedizin, für die das Breitbandnetz flächendeckend sein muss, auch die „Landarztquote“, wie sie gerade in Nordrhein-Westfalen eingeführt und von Bundeskanzlerin Angela Merkel beworben wurde: Ein Teil der Medizinstudienplätze wird dabei an Bewerber vergeben, die sich verpflichten, nach der Ausbildung für eine bestimmte Zeit – in NRW sind es zehn Jahre – in unterversorgten, für junge Leute möglicherweise auch unattraktiveren Regionen zu arbeiten.

Kern der Kommissionsarbeit sind jedoch die Finanzen. Ende dieses Jahres laufen die Regelungen des Solidarpakts II aus, mit dem vor allem die ostdeutschen Länder nach der Wiedervereinigung gefördert wurden. Ein Teil der Nachfolgeregelung vom Jahr 2020 ist mit dem neuen Bund-Länder-Finanzausgleich bereits beschlossenen Sache – 2017 wurde eine generelle Entlastung der Bundesländer um 9,7 Milliarden Euro beschlossen. Hinzu soll nun ab kommendem Jahr ein dritter Solidarpakt treten, der nicht so heißen soll. Stattdessen ist von einem „gesamtdeutschen Fördersystem“ die Rede, mit dem „der Bund die wirtschaftliche Entwicklung und die Lebensbedingungen in strukturschwachen Regionen langfristig und verlässlich unterstützen“ wird. Den Empfehlungen der Arbeitsgruppe zufolge sollen dafür insgesamt 22 bestehende Förderprogramme „unter einem Dach gebündelt“ werden, „neue treten hinzu“.

Entschuldungsprogramm im Gespräch

So hat die Runde die Idee diskutiert, ein von Bund und Ländern finanziertes Entschuldungsprogramm für Kommunen aufzulegen, die ihren Bürgern deshalb keine gleichwertigen Perspektiven bieten können. Empfohlen wird auch eine Änderung des Grundgesetzartikels 91, „um Maßnahmen insbesondere zur Verbesserung ländlicher Versorgungsstrukturen auch ohne agrarstrukturellen Bezug fördern zu können“. All das kostet zusätzlich Geld, eine konkrete Hausnummer enthalten die Berichte aber nicht. Vielmehr ist vage davon die Rede, dass „ein mit entsprechenden Finanzmitteln auszustattender Mehrbedarf“ entstehen wird.

Die Vorschläge sind entsprechend umstritten. So hat etwa die bayerische Landesregierung in einer Protokollnotiz hinterlegt, dass sie keinesfalls gewillt ist, für die Entlastung von Eltern in anderen Bundesländern „bis hin zur Gebührenfreiheit“ von Kitas zu zahlen. Baden-Württemberg lehnt nach dem langen Streit über den Digitalpakt Schule eine weitere Grundgesetzänderung zu Bund-Länder-Finanzierungsfragen ebenso ab wie den dritten Solidarpakt selbst. Der greift aus Sicht des Stuttgarter Wirtschaftsministeriums „zu kurz“, weil er „auf die GRW-Systematik verengt“ ist. Dahinter steckt die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, von der hauptsächlich Ostdeutschland profitiert.