Für den Generalbundesanwalt war diese Bilanz eine Premiere - nach knapp einem Monat im Amt. Sein Resümee stand völlig im Schatten der Neonazi-Verbrechen.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)

Zwickau - Für den Generalbundesanwalt ist es eine Premiere. Kaum einen Monat ist Harald Range im Amt, da bilanzierte er am Mittwoch schon - wie es traditionell im Dezember üblich ist - die Arbeit seiner Behörde im vergangenen Jahr. Doch das Resümee stand völlig im Schatten der aktuellen Debatte über die Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrunds ("NSU").

 

"Ich bin erschüttert von dem menschenverachtenden Hass, der hinter den feigen Mordanschlägen steht", sagte Range dazu. Und er gab sich überzeugt, dass die Untaten der Zwickauer Terrorzelle völlig aufgeklärt werden könnten. Mittlerweile seien mehr als 560 Hinweise aus der Bevölkerung eingegangen. Diese Welle werde noch weiter anschwellen.

Wichtige Erkenntnisse versprechen sich die Ermittler von einer Computerfestplatte, die in dem ausgebrannten Haus, das die Gruppe bewohnte, gefunden wurde. "Es gibt darauf eine Menge an Beweismitteln, die uns weiterbringen werden", sagte Ranges Stellvertreter Rainer Griesbaum. Laut dem Leiter der Terrorismusabteilung in Karlsruhe ist noch eine Datenmenge von insgesamt 270 Gigabyte auszuwerten.

Er berichtete, dass zwei nun sichergestellte Vorgängerversionen des bereits bekannten Bekennervideos zeigten, dass die rechtsextreme Gruppe spätestens seit dem Jahr 2001 den Namen Nationalsozialistischer Untergrund verwendet habe. Als Motiv für die Ermordung ausländisch stämmiger Menschen werde dort der "Erhalt der deutschen Nation" genannt.

Terroristische Hintergründe sind ohne Täterbekenntnis schwer zu erahnen

Die Ermittler haben vier Personen inhaftiert, darunter den Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben. Sie sollen die Gruppe, zu der die mittlerweile toten Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und die ebenfalls inhaftierte Beate Zschäpe zählten, unterstützt haben - sei es mit Wohnungen oder mit Waffen. Das Neonazitrio wird beschuldigt, in den vergangenen Jahren zehn Morde an türkisch- und griechischstämmigen Kleinunternehmern und einer Polizistin sowie einen Mordversuch begangen zu haben. Auch zwei Sprengstoffanschläge und Banküberfälle sollen auf ihr Konto gehen. Range betonte am Mittwoch, die Heilbronner Polizisten seien als Repräsentanten der wehrhaften Demokratie attackiert worden.

Griesbaum berichtete, dass es sieben Beschuldigte gebe. Darüber hinaus habe man weitere Personen im Blick. Der Bundesanwalt wies deutlich Vorwürfe zurück, dass Justiz und Polizei auf dem rechten Auge blind gewesen seien und die Zusammenhänge der Taten zu lange nicht gesehen hätten. Es sei stets schwierig, einen terroristischen Hintergrund zu erahnen, wenn sich - wie im Fall der Zwickauer Gruppe - niemand zu den Taten bekenne, ein politisches Programm nicht öffentlich mitgeteilt werde oder es auch nicht zu sonstigen schweren Verbrechen komme. Erst die Funde, die die Ermittler im November machten, hätten die Zusammenhänge der Verbrechen vor Augen geführt.

Griesbaum beklagte, dass die Bundesanwaltschaft die Verfahren im Bereich des Rechtsextremismus oft nicht früher an sich ziehen könne. Solange es keine Hinweise auf eine festgefügte terroristische Vereinigung gebe, blieben wegen der föderalen Struktur meist die Landesanwaltschaften zuständig. Die Folge sei möglicherweise, dass übergreifende Zusammenhänge nicht oder zu spät erkannt würden.

"Deutschland ist weiter Gefahrenraum"

"Es wäre also erwägenswert, die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft zu stärken", meinte Griesbaum. Er beschäftigte sich ausführlich mit neu ausgewerteten älteren Varianten des Bekennervideos. Die Vorgängerversionen seien aggressiver gestaltet. Zu sehen sei ein Feld mit insgesamt 14 Schaltflächen. Es sei bis jetzt nicht klar, ob jede davon für einen geplanten Mord stehe. Filmsequenzen seien unterlegt mit Musik der rechten Band "Noie Werte", die aus dem Stuttgarter Großraum stammt.

Griesbaum und Range warnten zugleich davor, nun den islamistischen Terror aus dem Blick zu verlieren. Man dürfe nicht ein Problem für erledigt halten, weil ein anderes auftauche. "Deutschland ist weiter Gefahrenraum", betonte Griesbaum. Spätestens Anfang 2010 habe sich die Führung von Al-Kaida entschlossen, die Bundesrepublik mit Anschlängen zu überziehen. Bisher sei es gelungen, die für die Attentate Rekrutierten rechtzeitig festzunehmen.

Deutschland sei auch im Visier anderer Islamisten. Laut Griesbaum gibt es bei der Propaganda im Internet einen "echten Quantensprung". Mitglieder würden geworben, Anleitungen zum Bombenbau verbreitet. Auch die Anschlagsplanung laufe über das Netz. Griesbaum betonte zwar die Erfolge von Polizei und Justiz in diesem Kampf, aber er hob auch hervor: "Islamistische Terroristen haben einen langen Atem und lassen sich von Misserfolgen nicht entmutigen."