Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt bestätigt Urteile der beiden ersten Instanzen. Die im Jahr 2011 an die neu gegründete Firma FHK Weitergereichten und zwischenzeitlich Arbeitslosen gelten demnach weiter als Werzalit-Beschäftigte.
Oberstenfeld - Eine lange Geschichte hat am Donnerstag ihr vorläufiges Ende genommen: Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt verkündete am Nachmittag das Urteil im Rechtsstreit zwischen dem Oberstenfelder Holzverarbeiter Werzalit und sechs Arbeitnehmern, die an den Standorten Oberstenfeld, Berlin und Niederorschel in Thüringen in die Fertigungsgesellschaft Holz und Kunststoff (FHK) weitergereicht worden waren. Demnach habe es sich um keinen echten Betriebsübergang gehandelt: Die Kläger gelten weiter als Werzalit-Beschäftigte.
Weil die 2011 gegründete Firma FHK im November 2016 insolvent wurde, verloren sie ihren Arbeitsplatz – wie allein am Standort Oberstenfeld insgesamt 58 Arbeitnehmer. Werzalit mit deren Geschäftsführer Jochen Werz hatte sich für sie nicht mehr zuständig erklärt.
Was das BAG-Urteil für das weitere Miteinander bedeutet, ist offen. Die Arbeitnehmer sind formal wieder als Beschäftigte von Werzalit zu betrachten. Ihre Kündigungsschutzklagen lagen auf Eis, werden jetzt wohl aber weiterbetrieben. Auf Werzalit kommen deshalb Forderungen in Millionenhöhe zu. Allein Pensionsansprüche in Höhe von rund 3,4 Millionen Euro stehen laut Angaben des Betriebsrats im Raum. Das Urteil werde, sagt Jochen Werz, „eine Neubewertung unserer Strategie und unserer Standorte notwendig machen“. Die über viele Jahre andauernde Rechtsunsicherheit mit sich widersprechenden Urteilen – teilweise durch den gleichen Richter und innerhalb der gleichen Gerichte – sei für ein mittelständisches Unternehmen eine schwere Belastung. „Wir werden die Konsequenzen prüfen und danach die notwendigen Entscheidungen treffen.“
Großer Jubel bei Rückfahrt
Mit einem Bus hatten sich die Arbeitnehmer aus Oberstenfeld schon früh auf den Weg gemacht, um bei Verhandlungsbeginn um 10 Uhr im Gerichtssaal anwesend zu sein. Vom Urteil erfuhren sie aber erst, als sie am Nachmittag auf der Heimfahrt waren. „Der Jubel im Bus ist unglaublich groß“, berichtete Erdal Ayar, einer der Betriebsräte, die sich seit dem Betriebsübergang im März 2011 gegen diesen von dem Werzalit-Geschäftsführer Jochen Werz initiierten Schritt wehrten.
Die Erfurter Richter folgten im Wesentlichen der Begründung des Landesarbeitsgerichts Stuttgart, das vor etwa zwei Jahren ebenfalls zugunsten der Arbeitnehmer entschieden hatte. „Ein Betriebsübergang setzt voraus, dass die tatsächliche Verantwortlichkeit auf eine andere natürliche oder juristische Person als Inhaber übergeht“, erklärt Waldemar Reinfelder, Richter am Bundesarbeitsgericht in Erfurt, unserer Zeitung. Der Vertrag zwischen Werzalit und der FHK über die Lohnfertigung und die Geschäftsbesorgung sei hingegen darauf angelegt gewesen, „dass Werzalit das Sagen hat“.
Gewerkschaft ist zufrieden
Das Erfurter Bundesarbeitsgericht kassierte damit Urteile des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg. Dieses Gericht hatte den Übergang zur FHK in den meisten von 17 verhandelten Fällen am inzwischen geschlossenen Berliner Werzalit-Standort für rechtens erklärt. Das BAG-Urteil gilt damit für alle noch anhängige Verfahren in den drei Bundesländern. Erfreut über den Erfolg äußerte sich Thomas Heller von der DGB Rechtsschutz in Kassel. „Das Gericht hat deutlich gemacht, dass es so nicht geht“, sagte er. Die Arbeitgeber könnten nicht einfach Kapital und Arbeitnehmer voneinander trennen. Ein solches Vorgehen sei „als in sich widersprüchlich“ zu sehen. Das mache den Erfurter Richterspruch für die Allgemeinheit bedeutsam.
Schärfere Worte formuliert der Linken-Bundesvorsitzende Bernd Riexinger, der 2015 bei den Arbeitern vor dem Werkstor stand, in einer Presseerklärung. „Es bleibt skandalös, dass Beschäftigte erst jahrelang kämpfen müssen, um endlich zu ihrem Recht zu kommen.“ Riexinger sieht im Vorgehen Werzalits eine „willkürliche Ausgliederung und Zerschlagung des Unternehmens zum Zwecke der Tarifflucht mit Entrechtung und Sozialabbau“.