IdeenwerkBW-Schwerpunkt Bauen in der Zukunft (4): Innovative Architektur auf der Bundesgartenschau – das ist eine der Attraktionen beim diesjährigen Event in Heilbronn. Hier zeigt die Universität Stuttgart teils spektakuläre Konzepte.

Heilbronn - Mitten auf der Sommerinsel, einer der Hauptattraktionen der Bundesgartenschau in Heilbronn (BUGA), kann die Universität Stuttgart ihre innovativen, auf Leichtbau angelegten Entwürfe mit gleich zwei Pavillons nach dem Vorbild der Natur vorstellen. In unmittelbarer Nähe zum neu angelegten Karlssee, auf dem Europas größte mobile Wasserspiele und Laserschau jeden Samstag Tausende von Besuchern anlocken, sind die beiden bionischen Bauten nicht zu übersehen.

 

Zum einen ist es das, abgesehen von seiner auffallenden Formgebung, auf den ersten Blick nicht gänzlich neuartig erscheinende, sich ins Gelände duckende großzügige Holzgebilde. Beim zweiten Pavillon präsentiert sich die Architektur disruptiv. Von fern einem Polypen ähnelnd, kommen bei diesem luftig transparenten Gebilde neue, besonders leichte und belastbare Faserwerkstoffe ins Spiel.

Die Stuttgarter haben Erfahrung mit solchen Bauten. Achim Menges vom Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD) und sein Professorenkollege Jan Knippers vom Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen (ITKE) sind die beiden Professoren, die den digitalen Leichtbau samt ungewohnter Formgebung seit annähernd zehn Jahren erforschen und vorantreiben. Sie sind als Team samt Zulieferern so eingespielt, dass vom ersten Konzept bis zur tatsächlichen Ausführung und offiziellen Eröffnung der beiden offenen Gebäude zur Bundesgartenschau nur 13 Monate vergingen.

„Die Bundesgartenschau bietet uns eine wunderbare Gelegenheit, wesentliche Dinge unserer Forschung zusammenzuführen“, freut sich Menges. Mit den beiden Pavillons bringt die Universität die vielfältigen Möglichkeiten digitaler Technologien für zukunftsfähiges Planen und Bauen auf den Punkt. Noch vor fünf Jahren wären die beiden Pavillons so nicht möglich gewesen, sagen die beiden Institutsleiter.

Mit Holz auf dem richtigen Weg

Von außen wie ein Schildkrötenpanzer schmiegt sich der geschwungene Holzleichtbau harmonisch in die florale Landschaft. Tatsächlich hat ein Seeigel Pate gestanden, wie sich beim Betreten des Innenraums mit seinen Hohlräumen in den einzelnen Holzkassetten besser erkennen lässt. Mit ihrem Holzpavillon, Anlaufpunkt für Veranstaltungen aller Art, setzen die Stuttgarter einen bewussten Kontrapunkt zum heute gängigen Bauwesen.

Gerade in Baden-Württemberg mit seinem üppigen Waldbestand ist das Bestreben wieder erstarkt, Holz als regional verfügbare Ressource zu verwenden – zumal es im Holzbau ein gewachsenes Handwerkswesen gibt. Der Pavillon der Universität setzt auf eine Art Verfremdungseffekt, indem das Material mit ungewohnter Formgebung auf sich aufmerksam macht. Denn es ging den Wissenschaftlern um mehr als viereckiges Bauen. Das Ziel war, auch mit diesem Pavillon zu zeigen, wie digitale Prozesse dem Holzbau neue Möglichkeiten eröffnen können – jenseits des klassischen Geschossbaus, wie er ein paar Meter weiter im neu entstehenden Stadtquartier mit dem derzeit höchsten Holzgebäude Deutschlands zu sehen ist.

„Kuppeln, Gewölbe, Schalen sind im heutigen Bauwesen nahezu ausgestorben, weil die Herstellungskosten enorm hoch sind“, erklärt Bauingenieur Knippers. Deswegen war das Projektziel, eine Schalenkonstruktion zu schaffen, die unter heutigen Bedingungen wirtschaftlich herstellbar ist. Die bionische Begleitforschung an den Instituten führte auch hier zu entscheidenden Fortschritten, nach dem Motto: mehr Form mit deutlich weniger Material, abgeschaut von der Natur.

Innovative Architektur auf der Bundesgartenschau mit Traditionsmaterial

„Erstmals haben wir ein gewölbtes Dach aus Holz für die Landesgartenschau in Schwäbisch-Gmünd konstruiert.“, sagt der Leiter des ITKE. Der grundlegende Unterschied: Vor fünf Jahren waren die Holzplatten fünf Zentimeter dick und massiv. „Im neuen Pavillon haben wir die Spannweite dramatisch erhöht – um den Faktor drei – bei gleichem Holzgewicht. Die neue Spannweite von fast 30 Metern konnten wir erreichen, indem wir die massiven Platten aufgelöst haben zugunsten dieser Kassettenstruktur.“ Die letztendliche Form sei das Ergebnis einer Optimierung zwischen ästhetischen Anforderungen und denen der Statik.

„Der Holzpavillon ist ein schönes Beispiel dafür, wie Holzbau in einer Wissensgesellschaft funktionieren kann: Material durch mehr Intelligenz und durch automatisierte Prozesse zu sparen und dadurch ressourceneffizient zu bauen“, unterstreicht Knippers die Errungenschaft mittels modernster Technologien.

Heiliges Karbönle auch für Immobilien

Ultramodern präsentiert sich der Pavillon aus Glas- und Karbonfasern. Audi, der Hauptsponsor der Bundesgartenschau, kennt den Umgang mit Karbon als schützende Leichtbauhülle schon lange. In der Architektur ist der sehr strapazierfähige Lastenträger noch recht unbekannt. Die transparente Membranhülle, die auf den knochenartigen Gebilden aufliegt, ist dagegen erprobt und aufgrund ihrer UV-Durchlässigkeit als Dach für Sportstadien beliebt.

Auch bei diesem Pavillon hat die Natur Pate gestanden. „Eigentlich sind alle lasttragenden Strukturen in der Natur Faserverbundwerkstoffe“, erklärt Menges, dessen Institut sich seit mehr als sieben Jahren ausgiebig der Erforschung verschiedenster Bauformen bei Flora und Fauna widmet. „Die Natur erreicht eine unglaubliche Leistungsfähigkeit, indem sie jede Faser so ausrichtet und dort verbaut, wo sie tatsächlich gebraucht wird“, gerät der 43 Jahre alte Professor ins Schwärmen. Genau das war auch das Prinzip, das die beiden Institute auf das Bauwesen übertragen haben. Die 150 000 Meter Faser, die in diesem Leichtbau-Pavillon verbaut sind, kommen nur da zum Einsatz, wo sie auch eine tragende Funktion haben. „Die röhrenförmigen Bauteile sind so aufgebaut, dass sie ein Tragwerk ergeben und sich in fünf Segmenten wiederholen. Aber innerhalb dieser fünf Segmente ist jedes Bauteil unterschiedlich“ – so beschreibt Menges die endgültige Gestaltung, die ein kluges Softwareprogramm errechnet. Aus 60 Bauteilen besteht die sieben Meter hohe Kuppel mit ihren rund 23 Metern Durchmesser auf einer Grundfläche von 400 Quadratmetern.

Innovative Architektur auf der Bundesgartenschau nutzt Leichtbau

Innovative Architektur auf der Bundesgartenschau brauchte neue Genehmigungsprozesse. Es gab bisher keine offiziell verbindlichen Prüfkriterien, die sie erfüllen musste. Als umso wichtiger bei der Erstellung der beiden Pavillons bewertet es Bauingenieur Knippers deshalb, dass „wir hier zum ersten Mal wirklich mit den Baugenehmigungsbehörden zusammengearbeitet und es erreicht haben, daraus ein Prüfprozedere zu entwickeln.“ Künftigen Bauvorhaben ähnlich innovativer Art sollte das zugutekommen. Denn nun liegen verbindliche Parameter vor, nach denen die Stabilität von Leichtbau nach bionischen Prinzipien und mit neuen Werkstoffen wie Karbon gemessen werden kann.

Unter den heutigen Bedingungen, so der 56 Jahre alte Professor, sei es „extrem schwierig, im Bauwesen Innovationen durchzusetzen. Weil eben überall Risikominimierung die oberste Priorität ist – wirtschaftliche, technische, aber auch ästhetische Risikominimierung.“

Noch etwas zeigt die innovative Architektur auf der Bundesgartenschau: Weil die beiden langlebigen Pavillons aus Modulen bestehen, lassen sich im Oktober auch schnell wieder abbauen und gegebenenfalls andernorts wieder aufbauen.