Der Bundesgerichtshof hat die Klagen von zwei Privatanlegern abgewiesen. Das Urteil ist aber nicht wegweisend für alle Verfahren.

Karlsruhe - Der Bundesgerichtshof hat die Schadenersatzklagen von zwei Privatanlegern abgewiesen, die Zertifikate der US-Investmentbank Lehman Brothers erworben und dadurch große Verluste erlitten hatten. Die Anleger seien nicht unzureichend oder falsch beraten worden, so der XI. Zivilsenat. Deshalb hätten sie auch keinen Anspruch auf Rückzahlung des investierten Geldes. Die Lehman-Insolvenz sei nicht vorhersehbar gewesen. Die Bank habe die Anleger auch nicht über ihre Gewinnmarge informieren müssen.

 

Die Kläger hatten 2006 beziehungsweise 2007 bei der Hamburger Sparkasse Lehman-Zertifikate im Wert von je 10.000 Euro gekauft. Die Inhaberschuldverschreibungen waren 2008 nach der Pleite der Investmentbank wertlos geworden. Den Käufern war versprochen worden, dass sie mit den Zertifikaten, die eine Laufzeit von fünf beziehungsweise 5,5 Jahren hatten, im besten Fall einen "Bonus" von 15 beziehungsweise 20 Prozent erzielen würden, im für sie ungünstigsten Fall aber ihre Einlage zurückerhielten. Der Gewinn sollte (vereinfacht formuliert) von der Entwicklung von Aktienindizes abhängen.

Bereits zu Beginn der mündlichen Verhandlung hatte der Vorsitzende Richter Ulrich Wiechers in ungewöhnlicher Deutlichkeit klargestellt, dass nach der "vorläufigen Berurteilung" des Gerichts die Klagen dieser beiden Lehman-Geschädigten zurückzuweisen seien. Wiechers machte aber zugleich deutlich, dass andere Verfahren ganz anders ausgehen könnten. Die beiden ersten Fälle in diesem Komplex, über die der Bundesgerichtshof zu entscheiden hatte, hätten lediglich eine "gewisse Pilotfunktion". In anderen Fällen hätten andere Banken auf unterschiedlichen Wegen unterschiedliche Zertifikate verkauft.

Die Frankfurter Sparkasse war vor dem OLG unterlegen

Ursprünglich hatte der Bundesgerichtshof zwei andere Fälle als Pilotverfahren ausgesucht. Über sie sollte bereits im April verhandelt werden. Damals hatte die Frankfurter Sparkasse, die diese Lehman-Zertifikate verkauft hatte, in letzter Minute ihre Revision zurückgenommen und damit ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshof vermieden. Sie war zuvor, anders als die Hamburger Sparkasse jetzt, bereits vom Oberlandesgericht zum Schadenersatz verurteilt worden, und hatte offenkundig den Eindruck gehabt, auch beim Bundesgerichtshof zu unterliegen.

Die Rücknahme der Revision war damals erkennbar auf Unmut bei den Bundesrichtern gestoßen. Am Dienstag nun konnte man aus der ungewöhnlich direkten Einleitung Wiecherts den Schluss ziehen, dass es ihm diesmal nicht unangenehm gewesen wäre, wenn die Revisionen nach der Ankündigung einer mutmaßlichen Niederlage von den Klägern noch zurückgenommen worden wären. Aus dem Zusammenhang kann man deshalb schließen, dass der Bundesgerichtshof als erste Grundsatzentscheidung im Lehman-Komplex lieber eine anderslautende Entscheidung auf der Grundlage eines für den Bankkunden besonders nachteiligen Sachverhalts gehabt hätte. Denn den ersten Entscheidungen kommt nicht im Rechtssinne, aber in der öffentlichen Aufmerksamkeit eine besondere Bedeutung zu. Es geht um das Signal, das ein Gericht damit setzt.

Kläger hatten bereits Erfahrung mit riskanten Geldanlagen

Wiechert wies in der Verhandlung darauf hin, dass die beiden Hamburger Kläger bereits Erfahrungen auch mit viel riskanteren Geldanlagen gehabt hätten. Es gebe keinen Zweifel, dass die Banken auch in solchen Fällen im Rahmen ihrer Beratungspflicht über das allgemeine Risiko informieren müssten, dass die gesamte Geldanlage wertlos werden könne, wenn die das Zertifikat ausgebende Bank - wie Lehman - pleitegehe ("allgemeines Emittentenrisiko"). Dies sei geschehen. Allerdings habe 2007 noch niemand Hinweise auf ein "konkretes Risiko" bei Lehman gehabt.

Die Sparkasse hatte in einem der beiden Fälle mit einer Gewinnspanne von 4,8 Prozent gearbeitet. Neben einem "Ausgabeaufschlag" von einem Prozent hatte sie zuvor von Lehman noch einen Rabatt in Höhe von 3,8 Prozent erhalten.

Richard Lindner, der Anwalt der Kläger, warnte in der Verhandlung, mit einer Abweisung der Klage würden die Richter den Banken ein "Konstruktionsvehikel" liefern, mit denen diese konstruierte Wertpapiere "den Kunden wieder unterjubeln" könnten. Die Banken hätten bei dem Verkauf eigene Gewinninteressen verfolgt. Entscheidend sei, inwieweit die Beratung der Kunden davon "infiziert" gewesen sei.

Parallelen und Unterschiede zwischen Obstmarkt und Banken

Trauben: Die Anwälte beider Parteien nutzten in Karlsruhe prägnante Bilder. Eine Traubenverkäuferin, so der Sparkassen-Anwalt, müsse auch nicht sagen, zu welchem Preis sie selbst die Früchte eingekauft habe. Der Kunde interessiere sich allein dafür, wie die Trauben schmeckten. Der Gegenanwalt replizierte, die Marktfrau trete anders als die Banken in ihrer Werbung auch nicht mit dem Anspruch auf: „Ich bin ihre Weintraubenberaterin.“

Gebrauchtwagen. Der Kläger-Anwalt verglich die Bankberater in seinem Plädoyer mit Gebrauchtwagenhändlern. Jeder der einen Gebrauchtwagen kaufe, wisse, dass der Händler vor allem eigene finanzielle Interessen verfolge. Die Banken träten aber mit dem Anspruch auf, uneigennützige Berater zu sein. Wenn sie in Wahrheit mit ihrer Beratung auch eigene finanzielle Interessen verfolgten, dann müssten sie so wie Autohändler gesehen werden.

Zertifikate: Zwischen dem Verkauf von Trauben und Zertifikaten gebe es einen weiteren entscheidenden Unterschied, so der Klägeranwalt. Bei Weintrauben hätten die Kunden tatsächlich vor allem Interesse an deren Geschmack. Bei Geldanlagen aber gehe es allein um den Ertrag, den sie abwerfen. Deshalb sei für den Kunden von entscheidender Bedeutung, welchen Anteil des Ertrags die Bank bei dem Geschäft für sich behalte.