Bundeskanzler in der Türkei Die drei großen Themen für Scholz und Erdogan

Der türkische Oppositionspolitiker Mustafa Yeneroglu kennt die deutsche und türkische Sicht. Foto: imago/Eventpress/ Stauffenberg

Der deutsche Kanzler und der türkische Präsident wollen in Istanbul politische Baustellen abräumen. Drei große Themen müssen die beiden besprechen.

Deutschland und die Türkei wollen beim Treffen von Bundeskanzler Olaf Scholz und Präsident Recep Tayyip Erdogan an diesem Samstag in Istanbul ein neues Kapitel in den Beziehungen zwischen den beiden Ländern aufschlagen. Beide Seiten haben Interesse an dem Neuanfang und haben schon vor dem Besuch damit begonnen, politische Baustellen abzuräumen. So erklärte sich Berlin zu mehr Waffenlieferungen an den Nato-Partner bereit. Am Bosporus stehen Scholz und Erdogan aber vor drei wichtigen Hürden für die Wiederannäherung.

 

Visumserleichterungen für türkische Staatsbürger dürften Erdogans Hauptforderung an Scholz sein. Eigeninteressen der beiden Regierungen schließen schnelle Lösungen bei diesem Thema aus. Die Türkei dringt seit Jahren darauf, ihren Bürgern die Reisen nach Deutschland und andere EU-Länder zu erleichtern; viele Türken haben Verwandte in der Bundesrepublik, die sie besuchen wollen, Unternehmer wollen zu Geschäftsreisen nach Deutschland fliegen. Die Bearbeitung türkischer Anträge bei den deutschen Behörden dauere zu lange, und außerdem würden viele Anträge abgelehnt, sagt die Türkei.

Zumutungen für Menschen

Nicht nur Erdogans Regierung findet, Deutschland solle daran etwas ändern. „Geschäftsleute und Künstler haben erhebliche Schwierigkeiten und müssen oft Zumutungen über sich ergehen lassen“, sagt der türkische Oppositionspolitiker Mustafa Yeneroglu. Die deutsche Seite verweist auf Nachwirkungen der Pandemie, schlecht begründete Anträge und die schiere Zahl der Reisewünsche: Allein im vergangenen Jahr genehmigten deutsche Vertretungen in der Türkei fast 200 000 Reisen in den Schengen-Raum. Nirgendwo sonst auf der Welt erteilen deutsche Stellen so viele Visa. Weil der Druck auf Andersdenkende durch Erdogans Regierung und die Wirtschaftskrise in der Türkei die Zahl der Anträge weiter hochtreiben, befürchtet die Bundesregierung zudem, dass Türken ihre Besuchsvisa nutzen, um in Deutschland Asyl zu beantragen.

In der Flüchtlingspolitik gibt es ebenfalls Differenzen zwischen der Bundesrepublik und der Türkei. Deutschland und der Rest der EU sehen mit Sorge, dass die Zahl der Flüchtlinge, die über die Türkei nach Europa kommen, trotz des Flüchtlingsabkommens aus dem Jahr 2016 wieder ansteigt. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zählte von Januar bis Anfang Oktober rund 37 000 neue Bootsflüchtlinge in Griechenland, das sind schon jetzt fast so viele wie im gesamten vergangenen Jahr und fast dreimal so viele wie 2022. Die Türkei wirft Griechenland illegale Rückführungen von Migranten vor.

Kein Torwächter Europas spielen

Zudem sind immer mehr Türken dagegen, dass ihr Land trotz Wirtschaftskrise weiter den Torwächter für Europa spielen soll, wie Yeneroglu beobachtet. „Auch hier fällt es der türkischen Regierung vor dem Hintergrund der erheblich zugenommenen Armut bei der breiten Mehrheit der Geringverdiener zunehmend schwer, der Bevölkerung zu erklären, warum die Türkei auch im Interesse Europas so viele Menschen aufgenommen hat, keine wesentliche Unterstützung aus Europa erfährt und die Flüchtlinge dennoch am Weiterziehen Richtung EU hindert“, sagt er. Yeneroglu, der in Deutschland studiert hat und beide Länder sehr gut kennt, ist sich darüber klar, welch heißes Eisen die Migrationspolitik für EU-Politiker wie Scholz ist. Doch das ist sie auch in der Türkei, die mehr als drei Millionen Syrer aufgenommen hat.

Auch beim Nahost-Konflikt werden sich Scholz und Erdogan am Samstag wohl nicht einig werden. Deutschland unterstützt Israel, während Erdogan den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu mit Adolf Hitler vergleicht und ihm Völkermord im Gazastreifen vorwirft. Auf Verständnis für die deutsche Haltung kann Scholz nicht hoffen, auch nicht bei der Opposition. „Die äußerst einseitige Positionierung Deutschlands zugunsten Israels ist in der Türkei bekannt und steht massiv in der Kritik – ebenso, dass Deutschland seine Augen verschließt vor den zahlreichen Kriegsverbrechen Israels“, sagt Yeneroglu.

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