Bundeskanzlerin Angela Merkel redet bei „StZ im Gespräch" über Stuttgart 21, Syrien, den „Guardian“ und die NSA-Affäre und Griechenland. Doch die Gäste lernen auch, dass sie heiklen Fragen auszuweichen versteht.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

 

Stuttgart - Etwa zur Halbzeit dreht Angela Merkel den Spieß um. Joachim Dorfs, der Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung, hatte eben an ihre Sparmoral als „schwäbische Hausfrau“ appelliert. Diesen Ehrentitel hatte Merkel sich einst in einer Parteitagsrede selbst verliehen. Das war auch in Stuttgart, vor fünf Jahren. Dorfs hält ihr nun vor, dass eine Kanzlerin mit dem Ehrenkodex einer schwäbischen Hausfrau es doch hätte schaffen müssen, schon in diesem Jahr ohne neue Schulden auszukommen. Er spricht die milliardenschweren Wahlversprechen der CDU an, die dem Sparen eher zuwiderliefen.

Da ergreift Merkel die Initiative und tauscht einfach die Rollen. Sie stellt Dorfs eine Gegenfrage: Er solle ihr doch einmal sagen, welches ihrer Wahlversprechen er für fragwürdig halte. Konkrete Vorschläge hatte sie wohl kaum erwartet, aber sie nutzt die eigene Finte zu einem Rundumschlag: In wenigen Sätzen ist sie von der Schuldenbremse („für uns der absolute Maßstab“) bei den Steuerplänen der Konkurrenz. Das Publikum bekommt eine Kompaktversion ihrer Generaleinwände gegen diese Politik zu hören – und lernt dabei nicht nur, dass mehr Steuern am Ende auch weniger Steuern bedeuten könnten – wenn sie die wirtschaftliche Stabilität gefährdeten. Die Gäste lernen auch, wie geschickt Merkel heiklen Fragen auszuweichen versteht.

Zudem haben die Zuhörer einen der wenigen Momente im Wahlkampf erlebt, in dem die Kanzlerin über jene spricht, die ihr das Amt streitig machen wollen. Die kommen ansonsten gar nicht vor. Merkel sagt gelegentlich, sie habe „keine Lust, meine Zeit damit zu verbringen, darüber zu sprechen, was die anderen alles falsch machen“. Und daran hält sie sich.

Die Kanzlerin hat einen ereignisreichen Tag hinter sich, als sie in der Alten Reithalle eintrifft. Wie immer mittwochs tagte am Morgen das Kabinett. Danach besprach sie sich mit dem CDU-Vorstand über die aktuelle Entwicklung im Wahlkampf. Zwischendurch wurde ein Fernsehinterview für Sat 1 aufgezeichnet. Am späten Nachmittag flog sie schließlich gen Süden. Zunächst nach Schwäbisch Gmünd, wo sie ihren ersten Wahlkampfauftritt in Baden-Württemberg absolviert. Danach kommt sie nach Stuttgart.

Auf den Südwesten kommt es an

Bis zum Wahlsonntag sind solche Touren Alltag der Kanzlerin. Täglich absolviert sie jetzt zwei große Wahlkampfauftritte. Daneben seien „natürlich auch Arbeiten als Kanzlerin zu erledigen“, sagt Merkel. Fünfmal kommt sie auch nach Baden-Württemberg. Schließlich ist das noch immer eine Bastion für die CDU – auch wenn jetzt andere regieren. Auf den Südwesten kommt es an. Ohne ein starkes CDU-Ergebnis hier, möglichst deutlich jenseits der 40-Prozent-Marke, kann Merkel nicht auf eine dritte Amtszeit hoffen. Ihr Abend bei der Stuttgarter Zeitung wird dennoch das einzige Gastspiel in der Landeshauptstadt sein.

Der Abend ist natürlich der Politik gewidmet. Aber zunächst geht es gar nicht um Politik. Das wäre gewiss auch so gewesen, wenn Merkels Wahlkampfstrategen Regie geführt hätten. Dieser Wahlkampf ist privater als jeder zuvor. Merkel wirbt nicht nur für ihre Politik, sie wirbt vor allem für sich als Mensch. Sie untermauert mit jeder ihrer privaten Nebenbemerkungen den Ruf als eine Politikerin, die sich auf ihr Amt nichts einbildet, die nicht über die Köpfe gewöhnlicher Leute hinweg redet. Arroganz der Macht wird ihr keiner unterstellen, der sie so sprechen hört. Zum Beispiel, als Chefredakteur Dorfs ihr ein Bekenntnis des Mercedes-Chefs Dieter Zetsche vorliest, der sagt, er komme sich in seinem Managerleben gelegentlich „völlig fremdbestimmt“ vor. Geht das einer Kanzlerin auch so? Merkel antwortet prompt und zunächst einsilbig: „Nein.“ Sie versuche bei allem Stress, den das Amt mitbringe, immer „ein Stück Selbstbestimmung über mich zu erhalten“. Das fördere ihre gute Laune. Die steht ihr ins Gesicht geschrieben. Wer sie im Wahlkampf beobachtet, erlebt diese Kanzlerin in ihrer entspanntesten Form. Von Existenzängsten vor dem Wahltag kündet das nicht. Merkel hat gute Chancen, sich an der Regierung behaupten zu können. Sie gibt sich jedoch nicht allzu selbstsicher, malt vielmehr das Schreckgespenst einer rot-rot-grünen Linkskoalition an die Wand. Wer jetzt allzu sicher sei, dass sie Kanzlerin bleibe, der werde unter Umständen am Montag nach der Wahl mit einem Kater aufwachen. Den Versicherungen der Sozialdemokraten, sie werde sich nicht mit der Linkspartei einlassen, sei nicht zu trauen. Merkel sagt: „Der SPD ist nicht zu glauben.“

Ein Leser sorgt sich, wie Merkel bloß die „Kolossalbelastungen“ ihres Amtes aushalte. Ob sie denn Sport treibe, will er wissen, oder ob ihre Kartoffelsuppe das Geheimnis ihrer Unverwüstlichkeit sei. „Ich möchte in meiner Freizeitbeschäftigung nicht auf Kartoffelsuppe reduziert werden“, antwortet Merkel. Man müsse sich „um meinen körperlichen Verfall keine Sorgen machen“. Sie fügt dann noch hinzu, man möge das nicht zur Überschrift machen – das sei aber „nur eine Bitte, kein Eingriff in die Pressefreiheit“.

Merkel versichert: Keine Kehrtwende im Fall Griechenland

Der Bogen der politischen Themen, zu denen Merkel Stellung nimmt, spannt sich von Syrien über den „Guardian“, die Spionage des US-Geheimdienstes NSA bis zu Griechenland. Es gebe hier „keine Kehrtwende“, versichert die Kanzlerin. Alle weiteren Hilfen, die jetzt zur Sprache kämen, seien bekannt gewesen. Zur Frage eines neuen Hilfspakets drückt sich Merkel in der ihr eigenen Manier aus: Sie räumt ein, „dass es nicht die Wahrscheinlichkeit null gibt, dass es gar nichts gibt“.

Der SPD-Altkanzler Gerhard Schröder hatte der Regierung hier eine „ganz große Lüge“ unterstellt. Für Merkel ist das heikel. Eigentlich pflegt sie Angriffe der Opposition schlichtweg totzuschweigen. Hier fühlt sie sich zu einer Replik genötigt. Schröder erwähnt sie nicht. Sie spricht nur von „einem Vorgänger“. Dessen Einlassungen seien „befremdlich“, da er es doch gewesen sei, der Griechenland entgegen allen Warnungen den Weg in den Euro ermöglicht habe. Merkel mahnt: Wahlkampf hin oder her, die SPD möge hier „staatspolitische Verantwortung zeigen“.

Politik sei nicht nur Streit oder Langeweile

Die Kanzlerin gewährt einen Einblick in das kleine Einmaleins des Regierungshandwerks: Warum sie ihre schwarzgelbe Regierung die beste seit der Wiedervereinigung nenne, wird sie gefragt. Sie korrigiert: „nicht die beste, die erfolgreichste“. Das Publikum quittiert das mit Gelächter. Merkel sieht sich deshalb zu weiteren Erklärungen veranlasst. Ihre Regierung habe anfangs, „was den Umgangston angeht, die Menschen sehr enttäuscht“. Aber Union und Liberale hätten sich „jetzt besser kennengelernt“. Sie selbst halte es für falsch zu glauben, dass in einer Koalition „alle wie auf Knopfdruck der gleichen Meinung“ sein könnten. Es sei bedauerlich, dass Politik nur noch als Streit oder als Langeweile wahrgenommen werde.

Dem Streit über Stuttgart 21 konnte Merkel nicht ausweichen. Vor der Alten Reithalle demonstrieren während der Veranstaltung 300 Gegner des Bahnhofsumbaus. Merkel wird mit Pfiffen empfangen. Sie kommentiert das gelassen: „Wenn gepfiffen werden soll, muss gepfiffen werden.“ Den Demonstranten und den Kritikern im Saal empfiehlt sie, das Ergebnis einer langwierigen Meinungsbildung „unterm Strich zu akzeptieren“. Es gehe hier um eine große Kontroverse, die man aber „auch nicht überhöhen“ sollte – dabei hatte sie sich selbst einst den Vorwurf eingehandelt, eben dies zu tun. Als Merkel sich verabschieden will, wird in der Halle ein Transparent entrollt, welches das Logo der Gegner zeigen soll. Merkel bekommt es zunächst nur in Spiegelschrift zu sehen. „Jetzt hängt das Plakat auch noch falsch rum“, spottet sie – wartet aber höflich, bis die Demonstranten es umgedreht haben.