Das Bundeskriminalamt hat ein echtes Problem: Jedes Jahr fallen reihenweise Bewerber für die begehrte Kommissars-Laufbahn durch den Deutschtest. Damit die Studienplätze überhaupt besetzt werden können, müssen die Anforderungen und Qualitätskriterien gesenkt werden.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Wiesbaden - Die Meldung, die seit Tagen durch die Medien geistert, klingt alarmierend: „Das Bundeskriminalamt kann Stellen nicht besetzen: Bewerber fallen beim Deutschtest durch.“ Wenn das stimmt, hätte das Bundeskriminalamt (BKA) – neben der Bundespolizei und der Polizei beim Deutschen Bundestag eine der drei Polizeien des Bundes – ein echtes Problem. Denn wie soll man Terroristen und Verbrecher jagen ohne qualifiziertes Personal, das seine Muttersprache beherrscht?

 

Was also ist dran an den vermeintlichen Sprachdefiziten der Polizeianwärter? Wir sind der Sache auf den Grund gegangen:

Zwischen 4000 und 5000 Bewerber

Kriminalkommissar ist für viele junge Menschen immer noch ein Traumberuf. Bösewichte jagen wie KHKin Lena Odenthal in Ludwigshafen oder KHK Thorsten Lannert und KHK Sebastian Bootz im „Tatort“ aus Stuttgart ist sicherlich spannender als den ganzen Tag im Büro zu hocken und Aktenstapel zu wälzen.

Wer Kommissar im BKA werden will, muss ein dreijähriges duales Bachelor-Studium an den Hochschulen des Bundes in Berlin und Wiesbaden absolvieren. Die Plätze sind rar und begehrt. „Das BKA konnte in den letzten Jahren immer aus hohen Bewerberzahlen die Besten auswählen. Dabei konnte die Auswahl zwischen 30 und 40 Bewerbern für eine Stelle getroffen werden. Es gibt andere Behörden, wie zum Beispiel die Bundespolizei, die lediglich zwischen sechs und sieben Bewerbern für die Besetzung einer Stelle auswählen können“, sagt Dietrich Urban, Vorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter (BDK) im BKA. „Wir haben einen sehr viel höheren Durchsatz und sind damit immer sehr gut gefahren. Wir konnten immer die Besten abschöpfen.“

Die Betonung liegt auf „konnten“. Denn es fehlt zunehmend an geeigneten Bewerbern. Das bestätigen Urban und der BDK-Vorsitzende André Schulz. „Die Bewerber können heute schlechter Deutsch als früher. Das merken wir ganz massiv. Man darf mittlerweile beim Test viel mehr Fehler machen als früher“, berichtete Schulz.

Die BKA-Tests haben es in sich

Für die Kommissars-Laufbahn kann man sich das ganze Jahr über beim BKA bewerben. Die beiden Einstellungstermine sind der 1. April und 1. Oktober des jeweiligen Jahres. Im Frühjahr wurden 80 und im Herbst 62 Bewerber angenommen. Zuvor mussten die Aspiranten einen Test-Marathon durchlaufen.

Auf einem psychodiagnostischen Test folgen ein 90-minütiger Intelligenz- und ein Konzentrationstest (20 Minuten). Beim 30-minütigen Deutschtest müssen die Bewerber Wörter einfügen sowie Fragen zur richtigen Schreibweise, Kommasetzung und Grammatik beantworten.

Kein Hexenwerk, sollte man meinen. Zumal Abitur (Notendurchschnitt 3,0) Voraussetzung für eine erfolgreiche Bewerbung ist. Und dennoch scheitern viele Bewerber an der Hürde Deutschtest. Urban: „Der Rechtsschreibtest war bislang ein Ausschlusskriterium, an dem sehr viele scheiterten. Wenn man den nicht überstanden hat, war man raus aus dem Bewerbungsverfahren.“

Anforderungen wurden drastisch gesenkt

Um die Studienplätze überhaupt besetzen zu können, sind in den vergangenen Jahren die Qualitätskriterien und Anforderungen sukzessiv gesenkt worden. Früher hatte man mit einer Fehlerquote von 50 Prozent beim Deutschtest bestanden. Inzwischen liegt die Quote bei 40 Prozent. Urban: „Innerhalb dieser zehn Prozent scheitern an die 40 Prozent der Bewerber. Sie bekommen also 40 Prozent mehr Bewerberinnen und Bewerber über die Klippe, wenn sie die Quote absenken.“

Beim BKA will man diese Zahlen nicht bestätigen. Dass die Zahl der erlaubten Fehler aber erhöht worden ist, weil zu viele Bewerber durch die Prüfung gerasselt sind, wird auch von der Wiesbadener Pressestelle bestätigt. „Leicht ist dieser Schritt sicher nicht gefallen“, erklärt Urban. „Weil wir beim BKA immer noch sagen, dass die deutsche Sprache Basis des Berufes als Kriminalkommissar ist, unser täglich Brot also. Wir müssen mit unserer Muttersprache gut umgehen können.“

„Die Bewerber können heute schlechter Deutsch“

André Schulz formuliert es drastischer: „Die Bewerber können heute schlechter Deutsch. Das merken wir ganz massiv. Heute ist die Ausnahme beim Deutschtest, beim Alter, bei der Körpergröße, beim Sporttest der Regelfall. Das betrifft aber nicht nur das BKA, sondern die gesamte Polizei in Deutschland.“

Vorgaben vom Bundesinnenministerium werden nicht erfüllt

Offenbar ist die Personalnot beim BKA so groß, dass noch während des laufenden Bewerbungsverfahren 2016 die Qualitätskriterien beim Deutschtest aufgeweicht wurden. Ansonsten hätte man die ausgeschriebenen Kommissarsanwärter-Stellen gar nicht besetzen können. „Das hat es sicher schon früher gegeben, um auf besondere Anforderungen und Situationen zu reagieren“, betont Urban. „Nur trifft es das BKA diesmal doppelt und dreifach, weil mehr Stellen besetzt, gleichzeitig die Infrastruktur ausgebaut sowie die Vorgaben des BMI und nicht zuletzt auch die gesetzlichen Aufträge erfüllt werden müssen. Deswegen müssen jetzt schnell kreative Wege gefunden werden, diesen Herausforderungen angemessen gerecht zu werden.“

2016 sind insgesamt 142 Bewerber für die Ausbildung zum Kommissar beim BKA aufgenommen worden. Die Vorgaben des Bundesinnenministerium (BMI) waren weit höher – nämlich 200 Stellen. Das BKA kann laut Urban aber nur maximal 160 Studenten pro Jahr verkraften. Zwar werden – wie in anderen Behörden auch – die Stellenpläne derzeit massiv aufgestockt. Doch was nützt das, wenn es zu wenig Unterkünfte, Dozenten und Lehrräume gibt. Urban: „Es ist im Moment nicht ohne Weiteres möglich, ad hoc 150 oder 200 Studierende pro Studiengang aufzunehmen, obwohl wir sie für die Arbeit des BKA dringend brauchen könnten.“

BKA, Pisa und die Bildungsmängel

Aktuell kann man sich für den Einstellungstermin am 1. April 2018 beim BKA bewerben. Die Zahl der Studienplätze wird derzeit massiv ausgebaut. Zum 1. April 2017 sollen 108 Kriminalkommissars-Anwärter (KKA) und 2018 insgesamt 300 KKA eingestellt werden. Insgesamt sollen in den nächsten Jahren 670 Nachwuchs-Kommissare auf Verbrecherjagd gehen. Angesichts der wachsenden Aufgaben des BKA ist das nur konsequent.

Schulz sieht die Entwicklung dennoch kritisch: „Wenn nun auch der Deutschtest reduziert oder gar abgeschafft wird, muss man sich schon fragen, was mit unserem Bildungssystem nicht in Ordnung ist.“

Kein spezifisches BKA-Problem

Dass etwas im Argen liegt, ist seit Jahren bekannt und durch zahlreiche Pisa-Studien belegt. Auch der jüngste Wissensvergleich zeigt deutliche Lücken bei deutschen Schülern auf. Zwar liegt Deutschland beim Wissensstand seiner 15-jährigen Schüler im internationalen Vergleich über dem Durchschnitt, kann den Abstand auf die Spitzenreiter aber kaum verringern. Dieses Fazit zieht die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aus der internationalen Pisa-Studie 2015, die am Dienstag (6. Dezember) in Berlin vorgestellt wird.

Deutschland habe zwar das „Jammertal des Pisa-Schocks“ 2000 verlassen und bewege sich im oberen Mittelfeld der OECD-Länder, sagt der Berliner OECD-Leiter Heino von Meyer. Von einer weiteren Aufstiegsdynamik sei aber nichts zu spüren. „Der Anschluss an die Gipfelstürmer droht verloren zu gehen“, warnt der OECD-Experte.

Die Probleme beim BKA sind also nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel. „Wir müssen das Ganze gesamtgesellschaftlich betrachten und auch unser Schulsystem in Teilen hinterfragen“, sagt Dietrich Urban. „Wir haben Bewerber mit Deutschleistungskurs, die an unserem Rechtschreibtest scheitern. Das ist alarmierend, auch wenn der Test als solches sicherlich auch auf den Prüfstand gehört. Aber das ist kein spezifisches BKA-Problem.“