Die Grünen haben viel gestritten – über politische Inhalte wie über ihr Spitzenpersonal. Doch beim Parteitag in Berlin werden die Reihen weitgehend geschlossen, meint Korrespondentin Bärbel Krauß.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Nur noch hundert Tage sind es bis zur Bundestagswahl. Und erst jetzt sind die Grünen im Wahlkampfmodus angekommen. Das ist reichlich spät, und beim Parteitag am Wochenende ist es ihnen gelungen, endlich Konsequenzen daraus zu ziehen. Einmütig wie selten bekannten sich die prominenten Vertreter aller Flügel zum abgesteckten Kurs und zu dem lang umstrittenen Spitzenpersonal. Das ist nicht wenig, aber es ist auch noch nicht genug, um das ehrgeizige Wahlziel zu erreichen. Zwischen Platz drei im Bundestag samt der erstrebten Regierungsbeteiligung und den Grünen liegen derzeit die Linke, die AfD und die Liberalen. Ob sie es schaffen, die Konkurrenz am Ende hinter sich zu lassen, steht in den Sternen. Aber immerhin: Was die Grünen beim Parteitag nicht zuletzt inhaltlich für einen Wahlerfolg tun konnten, haben sie getan.

 

Partei besinnt sich auf den Markenkern

Ihr Angebot an die Wähler ist ein in den wesentlichen Teilen pragmatisches, klimapolitisch jedoch ehrgeiziges Regierungsprogramm, das seinen Schwerpunkt da setzt, wo die Grünen zu Hause sind: bei der Ökologie. Und es ist richtig, dass sich die Partei 2017 auf ihren Markenkern besinnt. Ausgerechnet US-Präsident Donald Trump ist mit seiner Kündigung des Klimaabkommens zu ihrem Wahlhelfer aufgestiegen. Natürlich wird das schmelzende Eis in der Arktis für die Mehrheit der deutschen Wähler nicht wahlentscheidend sein. Aber Trumps Kurs erschüttert nicht nur die Weltpolitik; er ist auch dazu angetan, bürgerliche Kreise jenseits der ökobewegten Kernklientel der Partei aufzurütteln und in der allernächsten Zukunft für grüne Klimapolitik zu interessieren.

Es ist ja nicht so, dass sich Zweifel à la Trump in Deutschland deutlich über die AfD und einen sehr kleinen, konservativen Kreis der CDU hinaus verbreitet hätten. Die Mehrheit hierzulande weiß, dass der Klimawandel auch in unseren Breiten längst angekommen ist. Und diese Mehrheit hat auch akzeptiert, dass die Autos der Zukunft emissionsfrei sein müssen und die Energieproduktion in Deutschland rasch sauberer zu werden hat. Voraussetzung ist allerdings, dass die Grünen glaubhaft machen, dass sie mit ihrem Einsatz für Klimaschutz die Wirtschaft nicht abwürgen und Arbeitsplätze nicht gefährden, sondern sichern und neue schaffen wollen.

Auch Skigebiete in den Alpen profitieren

Mit ihren programmatischen Festlegungen beim Parteitag ist ihnen das gelungen. Wenn sie es schaffen, im Wahlkampf nun noch stärker in den Vordergrund zu stellen, dass vom Klimaschutz nicht nur der Planet an sich, Insulaner im Pazifik und die Eisbären am Pol profitieren, sondern auch die Skigebiete in den Alpen, die deutschen Küsten und die Anwohner hochwassergeplagter Flüsse vom Neckar bis zur Oder, hat die Partei Chancen, sich aus dem Umfragetief herauszuarbeiten.

Es wäre grotesk, wenn die Grünen das Klima ausgerechnet dann zum Nebenthema machten, wenn es national und international wieder relevant wird. Wo Linke und SPD sich mit Initiativen zur sozialen Gerechtigkeit überbieten und wo die Kanzlerin das Bedürfnis nach politischem Halt in der unsicherer gewordenen Welt befriedigt, sind die Grünen nicht konkurrenzfähig. Dass sie angesichts gewachsener Kriminalitätsängste und Terrorgefahr die Sicherheitsvorsorge im öffentlichen Raum und die Entfaltung und Wahrung der Bürgerrechte als zwei Seiten einer Medaille anerkennen und bei Polizei, Videoüberwachung und Verfassungsschutz nachrüsten wollen, ist allerdings ein wichtiges Signal. Klug ist es auch, die grüne Absage an eine Obergrenze für Flüchtlinge nicht in den Mittelpunkt zu stellen. Es würde bürgerliche Wähler verschrecken. Wenn die Grünen zulegen wollen, müssen die Partei und ihr Spitzenduo klarmachen, dass sie ihr Programm nicht gegen die Mehrheit durchsetzen wollen, sondern in deren Interesse. Das bleibt Herausforderung genug.