Die Grünen halten derzeit in Berlin ihren Bundesparteitag ab. Während sich die Parteispitze im Vorfeld der Bundestagswahl betont zuversichtlich gibt, befindet sich Anton Hofreiter bereits voll im Kampfmodus.

Berlin - Annalena Baerbock sieht richtig gut aus. Okay: Das liest sich jetzt wie ein Machospruch. Deshalb sofort die Erklärung: Die Bundestagsabgeordnete hat zuletzt einige Nächte bis in den frühen Morgen hinein am Wahlprogramm ihrer Partei mitgearbeitet. Sie war in der Kommission, die das zweifelhafte Vergnügen hatte, mit den etwa 2200 (in Worten: zweitausendzweihundert) Änderungsanträgen zu Streich zu kommen, die die Basis zum Entwurf des Programms eingereicht hatte.

 

Es ging, um Bundesgeschäftsführer Michael Kellner zu zitieren, darum, aus der Antragsflut eine „handelbare load“ zu machen. Das ist der Kommission in langen, sehr langen Sitzungen gelungen. Kompliziert bleibt es aber an manchen Stellen trotzdem. Und so steht Baerbock an diesem Samstag vor den 705 Delegierten des Grünen Parteitags und braucht sage und schreibe fünf Minuten, um allein das Abstimmungsprocedere zu verschiedenen Anträgen zu erklären, über die der Grünen Parteitag gleich entscheiden soll. Sie heißen „ UK-KS-01“, worauf dann verschiedene zweistellige Unternummern folgen. Ja, die Grünen lieben Programmdebatten. Und sie lieben sie ausführlich, langwierig und kompliziert.

Hofreiter ist schon voll im Kampfmodus

Quasi zur Erholung heizt zwischendurch Fraktionschef Anton Hofreiter die Stimmung kräftig an. Die Delegierten jubeln, als sich Hofreiter die Kanzlerin, die Bundesregierung und die anderen Parteien vorknöpft. „Glaubt irgendeiner, dass CDU oder SPD die Autoindustrie zwingen, ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos zu bauen“? So naiv könne doch niemand sein. „Wo sitzen denn die Dieselbetrüger, denen Dobrindt einen Schutzzaun baut? Die sitzen nicht irgendwo, die sitzen hier in Deutschland“, ruft er in den Saal. Bei den anderen Parteien sei „öko“ nur ein Lippenbekenntnis. Kein Mensch kenne auch den Berliner Agrarminister (er heißt, nur so zur Info, Christian Schmidt und kommt aus der CSU). Der habe aus seinem Ressort ein „Klamauk-Ministerium“ gemacht, das sich vor allem um Nebensächlichkeiten kümmere und zum Beispiel Namen wie Tofukäse und Sojabutter geißle. Gegen die Massentierhaltung aber unternehme „Mister Unbekannt“ gar nichts.

Hofreiter klingt nicht nur schwer nach Wahlkampf. Nein, er ist schon voll im Kampfmodus. Und die Abgesandten der Basis sind es auch. Wann immer ein Redner die politische Konkurrenz angreift, applaudieren sie kräftig. Die Partei will sich eben Mut machen, schließlich schwächelt sie in den Umfragen seit langem. Eine rot-grüne Mehrheit ist weit und breit nicht in Sicht und selbst für Rot-Rot-Grün würde es nicht reichen (mit dieser Option hätten die Realos ohnehin Ihre liebe Not).

Die Partei beschwört „knallgrüne“ Einigkeit

Im weiten Rund des Berliner Velodroms sprechen deshalb viele von Jamaica, also einer Koalition aus Union, FDP und Grünen, die sich soeben für die neue Landesregierung von Schleswig-Holstein gefunden hat. Zwar sagt die Kieler Finanzminister in Monika Heinold, dass Jamaica an der Küste keine Blaupause für den Bund sei. Die Grünen wollen also den Eindruck vermeiden, als sei eine Koalition mit den Schwarzen und den Gelben eine Art Selbstläufer. Nur zu gut wissen sie, wie kalt der Schauder ist, den viele ihre Anhänger beim Stichwort Jamaica verspüren. Nur kann es eben gut sein, dass Schwarz Gelb Grün nach der Bundestagswahl die einzige Alternative zu nochmals vier Jahren Große Koalition ist.

Also machen die Grünen auf ihrem Parteitag, was in ihrer diffizilen Lage der einzige Ausweg ist: Sie geben sich mit ihrem klassischen Themen wie Klimaschutz und Agrarwende „knallgrün“ (Claudia Roth) und beschwören Einigkeit. Zwar tragen sie am Samstag eine Kontroverse um den Kohleausstieg aus. Doch nach längerer Debatte beschließt dann die Mehrheit der Delegierten, dass bis 2020 die Kohle-Kraftwerke vom Netz verschwinden müssen, die besonders viel Kohlendioxid ausstoßen. Und zehn Jahre später soll es in Deutschland gar keine Kohlekraftwerke mehr geben.

Parteisatzung als alter Zopf der frühen Jahre

Die Reihen schließen, keine Angriffsfläche bieten, sondern kräftig die anderen Parteien kritisieren: So lautet das ungeschriebene Motto dieses Parteitags, auf dem die Grünen ihr Wahlprogramm verabschieden werden. Eine schwierige Aufgabe - so viel steht heute schon fest - steht ihnen nach der Wahl am 24. September ohnehin ins Haus. Cem Özdemir wird den Parteivorsitz abgeben. Wer ihm nachfolgt, ist völlig offen. Viele wünschen sich, dass Robert Habeck, der Kieler Umweltminister, anträte. Er ist neben Winfried Kretschmann der einzige Grünen Politiker, der in den letzten Jahren einen echten Wahlerfolg einfahren konnte.

Nur verbietet es die Parteisatzung, dass ein Minister zugleich Vorsitzender ist. Das ist ein alter Zopf aus den frühen Jahren der Grünen, als sie Machtballung und „Promikult“ fürchteten. Heute ist die Vorschrift eine Selbstfesselung, die es unmöglich macht, dass ein Landesminister - und davon haben die Grünen ja einige - an die Spitze der Partei tritt. So mancher spekuliert deshalb, dass Geschäftsführer Kellner seinen Hut in den Chefring werfen wird. Er kommt von linken Parteiflügel, was auch heißt, dass dann die Realos eine Frau in das Spitzenduo entsenden müssten. Denn auch das sagt die Satzung: dass eine männliche-weibliche Doppelspitze die Bundespartei führt.