Wie der Kampf gegen den IS-Terror aussehen sollte, war eines der Hauptthemen auf dem Bundesparteitag der Grünen in Halle. Mandatsträger aus Baden-Württemberg erfuhren Lob und Tadel. Cem Özdemir etwa wurde als Parteichef gestärkt.

Halle - Sachsen-Anhalt hat oft Schlagzeilen gemacht wegen fremdenfeindlichen Anschlägen. Eine Delegierte beim am Sonntag beendeten Grünen-Parteitag in Halle an der Saale fühlte sich in ihrem Hotel nahe einer angejahrten Trabantensiedlung an „die Banlieus von Paris“ erinnert. Womit sie schon beim Thema dieser Bundesdelegiertenkonferenz war: Terror und Flüchtlingskrise und die Gründe, die sie nähren. „Mut im Bauch“ hatten die Grünen ihren Parteikongress betitelt und vielleicht war es die sachsen-anhaltinische Spitzenkandidatin der Grünen, Claudia Dalbert, die den Mut am ehesten verkörperte: „Die Rechtspopulisten kriechen jetzt aus den Löchern. Aber wir kämpfen gegen sie um jeden Handbreit auf der Straße, wir wollen eine weltoffene Gesellschaft.“

 

Dalbert sieht auch die Chancen der neuen Zuwanderung, Sachsen-Anhalt habe „massiv“ an Bevölkerung verloren, nun kämen 30 000 Flüchtlinge pro Jahr – jeder Dritte minderjährig – in ein Zwei-Millionen-Land, in dem Schulen geschlossen werden, weil die schwarz-rote Regierung in Magdeburg kurzsichtig „an allem“ und damit an der Zukunft kürze. Ihren Slogan im Wahlkampf „Wir heißen die Flüchtlinge willkommen“ haben die Grünen in Sachsen-Anhalt noch nicht gestrichen, was auch couragiert ist in diesen Zeiten und offenbar nicht schadet: in den Umfragen liegen sie immerhin bei sieben Prozent.

Umstrittene Wohlfühlthemen

Unter den Grünen selbst war umstritten, dass auf der Tagesordnung angesichts des Terrors sogenannte Wohlfühlthemen standen wie eine Entschleunigung der Gesellschaft mittels einer grünen Arbeitszeitpolitik. Eine Erhöhung des Anspruchs auf Elterngeld um zehn auf 24 Monate wurde beschlossen, und der Münchner Dieter Janacek unterlag mit seiner Ansicht, die Grünen sollten sich nicht einmischen in die Lebensgestaltung des Einzelnen und auf bürokratische Instrumente wie Lebensarbeitszeitkonten verzichten. Für die Mehrheit der Grünen enthält eine in sich ruhende Gesellschaft den Kern zum Frieden – der strahle nach innen und außen aus.

Mehrfach ist in Halle darauf hingewiesen worden, dass die IS-Täter von Paris eben Sprösslinge der französischen Gesellschaft gewesen seien. „Wir brauchen Zeit der Eltern für ihre Kinder, für Freundschaft, Ehrenämter und Muße für uns selbst – das ist der Antrieb für alles andere“, sagte die Gastrednerin Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Die Kausalität zwischen Zeitmangel und Terror ist zwar nicht geknüpft worden, aber der mit einer überraschend großen Mehrheit (77 Prozent) im Amt bestätigte Parteichef Cem Özdemir wies auf die hohe Bedeutung des sozialen Zusammenhalts hin: „Eine Gesellschaft, in der jeder Mensch Wertschätzung erfährt, ist auch eine Form von Prävention gegen den Terrorismus.“ Wie jetzt konkret gegen den IS-Terror vorzugehen ist, der kaltblütig mordet und alle Werte torpediert, die den Grünen wichtig sind, das war das Leitthema in Halle. Ein offener Zwist darüber wurde vermieden. Kriege helfen nicht gegen Terror, sie seien kontraproduktiv, war das Kredo der ebenfalls wiedergewählten Co-Parteichefin Simone Peter (68 Prozent). Aber sowohl ihr mageres Wahlergebnis als auch die Beschlusslage der Grünen deuten in eine andere Richtung.

Palmer bleibt ruhig

In einer Solidaritätsadresse für Paris („Nous sommes unis“) schließen die Grünen nichts aus, fordern „eine Strategie“ gegen den IS und sprechen sich für „international abgestimmte Maßnahmen“ aus, bei denen das Gewaltmonopol der UN und das Völkerrecht beachtet werden müssten. Konkret heißt es: „Im Rahmen der Gesamtstrategie müssen auch die kurdischen Regionen im Kampf gegen den IS unterstützt werden.“ Personell gesehen sorgten die Grünen aus Baden-Württemberg auch in Halle wieder für den höchsten Unterhaltungswert, von dort kommen die Stars und die Buhmänner. Da war einerseits der Altmeister der Ökobewegung, Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der umjubelt wurde für eine realpolitische Rede, für die er „vor fünf Jahren auf einer BDK noch mit Tomaten beworfen worden wäre“, wie ein Mandatsträger meinte.

Da war der grüne Agrarminister Alexander Bonde, der vergeblich auf die Ausweitung des Ökolandbaus im Lande und seinen Kampf für den bedrohten Sperlingskauz hinwies – er fiel bei den Wahlen zum Parteirat durch. Und da war der Tübinger OB Boris Palmer, der wegen seines Satzes „Wir schaffen es nicht“, mit der er Angela Merkel nach Ansicht vieler in den Rücken fiel, neben den CSU-Politikern Horst Seehofer und Markus Söder die am meisten geschmähte Person auf dem Parteitag war. Palmer nahm es gelassen, ergriff nicht das Wort und sagte der Presse, er möge Streit eigentlich gerne und habe im Übrigen noch nie so viel Zuspruch aus der Bevölkerung erlebt wie in den vergangenen Wochen.