Bundespräsident Joachim Gauck ist eine Hauptattraktion zu Beginn des Stuttgarter Kirchentags. Er schüttelt unzählige Hände und lässt sich allzu gerne ablichten. Auf dem Podium jedoch warnt er vor einem Übermaß an gesellschaftlichem Verdruss.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Bis zu seinem 50. Lebensjahr hat Joachim Gauck „den Pastorenberuf ausgeübt und geliebt“. Einst hat er in seiner mecklenburgischen Heimat selbst Kirchentage organisiert und geleitet, wie der 75-Jährige bei der Eröffnung auf dem Schlossplatz berichtet. Dass der Präsident vom Theologen Gauck nicht zu unterscheiden ist, liegt auf der Hand. „Menschen hungern und dürsten nach einem ihre Existenz bestimmenden Sinn des Lebens – im Glauben empfangen sie etwas, das staatliche Instanzen nicht spenden können.“ Der Kirchentag halte eine „inspirierende Seelennahrung für alle bereit, die in den Banalitäten der Zeit zu ersticken drohen“. Wenn Gauck das sagt, dann spricht aus ihm der Theologe und das Staatsoberhaupt – ein präsidialer Apostel.

 

Das Amt verführt zum pastoralen Ton. In der Bevölkerung kommt das gut an, zumal wenn sich die Präsidenten – wie Gauck – die Volksnähe erhalten. Beim „Abend der Begegnung“ schiebt er sich vom Karlsplatz zum Schillerplatz und wieder zurück, behütet von Polizisten und Pfadfindern. Überall erntet er Jubelrufe, so dass er zum Unmut der Sicherheitsleute immer wieder ausbüxt, um Hände zu schütteln oder sich mit den Menschen ablichten zu lassen. Einen Mann, der angesichts des sich nähernden Trosses ins Stolpern kommt, beruhigt er: „Ich renne Sie schon nicht um.“

Drängen auf ein „schönes Foto für die Omi zuhause“

Am Zelt des Dekanats Freudenstadt lässt sich der Präsident zu Schwarzwälder Kirschtorte einladen. Es folgt ein Abstecher zum Reformationsstand, wo für die Kirchentage 2017 in Berlin, Wittenberg und „auf dem Weg“ geworben wird und wo ihn ein alter Bekannter, ein Pastor aus Montevideo, anspricht. An jeder Station ist es Gauck, der partout ein „schönes Foto“ machen will – „für die Omi zu Hause“, wie er einer jungen Frau vorschlägt. Mal bittet er den Kirchentagspräsidenten Andreas Barner, mal Landesbischof Frank Otfried July aufs Gruppenbild.

Einige Bundespräsidenten haben besonders tiefe Spuren als Christen hinterlassen. Der Name Richard von Weizsäcker, der selbst einige Jahre dem Kirchentag vorstand, fällt zum Auftakt mehrfach. Dass der Ende Januar Verstorbene „nicht mehr bei uns ist, ist ein Einschnitt für den Kirchentag – gerade hier in Stuttgart“, sagt Barner. Als bekennender Christ zeigte sich Johannes Rau. Hatte „Bruder Johannes“ zu jeder Gelegenheit den passenden Bibelspruch parat, hält sich Gauck damit zurück. Er will als politischer Präsident wahrgenommen, nicht auf die Rolle des Theologen reduziert werden. Manchen Kritikern in der evangelischen Kirche ist er ohnehin zu politisch – etwa, wenn sie an seine Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 denken, als er militärische Gewalt nicht ausschloss. Doch gibt es immer wieder Notlagen, wie jüngst beim Besuch eines Flüchtlingszentrums auf Malta, wo kein anderer Politiker so sehr auf seine Fähigkeit vertrauen kann, menschliches Leid in tröstende Worte zu kleiden.