Die SPD haben eines ihrer schlechtesten Ergebnisse eingefahren. Grund zu feiern sehen sie gleichwohl. „Die Zahlen zeigen, dass die Mehrheit der Bürger sich einen echten Regierungswechsel gewünscht hätte“, betont Hilde Mattheis, Exponentin der SPD-Linken.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Stuttgart - Winfried und Ingrid Pursche gehören zu den ersten Besuchern, die am Sonntag zur Wahlparty der Sozialdemokraten ins Willy-Brandt-Haus gekommen sind. Vor vier Jahren haben die beiden Berliner, die nur fünf Minuten von der SPD-Zentrale entfernt wohnen, zwar noch CDU gewählt, aber diesmal haben die Sozialdemokraten die Stimmen der Pursches gekriegt. Die Hoffnung stirbt zwar auch für die Wähler in jedem Wahlkampf zuletzt, aber den Glauben an einen Kanzler Peer Steinbrück und eine rot-grüne Regierung haben die beiden schon vor einiger Zeit verloren. „Hauptsache, Schwarz-Gelb wird verhindert“, sagt er, und einen Rat für die nächsten Wochen hat er für die Genossen auch parat: „Am vernünftigsten wäre, wenn es Schwarz-Rot gibt“, sagt er. „Aber ob das kommt?“

 

Kaum ist die erste Hochrechnung im Fernsehen verkündet, beginnt genau darüber eine Debatte in der SPD. Thomas Oppermann, Fraktionsgeschäftsführer im Bundestag und Vertreter des rechten SPD-Flügels, erkennt in den gerade verkündeten Zahlen „eindeutig keinen Auftrag der Wähler an die SPD, eine Regierung zu bilden“. Der Ball liegt in seinen Augen bei der Kanzlerin. Das sieht Hilde Mattheis, Exponentin der SPD-Linken, ganz anders. „Die Zahlen zeigen, dass die Mehrheit der Bürger sich einen echten Regierungswechsel gewünscht hätte“, betont sie und bringt indirekt ein rot-rot-grünes Bündnis ins Gespräch. „SPD, Grüne und Linke sollten mit größter Offenheit in die nächsten Wochen gehen.“ Die Abgeordnete aus Ulm empfiehlt der SPD-Führung zudem, die Basis so intensiv wie möglich an der Entscheidung über den künftigen Kurs zu beteiligen.

Das ist zwar alles ein wenig verfrüht, weil das politische Ergebnis des Abends noch nicht feststeht und sogar eine absolute Mehrheit für die Union in den Bereich des Möglichen rutscht, was wohl die einzige Konstellation wäre, die der SPD Debatten über den Kurs ersparen würde. Einig sind sich Oppermann und Mattheis nur in einem: dass 26 Prozent für die SPD nicht das Wahlergebnis sind, das sie sich gewünscht hätten. Tatsächlich haben Peer Steinbrücks Sozialdemokraten zusammen mit den Grünen den Rückweg an die Macht verfehlt. Und dass Schwarz-Gelb am Ende ist – das zweite Wahlziel der Genossen – ist angesichts des Unionsergebnisses nicht wirklich ein Erfolg. Aber an diesem Wahlabend kommt schon die Offenheit der politischen Situation für viele Genossen dem gefühlten Triumph nahe, nach dem sie sich eigentlich gesehnt haben.

Es war ein Wahlkampf der Extreme

Als Peer Steinbrück mit Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und der restlichen Parteispitze die Bühne betritt, geht es, so kurios das klingt, nicht um Sieg oder Niederlage. Jetzt geht es in der Parteizentrale vor allem um Erleichterung – und darum, einem „political animal“ der seltsamen Art Respekt zu erweisen: dem Mann, der seine Partei in den vergangenen zwei Jahren auf eine demoskopische und emotionale Achterbahn mitgenommen hat.

Es war ein Wahlkampf der Extreme, auf die Steinbrück seine Partei ausgerechnet im 150. Jahr ihres Bestehens mitgenommen hat. Mit trotzig-rotzigem Sarkasmus hat der Kandidat vor knapp 14 Tagen im Fernsehen die Frage beantwortet, wer denn im Fall einer Wahlniederlage schuld sei: „Also ich garantiert nicht“, waren seine Worte. Am Sonntag, mit 26 Prozent im Rücken, würde man im brechend vollen Willy-Brandt-Haus kaum einen Genossen finden, der ihm widerspricht. Das gilt, obwohl die SPD noch unter dem bisher zweitschlechtesten Wahlergebnis der Nachkriegsgeschichte geblieben ist. Das lag 1953 bei 28,8 Prozent. Aber es ist Peer Steinbrück eben doch gelungen, den Karren der deutschen Sozialdemokratie wenigstens ein Stück weit aus dem 23-Prozent-Sumpfloch herauszuziehen, in dem er bei der vorigen Bundestagswahl gelandet und festgefahren ist. Wie erleichtert die Genossen darüber sind, dass wenigstens das geklappt hat, haben viele vor diesem Wahlabend wohl selbst nicht gewusst.

Sigmar Gabriel lobt Steinbrück als „Pfundskerl“

Jedenfalls gibt es Bravos und Pfiffe, als Sigmar Gabriel Steinbrück als „Pfundskerl“ lobt und noch einmal klarstellt: „Das ist deine Partei – und du bist unser Kandidat.“ Steinbrück ist dankbar für den Applaus und klatscht zurück. Er bedankt sich bei allen, „die in den vergangenen Wochen für die SPD und für mich gelaufen sind. Das war ein fantastischer Wahlkampf.“ Die SPD solle weiter über ihre Inhalte reden, empfiehlt er. „Wir sind gut beraten, heute keine Spekulationen über eine Regierungsbildung anzustellen. Frau Merkel ist am Zug“, mahnt er. Deutschland sozial gerecht und ökonomisch vernünftig zu organisieren müsse weiter die Messlatte für die der SPD sein. Später empfiehlt er seiner Partei im Fernsehen, im Fall der absoluten Mehrheit für die Union nicht für eine Koalitionsbildung zur Verfügung zu stehen.

Auf der Bühne im Willy-Brandt-Haus wird Steinbrück von der Führungsriege der SPD flankiert. Das zeigt, dass der Mann, der während des Wahlkampfs als Nummer eins auf der Bühne stand, jetzt wieder ins Glied zurücktreten muss. Tatsächlich ist mindestens für die nächsten Tage wohl die Troika wieder da, nicht – was auch wahr ist – weil die drei vor allem die Tiefpunkte dieses Wahlkampfs gemeinsam zu verantworten haben: Steinmeier hat durch eine Indiskretion die Sturzgeburt des Kandidaten ausgelöst; Steinbrück hat durch den falschen Umgang mit seinen Honoraren sein Image ramponiert, und Sigmar Gabriel hat mit programmatischen Irrlichtereien sowie vielfach als illoyal empfundener Kritik am Kandidaten den Wahlkampf erschwert. Aber eine Führungskrise wird es trotz alledem wohl nicht geben. Das Ergebnis von um die 26 Prozent ist weit genug entfernt von der Gefahrenzone, in der ein Putsch gegen die Spitze als denkbar erschien.

Die Ereignisse des Wahltags können Sie hier nachlesen.