Die Kanzlerin trifft im Rahmen ihrer „Bädertour“ auf Urlauber, die sich mit ihr ähnlich wohlfühlen wie am Ostseestrand. Und ein Satz von ihr verrät, wie sie über den Ausgang der Bundestagswahl am 24. September denkt.

Kühlungsborn/Zingst - Der Planet sticht, und die CDU-Sonnenhüte finden reißenden Absatz. Auch Hedwig Thelen-Toelke trägt einen, sogar als die Wahlkampfveranstaltung mit der Bundeskanzlerin an der Ostseestrandpromenade von Kühlungsborn längst vorbei ist. Dabei ist die Rheinländerin SPD-Mitglied und eigentlich nur ihrer Schwester Hiltrud Lübken zuliebe mitgekommen, die überzeugte Christdemokratin ist. Für den Familienfrieden sind große Koalitionen deshalb keine schlechte Sache, und wenn es nach der sozialdemokratischen Schwester geht, wird es in Berlin nach dem 24. September so weitergehen, gerne wieder mit Angela Merkel an der Spitze. „Das Ding ist gelaufen“, sagt Hedwig Thelen-Toelke zu den Siegchancen ihres Kanzlerkandidaten Martin Schulz. Das grämt sie nicht weiter: „Die Merkel ist einfach so freundlich und menschlich.“

 

Versöhnt mit dem Wetter, das sich nach langer Pause im Norden an diesem Wochenende von seiner strahlenden Seite gezeigt hat, versöhnt mit der Kanzlerin – dieser Eindruck lässt am Ostseestrand gewinnen, den sich die CDU-Vorsitzende für ihren offiziellen Wahlkampfauftakt ausgesucht hat, bevor sie selbst noch zwei Wochen in den Urlaub entschwindet. Natürlich findet sich auch noch der ein oder andere Merkel-Gegner unter den Zuhörern. In Kühlungsborn etwa fordert eine Handvoll junger Leute ein Abschiebestopp für Flüchtlinge und erinnert mit an einem Kreuz an die 10000 Mittelmeertoten der vergangenen drei Jahre. Ein paar Kritiker von der anderen Seite halten Plakate hoch, die auf Plakaten vor den mit den Migranten zugezogenen Problemen und einer „Islamisierung“ Deutschlands warnen („Liebe zu Maria statt zur Scharia“). Aber auch sie, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen wollen, rechnen fest damit, dass „Merkel noch einmal gewählt wird – und vier weitere Jahre ihre eigenen Fehler ausbügeln kann“. Enttäuscht, dass der deutschen Regierungschefin nicht mehr Protest entgegengeschlagen ist, übergeben sie ihre Anti-Merkel-Banner dem Reporter.

Auch Europa ist Wahlkampfthema

Ob auf der Freilichtbühne in Zingst oder dem malerisch gelegenen Konzertgarten in Kühlungsborn, jeweils vor rund 2000 Einwohnern und Feriengästen – Angela Merkel trifft ganz überwiegend auf Zuhörer, die zwar nicht frenetisch jeden ihrer Sätze bejubeln, aber sich ganz augenscheinlich wohlfühlen mit ihr. Sie benennt, ohne jemals ins Detail zu gehen, ihre Themen, holt die Menschen dafür quasi bei sich zuhause ab. Die digitale Revolution zum Beispiel findet für Merkel ihren Ausdruck darin, dass viele auch am Esstisch nicht mehr ohne ihr Smartphone können. „Das dürfen wir doch nicht auf uns sitzen lassen“, sagt sie dazu, dass andere Länder in Sachen elektronischer Zukunft schon weiter sind und ihre CDU den Rückstand aufholen will – irgendwie. Sie spricht die Sorge an, dass es in den ländlichen Räumen, immer weniger Ärzte Schulen oder Busverbindungen gibt. In ihrer dritten Amtszeit sei schon viel Geld an die Kommunen, sagt die Kanzlerin, und verspricht noch mehr Hilfe in ihrer vierten.

Vielleicht, fragt sie vorsichtig in die Runde, „haben Sie in den vergangenen Monaten auch mal über Europa nachgedacht“, für sie im Gegensatz zu anderen Weltregionen „ein Raum, in dem wir dieselben Werte leben“. Natürlich darf auch ihr neuer französischer Partner Emmanuel Macron nicht fehlen, mit dem sie in den nächsten Jahren die EU umkrempeln will: „Wenn’s Europa besser geht, geht es uns in Deutschland besser.“ In Afrika will sie sich noch mehr engagieren, damit die „Menschen dort leben, wo ihre Heimat ist – das sichert uns zuhause Frieden, Freiheit, Wohlstand“. Dass sie nicht mehr dazu sagt, wie genau sie das denn anstellen will, stört zumindest eine junge Frau aus Rostock nicht, die mit ihrem Freund und dessen Arbeitskollegen aus Indien angereist ist, der unbedingt einmal die Bundeskanzlerin live erleben wollte: „Bei zu vielen politischen Details hätten die Leute wahrscheinlich gar nicht zugehört, sondern wären sich ein Eis holen gegangen.“ So wie das Angela Merkel in Kühlungsborn zur großen Freude einer Eisverkäuferin in Kühlungsborn auch gemacht hat.

Merkel bedankt sich bei „Helden unserer Gesellschaft“

Den größten Applaus erhält sie an der Ostsee, wenn sie sich, wie sie das immer häufiger bei ihren Auftritten tut, bedankt. Ein Dank geht an die freiwilligen Feuerwehren, einer an die Menschen, die ihre Angehörige pflegen, „die wahren Helden unserer Gesellschaft“, und einer nach den Krawallen für die Polizisten beim G20-Gipfel, den ja vor allem sie nach Hamburg geholt hat: „Ein ganz herzliches Dankeschön – wir können das gar nicht oft genug tun.“ Für Kurortverhältnisse tobt jetzt die Menge.

Wellness mit der Kanzlerin. Nicht nur das Publikum fühlt sich sichtlich wohl, auch die Rednerin selbst wirkt im Reinen mit sich. Ist ja in den vergangenen Monaten auch gut gelaufen für sie, die noch vor einem Jahr mit sich gerungen hat, ob noch genug Kraft und Neugier für weitere Kanzlerjahre in ihr stecken. CSU-Chef Horst Seehofer hat die Attacken auf sie zumindest vorübergehend eingestellt, ihre Partei stellt zwei neue Ministerpräsidenten, das zwischenzeitliche SPD-Umfragehoch stellt sich zunehmend als Flirt der Wähler heraus, die in ihrer aktuellen Beziehung eigentlich glücklich sind. Es gelingt den Widersachern auch nicht, Kapital aus ihrer politischen Mitverantwortung in Sachen Ehe für alle oder G20 zu schlagen. Angela Merkel bleibt an der Ostsee trotz eines Anflugs von Siegesgewissheit aber Kopfmensch genug, um zu wissen, dass es auch in Zukunft nicht leichter wird: „In den nächsten vier Jahren wird es mindestens so viel zu tun geben wie in den vergangenen vier Jahren.“