Nicht alle Menschen dürfen bei der Bundestagswahl am 24. September ihre Stimme abgeben. Wir erklären, in welchem Fall manche Menschen – zum Beispiel mit einer Behinderung – vom Wahlrecht ausgeschlossen sind.

Berlin - Mehr als 80.000 Menschen mit Behinderung sind in Deutschland von den Wahlen ausgeschlossen. Im Südwesten waren davon im Jahr 2013 nach einer Studie des Bundessozialministeriums zum aktiven und passiven Wahlrecht von Menschen mit Behinderung mehr als 6100 Menschen betroffen. Doch welches Kriterium ist ausschlaggebend dafür, dass manche Bürger nicht wählen dürfen?

 

Wer über längere Zeit einen Betreuer an seiner Seite hat, der Besorgungen aller Angelegenheiten erledigt, darf nicht wählen. Ein Betreuer regelt Bereiche für einen Menschen wie finanzielles, die Bestimmung des Wohnorts oder ist Ansprechpartner in Gesundheitsfragen. Der Ausschluss vom Wahlrecht betrifft ebenso Menschen mit geistiger Behinderung, aber auch psychisch Kranke wie manisch-depressive, die über einen längeren Zeitraum mit dem Befund leben. Diesen so genannten „Ausschluss-Paragrafen“ empfinden Betroffene und einige Politiker als ungerecht.

Auch Verena Bentele, Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, sieht das so. „Ich bin dafür, den Ausschluss-Paragrafen zu kippen. Eine Betreuung darf keine Auswirkung auf das Recht zu wählen haben.“

Die Grünen pochen auf Gleichstellung

Auch die Grünen im Stuttgarter Landtag pochten Mitte September 2017 auf ein Wahlrecht für Menschen mit gesetzlicher Betreuung. Tausende seien im Südwesten wegen dieser rechtlichen Vertretung bei Fragen der Gesundheit, des Vermögens und des Aufenthalts von ihrem staatsbürgerlichen Recht ausgeschlossen, sagte der Abgeordnete Thomas Poreski in einem Interview mit der Deutschen Presse Agentur (dpa). Landeswahlleiterin Christiane Friedrich sagte der dpa dazu: „Es mögen darunter auch Leute sein, die intellektuell in der Lage sind, eigenständig Wahlentscheidnungen zu treffen.“

Skurril wird es mit Blick auf manche Landtagswahl: In Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein gibt es den Ausschluss-Paragrafen bereits nicht mehr. „In mehreren Bundesländern wird der Paragraf nun überprüft“, sagt Bentele. Die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen bei den Wahlen auf Landesebene spräche laut Bentele zudem dafür, die bisherige Regelung auch auf Bundesebene zu ändern.“ Gespannt wird von Verbänden wie der Lebenshilfe auch das Urteil des Bundesverfassungsgericht erwartet – hier haben Betroffene geklagt, die gerne wählen wollen. Wann die Entscheidung dazu fällt, ist jedoch noch offen.

Lesen Sie hier: Antworten auf oft gestellte Fragen zur Bundestagswahl.

„Auch die UN-Behindertenrechtskonvention enthält zu diesem Thema klare Vorgaben: Die Vertragsstaaten haben sich dazu verpflichtet, Menschen mit Behinderungen die politischen Rechte zu garantieren. Dazu gehört auch das Recht zu wählen und gewählt zu werden – in Deutschland hat die Konvention den Rang eines Gesetzes und müsste umgesetzt werden“, sagt Bentele. Sie war im Juni auf der Vertragsstaatenkonferenz zur UN-Behindertenrechtskonvention in New York. „In vielen Bereichen ist Deutschland bei der Inklusion bereits gut“, berichtet sie. „Dennoch gibt es Länder wie Irland und Italien, in denen alle Bürger wählen dürfen.“

Laut Bentele sollten die politisch Verantwortlichen im Wahlkampf zu den Menschen in die Einrichtungen gehen, in leichter Sprache ihre Ziele erklären, sowie mithilfe von Bildern Wahlprogramme erläutern. „Den Menschen mit Behinderungen wird mit der passenden Unterstützung keine Entscheidung vorgegeben, vielmehr helfen die unterstützenden Personen dabei, dass die Betroffenen ihre Entscheidung zum Ausdruck bringen können.“

Bentele hofft darauf, dass das Thema im Koalitionsvertrag der nächsten Regierung verankert wird.

Sehen Sie in unserem Video: wichtige Fakten rund um die Bundestagswahl:

Wie die Wahlen geregelt sind

Wer wahlberechtigt ist (also das aktive Wahlrecht innehat) und wer wählbar ist (also als Kandidat über ein passives Wahlrecht verfügt), bestimmen das Grundgesetz und in einzelnen Bestimmungen das Bundeswahlgesetz in Deutschland.

Artikel 20, Absatz 2 des Grundgesetzes nennt die Grundbedingungen des demokratischen Verfassungsstaates: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“

Artikel 38, Absatz 1 des Grundgesetzes beschreibt, wie eine Bundestagswahl ablaufen sollte: „Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ Nach Absatz 2 ist wahlberechtigt, „wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.“

Wer noch in Deutschland von der Wahl ausgeschlossen ist

Neben dem Ausschluss von Menschen, die einen Betreuer haben, der alle Belange in ihrem Leben regelt, können ebenfalls in Deutschland nicht wählen: Menschen, die nach einer begangenen Straftat aufgrund einer seelischen Störung als „schuldunfähig“ eingestuft und in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen worden sind.

Das aktive und passive Wahlrecht kann zudem durch ein Gerichtsurteil für zwei bis fünf Jahre entzogen werden, wenn jemand eine politische Straftat wie Landesverrat, Wahlfälschung und Propagandadelikte begangen hat.