Am Montagabend diskutierten Kandidatinnen und Kandidaten vor der Bundestagswahl im Neuen Blarer in Esslingen. Die Ideen, wie die Themen Wirtschaft und Verteidigung angegangen werden können, gingen zum Teil stark auseinander.
Sechs Tage vor der Bundestagswahl haben die Katholische Erwachsenenbildung im Landkreis Esslingen (keb), das Evangelische Bildungswerk im Landkreis Esslingen, der Kreisjugendring Esslingen und die Landeszentrale für politische Bildung (lpb) zu einer Podiumsdiskussion nach Esslingen eingeladen. Und trafen damit offenbar einen Nerv: Alle Sitzplätze im Festsaal des Neuen Blarer waren belegt. Und nicht nur das: Wegen des Andrangs sei sogar kurzfristig auch ein Video-Livestream eingerichtet worden, sagte Thomas Franke, der Leiter der lpb-Außenstelle Ludwigsburg.
Zur Diskussionsrunde waren Kandidatinnen und Kandidaten der Parteien eingeladen, die realistische Aussichten haben, in den nächsten Bundestag gewählt zu werden. Somit waren die Parteien SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, AfD, Die Linke und BSW vertreten. Die Fokusthemen des Abends – Wirtschaft und äußere Sicherheit – seien gerade in den vergangenen Wochen wieder hochrelevant geworden, sagte die Moderatorin Dorothée Frei-Stahl.
Folgen der schwächelnden Wirtschaft
Die Wirtschaft in Deutschland sei in einer angespannten Situation, zum zweiten Jahr in Folge schrumpfe sie, führte Frei-Stahl an. Das habe auch konkrete Auswirkungen auf das Neckartal, denn viele lokale Unternehmen hätten Probleme, an vielen Standorten drohe Stellenabbau. Wie könne Deutschland weiterhin ein „Autoland“ bleiben?
„Wir sind als Partei immer technologieoffen“, erklärte Stefan Wischniowski (AfD). Insgesamt bedürfe es aber eines reduzierten Staats und weniger Vorschriften. „Die Technologien, die sich am Markt durchsetzen, sollen bleiben“, sagte Wischniowski. Von einer CO2-Besteuerung oder einem Klimabonus halte er nichts.
„Die ganze Idee des CO2-Preises ist es, ein Preissignal zu geben“, erwiderte David Preisendanz (CDU). Ein größeres Problem sehe er in den fixen Daten, beispielsweise für das Verbrenner-Aus. „Ich persönlich halte das für einen riskanten Weg.“ Seine Partei wolle nicht vorschreiben, mit welcher Technologie der CO2 -Ausstoß verringert werden soll.
„Die Menschen sehen das E-Auto noch nicht als Alternative“, erklärte Jessica Tatti (BSW). Es sei zu teuer und auch an Lademöglichkeiten mangele es vielerorts noch. Zwar wolle sie E-Autos nicht verbieten, jedoch sollte in Deutschland weiter an der Entwicklung von Verbrennern geforscht werden. Auch eine pünktliche Bahn könnte die Leute davon überzeugen, auf den öffentlichen Nahverkehr umzusteigen.
China konkurriert bei E-Autos
Man dürfe sich nicht die Frage stellen, wie das Auto der Zukunft, sondern wie die Mobilität der Zukunft aussehen solle, befand Martin Auerbach (Die Linke). Radwege und der Nahverkehr müssten gefördert werden. Die Oberleitungsbusse in Esslingen seien ein gutes Beispiel für E-Mobilität. Allerdings sollte stets auch die Stromgewinnung bedacht werden. „Wenn der Auspuff des E-Autos im Kraftwerk in Altbach steht, ist das auch schwierig“, sagte Auerbach.
Generell habe man sich in der Autoindustrie zu lange auf den Erfolgen ausgeruht, führte Sebastian Schäfer (B90/Die Grünen) an. „Wir haben die Entwicklungen schlicht verpennt“, sagte er. Ehemalige Absatzländer wie beispielsweise China könnten mittlerweile wettbewerbsfähige E-Autos herstellen. Man müsse wieder mehr in Forschung und Entwicklung investieren, auch in Hinblick auf autonomes Fahren.
Um den Status als Land der Tüftler zu behalten, bedürfe es eines freien Marktes, sagte Laura Hahn (FDP). Es gehe darum, den Markt zu deregulieren. „Es bringt nichts, von Fördermitteln zu sprechen und den Markt kaputt zu subventionieren“, erklärte sie. Am Ende würden die Kunden bestimmen, wie künftig ein Auto aussehe.
„Das eine sind die Verbrenner, das andere die Verantwortlichen“, sagte Argyri Paraschaki-Schauer (SPD). Beispielsweise setze Daimler aufgrund der Gewinnmargen künftig auf große Autos, obwohl kleine Autos genauso gebraucht würden. Die SPD mache sich für den Ausbau von E-Mobilität stark und wolle auch in die Infrastruktur und das Stromnetz investieren.
Auswirkungen der US-Wahl
Das zweite Thema des Abends, Verteidigung und äußere Sicherheit, sei vor allem durch die US-Wahl wieder in den Fokus gerückt, begann Dorothée Frei-Stahl. Der FDP-Kandidat Hahn plädierte für ein starkes Europa. Es gehe darum, Haltung zu zeigen und im russischen Angriffskrieg an der Seite der Ukraine zu stehen. „Denn sie kämpfen gerade auch für unsere Freiheit.“
Statt Aufrüstung gehe es darum, die Völkerverständigung voranzubringen, sagte hingegen Auerbach für die Linke. Auch in Bezug auf den Krieg in der Ukraine sei die Zeit gekommen, zu verhandeln. Dass Europa jetzt nicht mit am Verhandlungstisch sitze, könnte als Ergebnis des langen Desinteresses am „Bürgerkrieg“ der vergangenen Jahre in der Ukraine gesehen werden, sagte er.
Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und des Donbas durch Russland als „Bürgerkrieg“ zu bezeichnen, sei eine „typisch putin’sche Erzählweise“, widersprach Schäfer. Blicke man nach Russland und höre Putins Reden von „alter Größe“, müsse man auch den imperialen Charakter dieses Regimes erkennen, so der Grünen-Kandidat. Um international zu bestehen, müsse Deutschlands Sicherheit künftig europäisch organisiert werden.
Dass Russland ein Nato-Land angreifen werde, halte sie für unrealistisch, meinte Tatti. „Die Zeit für Verhandlungen ist gekommen“, sagte sie. Es sei ein Fehler, dass Deutschland bislang nichts für Friedensverhandlungen getan, sondern nur Waffen geliefert habe. Die bisherigen Vorschläge für Frieden seien nicht genutzt worden.
Verteidungsfähigkeit Deutschlands
„Wenn alle wie die Linke, das BSW und die AfD denken würden, gäbe es jetzt keine Ukraine mehr“, entgegnete Preisendanz. Verhandeln klinge zwar schön, bedeute aber faktisch keine Unterstützung. Es sei ein scheinheiliges Argument, weil man die Ukraine nicht weiter unterstützen wolle. Deutschland und Europa könnten sich nicht mehr auf die USA verlassen. „Wir müssen uns jetzt um uns selbst kümmern“, sagte er.
„Ob wir wollen oder nicht, die Welt hat sich in den letzten zwei bis drei Jahren stark verändert“, erklärte Paraschaki-Schauer die SPD-Sicht. Man müsse seine Ideale ein Stück weit der Realität anpassen. Dazu gehöre auch, die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands herzustellen. Seine Partei sei für eine europäische Sicherheitsgemeinschaft, sagte Wischniowski für die AfD. Gleichwohl solle sich Deutschland nicht in andere Konflikte einmischen.
Das Publikum erlebte eine über Strecken kontrovers geführte Diskussion. Die letzten Worte des Abends hatte aber die Moderatorin. „Machen Sie es gut und gehen Sie wählen“, sagte Frei-Stahl.
Termin und Themen
Bundestagswahl
Die Wahl findet am Sonntag, 23. Februar, statt. Nötig wurde sie wegen der von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Dezember gestellten Vertrauensfrage. Im 21. Bundestag werden 630 Abgeordnete sitzen, etwa 100 weniger als im aktuellen Bundestag.
Bundeshaushalt
Die angestrebten Verteidigungsausgaben führten auf dem Podium und im Publikum auch zu einer Diskussion über den Bundeshaushalt. Man müsse bedenken, dass dieses Geld dann beispielsweise für Schulsanierungen nicht zur Verfügung stehen würden, sagte Jessica Tatti (BSW). Für diese notwendigen Investitionen schlug Sebastian Schäfer (Grüne) eine Reform der Schuldenbremse vor.
Migration
Aus dem Publikum heraus kam schließlich auch das Thema Migration und innere Sicherheit zur Sprache. Die Meinungen zu Migrationskontrollen und Abschiebungen gingen bei den Kandidierenden stark auseinander. „Es gibt kein Thema, das in Deutschland so unsachlich und emotional diskutiert wird“, fasste es Argyri Paraschaki-Schauer (SPD) zusammen.