Der Bundesgesundheitsminister kommt als Wahlhelfer für Werner Simmling (FDP) in die Wilhelmshilfe nach Göppingen und weiß mehr, als ihm manche zugetraut hätten.

Göppingen - Sie übersehen den alten Mann im Rollstuhl einfach. Hinter einer älteren Dame mit Rollator drängt sich der Bundesgesundheitsminister in den Aufzug und sagt artig „Guten Tag“. Das Fernsehteam des Westdeutschen Rundfunks eilt hinterher, und dann quetschen sich noch schnell ein paar Würdenträger aus dem Kreis Göppingen dazu. Die Aufzugtüren schließen sich ein paar Zentimeter vor der Nase des Rollstuhlfahrers.

 

Der alte Mann wartet still auf den nächsten Lift. Der Rest von Daniel Bahrs Entourage eilt die Treppe in den ersten Stock des Pflegeheims der Wilhelmshilfe in Bartenbach hinauf. Dort schaut sich der FDP-Minister das Heim an, grüßt alte Damen und lächelt vor allem mit ihnen in die Kameras.

Fotos mit Menschen kommen besser an

Fotos und Filmaufnahmen kommen beim Publikum eben besser an, wenn sie den Protagonisten in Aktion zeigen, am besten mit Menschen, vorzugsweise Kindern oder Alten. Das schafft Emotionen und die braucht man in einem Wahlkampf. Bilder vom Rednerpult sind langweilig, auch wenn sich 90 Prozent einer Veranstaltung dort abgespielt haben. Kein Wunder, dass Bahr es wichtig gehabt hatte, seinen Zeitplan einzuhalten. Die 30 Minuten für Zuhörerfragen mussten reichen, damit noch Zeit für den Rundgang blieb und damit Zeit für Bilder.

Dabei hatte der Minister mit seinem Kurzvortrag vor Vertretern der Ärzteschaft, der Krankenkassen und der Pflegekräfte aus dem Kreis durchaus gepunktet. „Mich hat überrascht, wie gut er über die Zusammenhänge in der Pflege Bescheid weiß“, sagt eine Altenpflegerin nach der Veranstaltung anerkennend. Die Umstehenden geben ihr Recht – wohl wissend, dass davon noch kein einziges der vielen Probleme gelöst ist.

Der Minister hatte Doppelstrukturen in der Pflege kritisiert, etwa durch die neuen Pflegestützpunkte, aber auch durch Mehrfachkontrollen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen und der Heimaufsicht. Es könne nicht sein, dass die eine Instanz etwas kontrolliere, dass erst kurz zuvor von der anderen geprüft worden sei, so Bahr. Damit sprach er nicht nur seinen Zuhörern aus dem Herzen, sondern vertrat zugleich klassische liberale Werte.

Bahr gibt den schwarzen Peter weiter

Außerdem stellte er das Pflege-Neuausrichtungsgesetz (PNG) vor, nach dem seit Jahresbeginn auch die Bedürfnisse von Demenzkranken stärker berücksichtigt werden, kündigte eine Reform des Pflegebegriffs an und bekannte sich insbesondere zu den ambulanten Pflegediensten. Denn die Menschen wollten auch im Alter möglichst lange zuhause leben. Deshalb müsse man die Pflege in der Familie stärken. Bahr kritisierte einen EU-Vorstoß, wonach eine Pflegeausbildung erst nach zwölf Schuljahren, in Deutschland also nach dem Abitur, möglich sein solle und forderte, die Pflegeausbildung hierzulande wieder attraktiv zu machen. Doch gerade die Attraktivität des Berufes schwindet.

„Wer Pflege erlernt, macht das mit großer Freude, aber wir werden alle mürbe gemacht“, resümierte etwa die Leiterin eines ambulanten Pflegedienstes. Man erhalte von den Kassen nicht das Geld, das man brauche, um wirtschaftlich arbeiten zu können. „Wenn es so weitergeht, dann sind wir irgendwann alle nicht mehr da.“ Die vermeintliche neue Wahlfreiheit für Pflegebedürftige zwischen Sach- und Geldleistungen werde so zur Farce. Tatsächlich ist das neue Pflegegesetz zwar in Kraft, die Verhandlung zwischen Kassen und Pflegediensten über die Vergütungen, sind aber noch zu keinem Ergebnis gekommen. Bahr kritisierte das zwar, doch als Gesundheitsminister könne er die Vergütungen nun mal nicht einfach vorschreiben. Das auszuhandeln sei Sache der Kassen, gab er den schwarzen Peter weiter.

Es wurde noch viel gefragt und angemerkt, zum Thema Schmerztherapie, zur Finanzierung von Hospizen, der Beratung von Pflegebedürftigen . . . Die letzten Fragen ging Bahr im Schnelldurchlauf durch, genau wie anschließend das Pflegeheim. Für gute Bilder, die viele Menschen sehen werden, reicht das. Den Mann im Rollstuhl hat keiner gesehen – selbst die nicht, die direkt neben ihm standen.