Der Statistiker Thomas Schwarz hat das Stuttgarter Bundestagswahlergebnis ausgewertet. Die Union ist demnach bei Frauen, Arbeitern und Katholiken gefragt. Und die Jugend verschmäht die Grünen.

Stuttgart - Die Tinte unter dem Koalitionsvertrag ist gerade getrocknet, da präsentiert der Leiter des Statistischen Amts, Thomas Schwarz, bereits seine Analyse der Bundestagswahl in Stuttgart. Am 22. September ist aus Sicht des Experten in vielerlei Hinsicht Erstaunliches passiert. Schwarz speist seine Daten aus einer Befragung von 1900 Bürgern nach dem Urnengang, die Stadt hat diese Erkenntnisse in ein 80-seitiges Themenheft gepresst.

 

Die Dominanz der CDU zeigt aber auch den Statistikern Grenzen auf: Die Analyse der Stimmenmehrheiten und Parteihochburgen lasse normalerweise interessante Differenzierungen erkennen. Diesmal sieht Schwarz allerdings nur „schwarz“: bei Erst- wie Zweitstimmen in allen Stadtbezirken und fast allen Wahlbezirken hatte die CDU die Nase vorn. Sie konnte ihre Führungsposition nicht nur ausbauen. „So groß war der Abstand zwischen erst- und zweitplatzierter Partei noch nie“, schreibt der Amtsleiter. Auch habe es mit plus 9,8 Prozentpunkten noch bei keiner Wahl für die Christdemokraten einen derartigen Ergebnissprung gegeben.

Die SPD hat die Grünen als stärksten Verfolger abgelöst, was für die Alternativpartei mindestens so schlimm ist wie der Umstand, dass ihr Bundesvorsitzender Cem Özdemir das erhoffte Erstmandat im südlichen Wahlkreis verpasst hat. Grund zur Freude haben aber auch die Sozialdemokraten nicht: Das Zweitstimmen-Ergebnis von 21,9 Prozent ist „im wahlhistorischen Kontext betrachtet das zweitniedrigste Ergebnis“.

Wahlforscher erstaunt

Über den Ausbau des Vorsprungs von 4,5 auf 14,5 Punkte des CDU-Kreisvorsitzenden und Kandidaten Stefan Kaufmann in dem „durch eine höher gebildete und statushöhere Bevölkerung“ gekennzeichneten Wahlkreis Süd zeigte sich der Wahlforscher „erstaunt“. Das schlechteste Erststimmenergebnis seit Bestehen des Wahlkreises für die SPD (durch Ute Vogt) dürfte seiner Ansicht nach noch durch die Erststimmenwahlempfehlung für Özdemir forciert worden sein. Auch im nördlichen Wahlkreis markierten die Genossen bei den Erststimmen einen neuen Tiefpunkt.

„Fulminant“ ist für Schwarz der Wahlerfolg der CDU, die höchste Zustimmungsquoten bei Frauen, Arbeitern, über 70-Jährigen und Katholiken hat. Überdurchschnittlich stark habe sie aber bei den Gewerkschaftswählern zugelegt. Dort ist sie zweitstärkste Kraft

Im Vergleich mit anderen Großstädten im Land hätten sich die Stuttgarter durch höhere Zugewinne abgehoben. Im Bund hatte die CDU (ohne CSU) um 6,5 Punkte schlechter abgeschnitten. Mit ausschlaggebend sei gewesen, dass auf den traditionell hohen Stammwähleranteil (52 Prozent) Verlass gewesen sei. In den Hochburgen gewann die Union zudem überproportional hinzu (plus 12,3 Punkte), außerdem habe sie viele Nichtwähler mobilisiert.

Dramatische Verluste

Positiv für die Union ist auch der Saldo bei der Wählerwanderung. Vor allem FDP-Anhänger liefen in Scharen über, was das Desaster der Liberalen zum Teil begründet, die vor allem dort verloren, wo sie traditionell stark sind – in den Halbhöhenlagen und im Süden. Ebenso schlimm: Die dramatischsten Verluste gab es bei ihrer ureigensten Klientel, den selbstständigen Handwerkern.

Der Stammwähleranteil der SPD ist von 47 auf 38 Prozent geschrumpft, die Zuwächse sind in den nördlichen Stadtgebieten am höchsten ausgefallen. Beachtenswert ist für den Amtsleiter das „Nichtwählermobilisierungsvolumen“. Bei der Wählerwanderung fällt der Vergleich mit der CDU negativ aus, allerdings wanderten viel mehr Bürger von Grünen und FDP zur SPD als umgekehrt. Die höchsten Zugewinne wurden bei den Jüngeren bis 35 Jahre erzielt. Bemerkenswert sei die negative Bilanz bei Studenten, Rentnern und Arbeitslosen. Bei Gewerkschaftsmitgliedern bleibt die SPD die Nummer eins: Diese Gruppe macht allerdings lediglich 13 Prozent aller Wähler aus.

Einbrüche bei den Jüngeren

Nach den „teilweise triumphalen Wahlerfolgen“ in den vergangenen Jahren glaubt Schwarz das Grünen-Ergebnis „wohl am ehesten mit dem Prädikat ernüchternd einstufen“ zu müssen. Sowohl im Bund als auch im Land und bei anderen Großstädten seien die Rückgänge moderater ausgefallen. 46 Prozent ihrer Klientel sind Stammwähler. Einbrüche gab es flächendeckend und bei Jüngeren sowie höher Gebildeten. Die größten Verluste mussten sie bei Angestellten ohne Hochschulabschluss hinnehmen – und bei jenen, die keiner der beiden großen Konfessionen angehörten oder Konfessionslosen.

Nur 14 Prozent der Linken entstammten dem Arbeitermilieu

Als „Ergebnisstabilisierung“ bezeichnet Schwarz das Ergebnis der Linken. Sie habe nur 17 Prozent Stammwähleranteil und profitierte von Zugängen aus dem Grünen-Lager. Beachtlich: Nur 14 Prozent der Linken entstammten dem Arbeitermilieu. Und unter den Gewerkschaftsmitgliedern sind sie nur noch vierstärkste Kraft.

Die Wahlbeteiligungsquote hat sich auf 76,7 Prozent erhöht, im Süden lag sie mit 79,8 Prozent (bundesweit ein Spitzenwert) um 6,4 Punkte höher als im Norden. Damit öffnet sich die Schere zwischen den beiden Wahlkreisen weiter. Die höchste Beteiligung wurde in Degerloch registriert (83,8 Prozent), die niedrigste in Zuffenhausen (68,8). Fast jeder Dritte bevorzugte die Briefwahl: 93 169 Bürger, das waren 23,7 Prozent mehr als 2009. Ein Drittel der Anträge gingen übers Internet ein.